Flüchtlingen den Weg in die Gesellschaft weisen

Junge Migranten lernen schnell und haben Ziele für die Zukunft
Rund 100.000 Flüchtlinge kamen 2015 nach Österreich. Das Leben in der neuen Heimat ist für die meisten nicht einfach. Werte- und Deutschkurse sollen helfen, sich zurechtzufinden.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte mit dem Satz "Wir schaffen das" Mut machen. Mut dafür, dass die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen aus dem arabischen Raum in Europa gelingen kann. Spätestens nach den Ereignissen von Köln, wo es hundertfach sexuelle Übergriffe gab, fragen sich viele Menschen: Schaffen wir das wirklich? Schafft es unsere Gesellschaft, so viele Zuwanderer aus einem anderen Kulturkreis aufzunehmen? In Norwegen versucht man des Problems der Übergriffe mit Kursen Herr zu werden, in denen Flüchtlinge lernen sollen, wie in Europa mit Frauen umgegangen wird. Der deutsche Politologe Elmar Wiesendahl weist auf ein Problem hin: "Die Flüchtlinge kommen aus vormodernen, autoritären Staatsgebilden, mit ausgesprochen repressiven politischen Strukturen. Mündiges Staatsbürgertum ist unterentwickelt", zitiert ihn die Welt. Zudem würden die Flüchtlinge aus partiell feudalen Verhältnissen kommen, in denen arrangierte Ehen und Clan-Systeme selbstverständlich seien. Die Folge: "Das individuelle Leistungsprinzip zählt wenig, bei uns ist es das A und O, um beruflich etwas zu werden."

Der Weg von Syrien bis nach Europa ist also nicht nur geografisch ein weiter. Es wird Jahre dauern, bis diese Menschen hier wirklich angekommen sind. Einen Masterplan, wie sie dabei unterstützt werden können, gab es lange nicht.

Verpflichtende Kurse

Im vergangenen November hat Integrationsminister Sebastian Kurz ein Konzept vorgelegt, wie Zuwanderung gelingen könnte. Sein 50-Punkte-Plan sieht unter anderem Deutsch- und Wertekurse vor, in denen Neuankömmlinge erfahren, wie das Leben in Österreich funktioniert (siehe unten). Geht es nach dem Geschäftsführer des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), Franz Wolf, sollten die Kurse verpflichtend sein: "Ich bin für Sanktionen, wenn ein Flüchtling dieses Angebot nicht annimmt." Natürlich ist ihm bewusst, dass ein Acht-Stunden-Kurs nur der Anfang sein kann. "Es liegt dann an uns und den öffentlichen Institutionen, dass wir die Einhaltung unserer Werte einfordern. Wenn es etwa um die Gleichstellung von Mann und Frau geht, müssen wir konsequent darauf bestehen und keinen Millimeter davon abweichen." In der Praxis heißt das: Ein Mann muss eine Chefin akzeptieren und er darf das Gespräch mit einer weiblichen Lehrkraft nicht verweigern. Wolf wünscht sich, dass Flüchtlinge möglichst schnell solche Kurse belegen: "Wenn der Staat nicht sofort vermittelt, was er sich von den Ankommenden wünscht, schleichen sich Gewohnheiten ein, die den Menschen nur schwer abzugewöhnen sind." Wobei: "Es kommen sehr unterschiedliche Menschen zu uns – ich warne vor Pauschalurteilen."

Die neue Welt erschließt sich den Flüchtlingen in Bildern. Kursleiterin Ursula Sagmeister zeigt ihren Schülern Alltagssituationen, um mit ihnen darüber zu reden, wie das Leben in Österreich funktioniert.

Auf einem Foto ist eine Schlägerei zu sehen: „Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr so etwas seht?“, fragt sie in die Runde. „Die Polizei anrufen“, sagt einer der Teilnehmer. Dass man Vertrauen zur Polizei haben kann, ist für die Menschen aus Syrien oder dem Irak alles andere als selbstverständlich. Sie haben deshalb Streitigkeiten meist unter sich geregelt. „Sich selbst zu verteidigen ist erlaubt, Selbstjustiz hingegen nicht“, erläutert Sagmeister: „Die Polizisten sind die Profis. Und bei uns ist der Staat dafür zuständig, die Gesetze auch durchzusetzen.“

Sagmeister hat schon viel Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen: „Ich habe vor zehn Jahren ein Heim geleitet, in dem Tschetschenen untergebracht waren“, erinnert sie sich. „Rückblickend muss ich sagen: Es wäre schön gewesen, hätte es solche Wertekurse damals schon gegeben. Das hätte die Eingewöhnung für diese Menschen einfacher gemacht.“

Ursula Sagmeister ist eine der Ersten, die solche Wertekurse leitet: „Im Dezember startete ein Pilotprojekt“, berichtet sie. Ein Curriculum, welche Themen in diesem Acht-Stunden-Kurs besprochen werden sollen, steht schon fest. „Jetzt werden Erfahrungen gesammelt, wie die Vermittlung am besten funktioniert.“ Sagmeister kann sich gut vorstellen, wie schwierig es ist, sich an ein neues Land zu gewöhnen: „Ich habe selbst jahrelang im Ausland gelebt und weiß, dass es nicht leicht ist, sich an eine neue Kultur, einen neuen Alltag zu gewöhnen.“

Ein neuer Alltag – das bedeutet auch Bürokratie. Und die ist nicht nur für Österreicher manchmal undurchschaubar: „Ich dachte immer, unsere Bürokratie in Syrien sei kompliziert. Aber die österreichische ist noch weitaus mühsamer“, sagt Wasim aus Damaskus. Und erzählt, dass es in seiner Heimat einen einfachen Weg gegeben hätte, Amtswege zu beschleunigen. Mit ein paar Geldscheinen. Die braucht man in Österreich – meist – nicht mehr. Das gilt auch für den Arzt: „Ihr könnt in jede Praxis gehen. Nur am Wochenende geht man in ein Spital, wenn man krank ist“, klärt Sagmeister auf.

Geschichte und Gesetze

Der Kurs hat nicht nur zum Ziel, Flüchtlinge zu lehren, den Alltag zu meistern. Es geht darum, was Österreich neben AMS, Spital und Polizei noch ausmacht – etwa die Freiheit in allen Lebensbereichen: „Religion ist Privatsache. Jeder kann sich entscheiden, welche er annimmt. Viele Österreicher haben keine Konfession – und das ist auch okay. Diese Freiheiten haben wir uns über Jahrhunderte errungen.“ Mohammed reagiert darauf etwas verschnupft: „Aber der Islam ist in Österreich nicht als Religion so gut angesehen.“ Die Erwiderung, dass durch die Terroranschläge ihre Religion einen Imageschaden erlitten habe, will er nicht gelten lassen: „Das sind einzelne.“

Auch die Geschichte ist ein Thema – besonders die Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Teilnehmer hören zu, ohne etwas dazu zu sagen.

Vor allem für die, die Kinder haben, ist alles, was mit der Schule zu tun hat, interessant: „Im österreichischen Schulsystem ist die Rolle der Eltern sehr wichtig“.“ Die Kursleiterin ist selbst zweifache Mutter und kann da aus eigener Erfahrung ihr Wissen weitergeben. Sie ermuntert die Väter und Mütter, zu Elternabenden zu gehen und Kontakt mit den Lehrern aufzunehmen. „Viele Fächer sind bei uns anders. Turn- und Schwimmunterricht gehören bei uns dazu. Das ist für alle Pflicht.“

Wandertage oder Schullandwochen sind ebenso Bestandteil der Schule. „Sie sollten Ihre Kinder mitschicken. Wenn Sie sich den Ausflug nicht leisten können, reden Sie mit der Schule. Man wird dort eine Lösung finden“, rät Sagmeister. - Ute Brühl

„Wir kehren wahrscheinlich nur noch zu Besuch in unsere frühere Heimat zurück. Wir sind Wiener und Österreicher“, meinen die acht jungen Deutschkurs-Teilnehmer in der Favoritner Knöllgasse lächelnd. Die jeweils vier Mädchen und Burschen zwischen 17 und 20 Jahren stammen aus Serbien, Syrien, Rumänien sowie Mazedonien. Und sie verbindet neben dem Asyl-Status eines: Sie erlernen gerade die deutschen Sprache. Daran wird engagiert und mit Nachdruck gearbeitet – mindestens 280 Unterrichtsstunden.

Denn die Jugendlichen haben für die Zukunft konkrete Ziele: Vom Kfz-Mechaniker, Fußballtrainer oder Polizisten, über Krankenpfleger, Kinderpädagogin und Ernährungscoach, bis hin zum Anwalt oder Journalisten – die jungen Leute wissen, was sie werden wollen.

Beim KURIER-Lokalaugenschein um neun Uhr Früh erklärt Sprachlehrerin Caroline Stern gerade den Konjunktiv: „Sie sehen es ja, die Mitarbeit, das Engagement, aber auch die Auffassungsgabe sind riesig. Diese Teilnehmer wissen, was sie wollen und was erfolgreiche Integration bedeutet.“

Kein Deutsch zu Hause

Die acht Mädchen und Burschen sind sogar so offen, dass sie ohne Umschweife Fragen über ihre Familien in Wien beantworten. Welche Sprache wird denn zu Hause gesprochen? „Wir alle müssen mit unseren Eltern in der jeweiligen Landessprache reden. Mit Deutsch kämen wir nicht weit. Anders ist es mit Geschwistern und Freunden. Da setzt sich Deutsch immer mehr durch. Es ist ein willkommenes Training. Aber mit der eigenen Muttersprache geht es natürlich leichter, Probleme zu erklären“, so der Tenor.

Auf die Frage, ob die Eltern noch Deutsch erlernen werden, gibt es ebenfalls eine kollektive Reaktion: Schweigen und Kopfschütteln.
Doch nicht in allen Kursen ist der Erfolg spürbar. Am Abend besucht das KURIER-Team eine Deutschstunde am Reumannplatz. Die Teilnehmer sind älter und von der großteils körperlich anstrengenden und schlecht bezahlten Arbeit sichtbar erschöpft.

Die Stimmung ist eher gedrückt, obwohl keinem Teilnehmer aus Ghana, Syrien, Bosnien und Rumänien das Engagement abzusprechen ist. Laut Dialogica-Geschäftsführer Georgios Fournarakis ist die Drop-out-Rate in den Abendkursen höher: „20 Prozent der Teilnehmer scheiden aus. Sie kommen nicht mehr.“
Auch weil nicht selten das Sprach-Niveau zu hoch angesetzt ist. Uschi Struppe, Leiterin der Integrationsabteilung im Wiener Rathaus erklärt: „Wir bieten natürlich auch finanzielle Förderungen für Basiskurse und Alphabetisierungseinheiten. Hier liegt der Fokus auf der Gruppe der bildungsfernen Frauen.“
Die Ausfallsrate bei den zertifizierten Instituten machen sich zum Teil Betrüger unter den Kursanbietern zunutze.
Unseriöse AngeboteIn angemieteten Wohnungen wird Unterricht samt positiver, aber wertloser Kursbestätigungen angeboten. Denn Firmen, die nicht vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) geprüft sind, dürfen keine Bestätigungen ausstellen.

Erst diese Woche wurde eine Sprachlehrerin, die unbefugt Deutschkurse für Flüchtlinge erteilte, am Landesgericht Wiener Neustadt zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die ehemalige Angestellte eines Sprachinstituts führte 200 Flüchtlinge hinters Licht und kassierte dabei 70.000 Euro. Es sprach sich schnell herum, dass man bei ihr das begehrte Zeugnis relativ einfach und noch dazu günstig bekommt. Die geprellten Kunden glaubten, mit dem Zeugnis die Staatsbürgerschaft zu bekommen. - Michael Berger

Während die Koalition um Obergrenzen für Asylwerber streitet, Ankündigungspolitik zum Thema Wirtschaftsflüchtlinge an der Tagesordnung steht und unser Nachbar Deutschland täglich mehr als 200 Schutzsuchende nach Österreich zurückschiebt, geht hierzulande das Geld für Integration aus. Oder die kolportierten Millionen Euro stehen für Maßnahmen noch gar nicht zur Verfügung.

So beschloss der Bund im September des Vorjahres, 75 Millionen Euro für Wertekurse und Deutschunterricht für Asylwerber zur Verfügung zu stellen. Integration ab dem ersten Tag, so lautete das plakative Motto. Wobei die Kapazität der zu erwartenden Kursteilnehmer bundesweit von 30.000 auf 50.000 Personen erhöht werden musste.

Defizite in der Praxis In der Praxis jedoch greifen die Maßnahmen noch nicht. So warten zukünftige Kursteilnehmer, die bereits den Asylstatus haben oder sich in einem laufenden Verfahren (mit wahrscheinlich positivem Ausgang) befinden, in den Bundesländern ein bis zwei Monate auf einen Kursplatz. In Wien noch länger. „Die Nachfrage ist höher als das Angebot und die Wartezeiten von bis zu drei Monaten sind in Wien ein Problem“, erklärt Caroline Stern, Deutschlehrerin des zertifizierten Sprachkurs-Anbieter Interface in Wien-Favoriten. Auch die Chefin der Wiener Magistratsabteilung 17 (Integration), Uschi Struppe bestätigt: „Die Kurse sind völlig ausgebucht.“

Wien kritisiert Bund

Wiens SP-Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger spart nicht mit Kritik in Richtung Regierung: „Wir stemmen einen Großteil der Integrationsmaßnahmen selbst. Von Bundesseite gibt es Unterstützung über den Arbeitsmarktbereich. Ich erwarte mir aber, dass Integrationsminister Kurz seiner Aufgabe nachkommt und mehr Mittel für Deutschkurse zur Verfügung stellt. Wichtig wäre vor allem eine Bund-Länder-Vereinbarung, um Sprachförderung in ganz Österreich einheitlich zu gestalten.“
Auch Integrationsminister Sebastian Kurz macht Druck in Richtung Finanzminister und Länder: „Wir verlangen, dass es demnächst die Bereitstellung der Mittel aus dem 75-Millionen-Integrationstopf gibt, um weitere Engpässe zu vermeiden.“

Im Vorjahr trug das Arbeitsmarktservice (AMS) 71 Prozent der Kosten für Integrationsmaßnahmen, 19 Prozent kamen von den Bundesländern, vier Prozent trugen der Integrationsfonds sowie das Integrationsministerium bei. Zwei Prozent der 40 Millionen kamen vom Innenressort. - Michael Berger

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