Helmut Newton: Sexist oder Frauenfreund?
Das Chateau Marmont zählt zu den traditionsreichsten Hotels in Hollywood, hier nächtigten Stars wie Humphrey Bogart, Robert Mitchum und Robert De Niro.
Doch in der Nacht vom 23. auf den 24. Jänner 2004 wird die Nobelherberge dem weltberühmten Fotografen Helmut Newton zum Schicksal. Er verliert die Kontrolle über seinen Wagen und beschleunigt am hoteleigenen Parkplatz dermaßen, dass er auf der gegenüberliegenden Straßenseite gegen eine Wand kracht. Newton wird in ein Krankenhaus gebracht, wo er wenig später im Alter von 83 Jahren seinen Verletzungen erliegt. Demnächst wäre er 100 Jahre alt.
Mit 12 die erste Kamera
Newton, einer der bedeutendsten Fotografen seiner Zeit, hatte sich auf Mode-, Akt- und Porträtbilder spezialisiert. Er war am 31. Oktober 1920 als Sohn eines deutsch-jüdischen Knopffabrikanten und einer Amerikanerin in Berlin zur Welt gekommen. Im Alter von zwölf Jahren hatte Helmut Neustädter, wie er eigentlich hieß, mit einer Kodak-Kamera seine ersten Bilder geschossen und war von da an der Fotografie verfallen. Also absolvierte er in Berlin eine Fotografenlehre, die er 1938 abbrach, um vor den Nationalsozialisten nach Singapur zu flüchten. Dort als Bildreporter einer Tageszeitung tätig, wurde er nach wenigen Wochen wegen angeblicher Unfähigkeit entlassen.
Lkw-Fahrer in der Armee
Im September 1940 wurde Helmut Neustädter von den britischen Behörden als unerwünschter Ausländer festgenommen und nach Australien abgeschoben, wo man ihn zunächst in einem Internierungslager festhielt. Nach seiner Freilassung diente er zwei Jahre als Lkw-Fahrer in der Armee, träumte aber weiterhin von einer Karriere als Fotograf. Nach dem Krieg war’s dann endlich soweit, er änderte seinen Namen auf Newton und gründete in Melbourne ein Fotostudio, in dem er erste Erfolge feierte.
Die große Liebe
Zwei Jahre später heiratete er die große Liebe seines Lebens, die australische Schauspielerin June Brown, die unter dem Namen June Brunell auftrat (weil es bereits eine andere Schauspielerin namens June Brown gab). Später machte auch sie sich als Fotografin unter dem Pseudonym Alice Springs einen Namen. Die beiden blieben 57 Jahre, bis zu Helmut Newtons Tod, unzertrennlich.
In Australien machte er für die Zeitschrift Vogue seine ersten Modebilder, die so gut ankamen, dass er sich 1957 mit seiner Frau zunächst in London und dann in Paris ansiedelte. Zur Vogue kamen bald Harper’s Bazaar, Elle, der Playboy, Vanity Fair und andere Magazine als Kunden dazu. Ab Mitte der 1970er-Jahre war Newton einer der begehrtesten und bestbezahlten Fotografen der Welt.
Einen Namen machte er sich auch als Porträtist der Prominenz. Zu ihr zählten Liz Taylor, Andy Warhol, Madonna, Luciano Pavarotti, Margaret Thatcher, Helmut Kohl, Karl Lagerfeld und Romy Schneider. Seine Bilder wurden und werden in Ausstellungen und Museen gezeigt und in Büchern veröffentlicht. Im April 2000 erregte er mit einem Prominenten-Bildband Aufsehen, weil das erste Exemplar – handsigniert von den mehr als 100 im Buch abgebildeten Persönlichkeiten – 620.000 DM erzielte und damit den Rekord für das teuerste Buch des 20. Jahrhunderts brach. Sein bekanntestes Buch wurde aber der Sammelband mit Aktfotos, Big Nude, der von vielen als sein bestes Werk angesehen wird.
Der weibliche Körper
Wie überhaupt der weibliche Körper das Hauptmotiv Newtons war, dessen Models immer weniger anhatten, sodass er mit dem Spitznamen „Prince of Porn“ leben musste. Seine erotischen, teils anzüglichen, manchmal auch schockierenden großformatigen Frauenbilder wurden von den einen als ästhetisch, von anderen als frauenfeindlich bezeichnet. Letzterem widersprechen mehrere seiner „Opfer“ von Charlotte Rampling über Catherine Deneuve, Grace Jones, Nadja Auermann bis Claudia Schiffer, die er alle fotografierte. „Helmut sah Frauen als Sexobjekte. Und gleichzeitig hegte er einen Groll gegen sie“, sieht Isabella Rossellini, die er ebenfalls vor der Linse hatte, die Widersprüche in Newton.
Als erbittertste Gegnerin erwies sich die Feministin Alice Schwarzer, die seine Bilder als „sexistisch, rassistisch und faschistisch“ sah und zum Beweis für ihre These in ihrer Zeitschrift Emma 19 Newton-Aktfotos abdruckte. Sie hatte aber vergessen, sich die Rechte zu sichern, weshalb sie wegen Urheberrechtsverletzung verurteilt wurde.
Starke Persönlichkeiten
Der Künstler entgegnete seinen Gegnerinnen, dass er Frauen immer als starke Persönlichkeiten und nie als Opfer zeigen würde.
Seit 1981 lebte Newton mit seiner Frau in Monte Carlo, die Wintermonate verbrachte das kinderlose Paar in Los Angeles.
Bis es zum tödlichen Unfall kam. Als Ursache wird vermutet, dass Newton am Steuer seines Cadillacs einen Herzinfarkt erlitt.
Höchstpreise
Die meist in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder des Meisters erzielen nach wie vor Höchstpreise. Knapp zwei Jahre nach seinem Tod wurde Newtons überlebensgroßes Aktfoto Big Nude III im Auktionshaus Christie’s in London für mehr als 260.000 Euro versteigert .
Drei Monate vor seinem Tod hatte Newton den Staatlichen Museen Berlin seine umfassende Fotosammlung überlassen. Zu seinem 100. Geburtstag findet die von der Helmut Newton Stiftung veranstaltete Outdoor-Sonderausstellung "Helmut Newton One Hundred" von 31.10. bis 8.11.2020, in der Köpenicker Straße 70, Berlin-Kreuzberg statt. Und Gero von Boehm gestaltete fürs Kino das Newton-Filmporträt The Bad and the Beautiful.
georg.markus
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