"Die Angst ist in Afritz allgegenwärtig"

Schlammlawine wälzte sich vor drei Wochen durch den Afritzer Ortsteil Kraa
Bürgermeister Linder über gerettete Kinder, den Schock der Versicherten und touristische Folgen.

Die Kärntner Gemeinde Afritz (Bezirk Villach Land) wurde in den vergangenen drei Wochen zwei Mal von Murenabgängen erfasst, wobei das letzte Naturereignis zur Evakuierung des Ortsteils Kraa führte. Die meisten Häuser dort sind bis heute aus Angst vor einer neuerlichen Katastrophe verbarrikadiert, viele unbewohnt. In diesem Chaos fungiert der 51-jährige Bürgermeister Max Linder als Krisenmanager, Organisator und Seelentröster.

"Die Angst ist in Afritz allgegenwärtig"
Maximilian Linder, Max Linder (FPÖ). Bürgermeister von Afritz, Mure, Katastrophe, Murenabgang

Geröll und Schutt verschwinden aus dem Ortsbild, die Angst bleibt – kann man drei Wochen nach der Murenkatastrophe diese Bilanz ziehen?Max Linder: Ja, die Angst ist in Afritz allgegenwärtig. 50.000 Kubikmeter Geröll wurden abtransportiert, doch 18.000 lagern noch immer im Gefahrenbereich und müssen möglichst rasch weggebracht werden. Bei einem weiteren Murenabgang würde der Dreck wieder bei den Häusern landen. Und unsere derzeitigen Schutzwälle sind ein Provisorium – errichtet aus 25.000 Kubikmetern Schutt. Sie sind ein Versuch, den Menschen einen Funken Sicherheit zu bieten, bis die Sicherheitsverbauung realisiert wird (die wichtigste Maßnahme am betroffenen Bärenbach, eine Geschiebe-Rückhaltesperre 500 Meter oberhalb von Afritz, wird bis Juni 2017 fertiggestellt). Insofern wird es lange brauchen, bis die Furcht aus den Köpfen der Menschen verschwindet. Die Nerven liegen blank, die Menschen sind teilweise am Ende.

Glauben sie, dass das Provisorium hält?

Ja, das glaube ich. An die Alternative – also eine dritte Mure – will ich keinen Gedanken verschwenden.

Kinder sieht man im Ortsteil Kraa derzeit keine.Viele Familien haben ihre Kinder nach wie vor andernorts bei Verwandten und Bekannten untergebracht. Eine eventuelle neuerliche Flucht wollen sie ihnen nicht zumuten. In sämtlichen Haushalten bleiben auch die Notfall-Koffer gepackt.

Gibt es inzwischen Analysen, wie hoch die materiellen Schäden sind und ob sie annähernd refundiert werden können?

Bevor aufgeräumt ist, wären Schätzungen unseriös. Wir sind sehr dankbar für die Katastrophenhilfe und die Spenden, die nicht nur aus ganz Österreich, sondern sogar aus dem Ausland einlangen. Dazu kommt das Kärntner Nothilfswerk, das den Schaden mindern soll. Bei den Versicherungen haben leider viele Bürger übersehen, dass Elementarereignisse dieser Art mit Sätzen von 5000 oder 6000 Euro begrenzt sind. Das war ein zusätzlicher Schock für die Leute, die dachten, sie seien zum Glück zumindest optimal versichert.

Es gab von der Gemeinde in den vergangenen Jahren einen Antrag und mehrere Urgenzen an die Wildbachverbauung, um den Bärenbach zu sichern. Sie wurden abgelehnt. Warum strebt Afritz keine Klage an?

Analysen hätten gezeigt, dass von anderen Bächen höhere Gefahren ausgegangen wären, hieß es. Also wären die Erfolgsaussichten einer Klage gering. Wenn wir uns mit der Wildbachverbauung vor Gericht treffen würden, hätten wir außerdem keine Basis, um das Zwölf-Millionen-Sicherheitsprojekt zur Verbauung des Baches bis 2022 gemeinsam umzusetzen. Ich will keinen Krieg mit einem Partner, der unsere Zukunft sichern soll.

Faszinierend ist der Zusammenhalt, der in der Gemeinde herrscht. Die Menschen nehmen nach wie vor – teilweise unbezahlten – Urlaub, um anderen zu helfen.

Die Krise hat uns zusammengeschweißt. Männer tauchen mit Schaufeln auf, Frauen mit Kuchen und Kaffee – zumindest dieses Positivum haben die Muren mitgebracht: Die Gemeinschaft ist intakt, wir halten durch.

Afritz war bisher überregional lediglich als Heimat von Ski-Olympiasieger Matthias Mayer bekannt. Was bedeutet der Ruf als "Katastrophengemeinde" für die Tourismus-Destination?

Einige Betriebe haben stark gelitten, da Afritz ja ausgerechnet in der Harley-Davidson-Woche teilweise gesperrt war. Dass der Tourismus ebenfalls negativ betroffen sein könnte, glaube ich nicht. Sehr, sehr viele Stammgäste haben sich jetzt gemeldet und betont, dass sie uns treu bleiben werden – auch weil man weiß, dass nur ein Teil von Afritz von der Mure betroffen ist. Dadurch ist die Destination an sich nicht unsicher geworden.

Sie wirken in diesem Chaos stets gefasst. Wie sieht es hinter der Fassade aus?

Man muss funktionieren, ich kann ja nicht mit den Leuten verzweifeln. Ich bin Dienstleister am Bürger, der sich die Sorgen anhören und Lösungen anbieten soll. Jetzt eben umso mehr. Ohne Team, auf das ich mich verlassen kann und ohne Familie, die mir den Rücken stärkt, bin ich nichts. Ich bin ja nicht der, der alles regelt; nur der, der vorne steht und entscheidet.

Was passiert, wenn man bei den Freiheitlichen auf die Idee kommt, dass dieser smarte Krisenbürgermeister, der plötzlich überregional bekannt ist und medial eine gute Figur macht, eine bessere Funktionen bekleiden könnte.

Falls es meine Gesundheit zulässt, will ich noch einmal als Bürgermeister kandidieren. Über andere Positionen und Mandate wird man dann reden, wenn Wahlen anstehen. Aber unterm Strich soll ja meine jahrelange Tätigkeit als Politiker beurteilt werden, nicht meine aktuelle Funktion als Krisenkoordinator und Seelentröster.

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