Dem flachen Land gehen langsam die Ärzte aus

Dem flachen Land gehen langsam die Ärzte aus
Immer mehr kleine Landgemeinden haben Probleme, frei werdende Kassenstellen nachzubesetzen. Jungmediziner wollen sich den stressigen Job als Landarzt nicht mehr antun.

Es ist ein Rettungsversuch in letzter Minute: Das Land Kärnten und die Gebietskrankenkasse nehmen 100.000 Euro in die Hand, um Jungmedizinern die Ausbildung zum praktischen Arzt schmackhaft zu machen. Damit soll unter anderem das Gehalt, das Jungärzte in Lehrpraxen bekommen, aufgestockt werden.

Solche Anreize sind auch bitter nötig, denn Kärnten gehen langsam aber sicher die Landärzte aus. So versuchen Kasse und Kammer seit geraumer Zeit verzweifelt, einen Arzt für eine Ordination in Greifenburg im Drautal zu finden, die demnächst frei wird. Nicht weniger als 13 potenzielle Nachfolger haben bisher abgewunken.

Damit ist Kärnten kein Sonderfall: Im Wochenrhythmus schlagen derzeit Ärztevertreter in fast allen Bundesländern Alarm. Vor allem in entlegenen Landgemeinden wollen immer weniger Ärzte einen Posten als praktischer Arzt mit Kassenvertrag antreten. Dabei steht gerade jetzt eine große Pensionierungswelle bevor: Österreichweit sind derzeit knapp 33 Prozent der Kassen-Allgemeinmediziner älter als 62 Jahre. In spätestens drei Jahren haben sie das Pensionsalter erreicht. Zugleich wird Nachwuchs an Jungmedizinern immer geringer, warnt die Ärztekammer.

Mehr Kassenstellen

"Wenn sich nichts mehr ändert, werden wir 2030 nur mehr die Hälfte der derzeitigen Ärzte haben", sagt Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart. Er wiederholt gleichzeitig die alte Forderung der Kammer nach 1400 zusätzlichen Kassenstellen, um die Versorgung sicherzustellen.

"Das Schaffen neuer Stellen wird das Problem nicht lösen, wenn es keine Interessenten gibt", entgegnet ein Sprecher des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Aber auch dort ist man sich der Problematik grundsätzlich bewusst: "Es gibt immer weniger Uni-Absolventen, die als medizinische Einzelkämpfer aufs Land gehen wollen." Zudem werde die Medizin immer vielfältiger und spezieller. "Deshalb schließen sich Ärzte zunehmend in Gruppenpraxen zusammen, um sich in medizinischen Fragen absprechen zu können."

Zentren

In solchen Zusammenschlüssen – Gruppenpraxen, Primärversorgungszentren oder Ärzte-Netzwerke – sieht man im Hauptverband auch das Gegenmittel gegen die drohende Unterversorgung am flachen Land. Künftig wird demnach nicht mehr jede 2000-Seelen-Gemeinde ihren eigenen Hausarzt haben. Für einen Anfahrtsweg von einigen Kilometern bekommen die Patienten in solchen Zusammenschlüssen eine wesentlich bessere Versorgung geboten. Etwa in Zentren, in denen Ärzte mit Physiotherapeuten oder Diätologen zusammenarbeiten – und die von Montag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr geöffnet haben.

Freilich: Solche Systeme stecken immer noch weitgehend in den Kinderschuhen. "Das liegt aber auch an der Ärztekammer", heißt es im Hauptverband. "Leider herrscht hier Neuem gegenüber oft sehr viel Misstrauen."

KURIER: Welche Ursachen hat der Landärzte-Mangel?

Artur Wechselberger:Momentan ist es grundsätzlich schwierig, Ärzte für Kassenstellen zu finden, auch in den Städten. Es ist einfach nicht mehr attraktiv, in diesem Kassensystem zu arbeiten. Es gibt mittlerweile so viele Richtlinien von den Krankenkassen, die die Ärzte in ihrer Freiheit einengen. Sie wollen zum Beispiel nicht fünf oder sechs Sätze der Sozialversicherung lesen müssen, unter welchen Bedingungen sie ein Medikament verschreiben dürfen. Oder sie machen eine Verordnung für eine Physiotherapie und müssen dann erleben, wie sie vom Kontrollarzt zusammengestrichen wird, der den Patienten nie untersucht hat.

Was sind die spezifischen Probleme in den Landgemeinden?

Vom Landarzt wird erwartet, dass er über die normalen Ordinationszeiten hinaus erreichbar ist – sei es in der Nacht, sei es am Wochenende. Das schreckt vor allem die jungen Ärzte ab, die ein anderes Freizeitverhalten haben. Ich selbst war in den 1980er-Jahren Landarzt in einem Tiroler Bergtal. Für meine Generation war es selbstverständlich, dass man ständig für die Patienten da war. Heute gibt es auch viel mehr Ärztinnen. Sie haben ganz andere Lebensentwürfe, sie können nicht Tag und Nacht bereitstehen.

Spielt auch der Mangel an Jungmedizinern eine Rolle?

Es gibt wegen der aktuellen Pensionierungswelle immer mehr freie Stellen. Ab Mitte der 1970er-Jahre kam es zu einer Ärzteschwemme. Diese Ärzte kommen jetzt ins Pensionsalter. Anderseits sinkt die Zahl derer, die bereit sind, in Österreich den Arztberuf zu ergreifen. Die 25 Prozent Ausländer, die hier Medizin studieren, üben ihren Beruf später nur in einem sehr geringen Ausmaß in Österreich aus. Weiters gibt es immer mehr einheimische Uni-Absolventen, die nach dem Studium ins Ausland gehen. Insgesamt hatten wir noch vor sechs, sieben Jahren 1500 bis 1800 Absolventen pro Jahr. Heute sind es nur mehr 1300. Da viele davon ins Ausland gehen, reicht diese Zahl nicht, um den Bedarf zu decken.

Ihre Lösungsvorschläge?

Man muss den Ärzten Luft zum Atmen geben. Wir sehen ja an der zunehmenden Zahl von Wahlärzten, dass sie grundsätzlich sehr wohl im niedergelassenen Bereich arbeiten wollen. Wir müssen alles aus den Vertragsbindungen herausnehmen, was die Ärzte hemmt.

Aber lassen das die knappen Gesundheitsbudgets zu?Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Wenn die Patienten nicht im niedergelassenen Bereich versorgt werden, gehen sie eben in die Spitalsambulanz. Wenn sie zum Wahlarzt gehen, erspart sich die Kassa vielleicht etwas, die Kosten übernehmen dann aber die Patienten. Gesamtökonomisch betrachtet bringt also auch das keine Ersparnis. Auch nicht, wenn der Patient nicht optimal versorgt wird und sich dadurch längere Behandlungszeiten und Krankenstände ergeben.

Sollen Kassenärzte auch besser entlohnt werden?

Bestimmt. Die Steigerung der Honorare über die Jahre ist sehr flach. Aber die Zahl der zu versorgenden Patienten stieg bei einer gleich bleibenden Zahl der Vertragsärzte sehr stark an. Sie müssen in der gleichen Zeit mehr Patienten betreuen. Gleichzeitig muss man den niedergelassenen Bereich massiv ausbauen, um die Ärzte zu entlasten.

Los ist immer was in der Ordination von Dr. Günter Ranftl. "Vor allem in Grippezeiten", sagt der Praktiker aus Großpetersdorf im Südburgenland, können schon Mal 500 Patienten am Tag durch die Ordination gehen. "Ohne meine 30 Jahre Erfahrung im Spital wäre das nicht möglich", sagt der 59-Jährige. Seine Frau hilft ebenfalls aus, sie ist Allgemeinmedizinerin mit der gleichen Erfahrung.

Denn seit etwas mehr als einem Jahr, hat er eine ständige "Urlaubssituation", wie er sagt. Dabei hat er nicht viel Freizeit, sondern ganz im Gegenteil mehr Arbeit. Ein Kollege in der Gemeinde ging in Pension, Nachfolger für die Kassenstelle hat sich noch keiner gefunden.

Keine Bewerber

"Die Stelle wurde wieder ausgeschrieben und wieder gab es keine Bewerbung", sagt Burgenlands Ärztekammer Präsident Michael Lang. Kassenstellen zu besetzen werde immer schwieriger. "Es werden immer weniger Studenten fertig, die im Land bleiben", sagt Lang.

Zwei Praktiker gibt es noch in der Ortschaft, sie müssen sich die Arbeit aufteilen. "Es ist eine unbefriedigende Situation, jetzt ist die vierte Ausschreibung erfolgt, es hat sich leider niemand gemeldet. Wir hoffen, dass das irgendwann vorbei ist", sagt Bürgermeister Wolfgang Tauss. Der Ortschef glaubt auch, dass viele Ärzte Stellen mit einer Hausapotheke vorziehen würden, doch "wir haben eine Apotheke im Ort".

"Alter Hase"

Für Ranftl ist der Job ideal, "als alter Hase tue ich mir leichter als jemand, der frisch vom Spital kommt", sagt der Mediziner. Die meisten seiner Patienten würde er persönlich schon lange kennen. "Was mir abgeht sind längerdauernde Therapien, die gehen sich zeitlich nicht aus", sagt Ranftl. Therapeutische Handlungen müsse er in die Ordinationsfreizeit verlegen, "was ganz gut funktioniert". Doch neben den normalen Öffnungszeiten gibt es auch noch Visitationen, etwa zehn Patienten pro Tag besucht der Allgemeinmediziner noch zu Hause. "Meistens bin ich bis 18 Uhr am Abend unterwegs und dann mache ich noch die Schreibarbeiten", erzählt Ranftl. Ohne Unterstützung seiner Frau wäre die Arbeit nicht so einfach zu stemmen.

Als Grund für den Landärztemangel sieht er die Universität und, dass immer mehr Studenten viel Geld für die Ausbildung bezahlen. "Leute, die ein gewisses soziales Engagement, Empathie und soziale Intelligenz mitbringen fehlen, das wird bei der Aufnahmeprüfung auch gar nicht gefordert", meint Ranftl.

Überhaupt gebe es bei den jungen Ärzten einen Paradigmenwechsel. "Sie fordern eine bessere Work-Life-Balance", meint Ranftl, der selbst als Turnusarzt noch 22 Nachtdienste im Monat gemacht hat.

Hier müsste man die Landärzte entlasten. Im Bezirk Oberwart gibt es dafür ein Projekt, damit ein Allgemeinmediziner täglich von 17 bis 22 Uhr im Krankenhaus Dienst macht für akute Fälle und so die anderen Mediziner entlastet. "So wird zumindest die Lebensqualität verbessert", sagt Ranftl. Für ihn ist der Job auch mit der Mehrbelastung noch schön. "Bis 68 will ich noch arbeiten, sofern ich gesund bin", sagt der Mediziner, dem die Arbeit als Landarzt noch immer Spaß macht.

Um die in der Praxis seines Vaters installierte Hausapotheke gemeinsam mit der Ordination übernehmen und weiterführen zu dürfen, sorgte der Mediziner Bernhard Zöchmann im Vorjahr in Niederösterreich für Aufsehen. Als neuer Gemeindearzt in Neuhofen/Ybbs, Bezirk Amstetten, zog er in einen auf der grünen Wiese errichteten Container ein.

Die Interimspraxis mit 95 Quadratmetern Nutzfläche befindet sich außerhalb der im Vorjahr gültigen Schutzzone von sechs Kilometern zur nächsten öffentlichen Apotheke in Hausmening. Um die Groteske, dass mittlerweile wieder die frühere Zone von vier Kilometern gültig ist, die für die Ordination des Vaters im Neuhofener Ortszentrum maßgeblich war, kümmert sich Zöchmann nicht mehr. In 14 Tagen ist am neuen Standort Baustart für sein Wohnhaus samt neuer Ordination, die kommendes Jahr in Betrieb genommenen werden soll. Solange wird Zöchmann in den angemieteten Containern ordinieren.

Die Hausapotheke sei Voraussetzung für die vernünftige medizinische Versorgung am Land, argumentiert er. Zahlreiche Ärzte hätten sich bereits bei ihm informiert, berichtet der 39-jährige Notfallmediziner und Anästhesist. "Manche haben die Container-Lösung auch übernommen", erzählt er. In den vergangenen eineinhalb Jahren habe die Arbeit in den Containern eigentlich klaglos funktioniert, resümiert Zöchmann. Lediglich die Stromkosten im Winter für die Heizung und im Sommer für die Klimaanlage seien höher als in einem fixen Bauwerk.

Medizin-Terminal

Kurioserweise ist der Behelfsbau außerhalb des Neuhofener Ortszentrums sogar zu einer medizinischen Drehscheibe geworden. Zöchmanns Ehefrau Kathrin, Chirurgin im Klinikum Amstetten, hat eine gut angenommene Wahlarzt-Praxis im Container gestartet. Und durch die Ärztin Claudia Sandhofer, die hier Akupunktur-Therapien anbietet, sind die Behandlungsräume zwischen den gut isolierten Blechwänden bestens genutzt. Im künftigen Neubau könnten sogar noch mehr Ärzte ihre Ordinationen anmelden, hegt Zöchmann Zukunftspläne.

Zufrieden zeigt sich auch Neuhofens Bürgermeister Gottfried Eidler, ÖVP: "Mir sind keine Beschwerden bekannt. Die ärztliche Versorgung wird in der Bevölkerung sehr geschätzt. Wir sind sehr froh, dass wir Doktor Zöchmann als Gemeindearzt halten konnten. Das ist ja nicht mehr selbstverständlich."

In Gösta Maiers Ordination stehen die vollen Umzugskisten bereit zum Abtransport. Vor dem Gebäude parkt sein Wagen, der Kofferraum ist schon halb voll. Auch ein kleiner Anhänger steht bereit. Nach 30 Jahren als Hausarzt im Pongauer Bergdorf Mühlbach am Hochkönig hängt der 65-Jährige seinen Arztkittel an den Nagel. Ende des Monats geht er offiziell in Pension, am Freitag war sein letzter Arbeitstag. Der Umzug in die Südoststeiermark steht unmittelbar bevor.

"Rotz und Wasser" hätten sogar gestandene Männer angesichts des baldigen Abschieds geweint, sagt Maiers Frau Petra, die als Assistenz in der Praxis beschäftigt war. Mit dem Hausarzt fällt nun eine Vertrauensperson weg. "Die Leute wussten, dass alles, das sie uns erzählt haben, in der Praxis bleibt. Bei der Wurstverkäuferin wäre das unmöglich gewesen", sagt Petra Maier. Auch dem Arzt fällt es nicht leicht, dem Ort den Rücken zu kehren. "Für mich ist der Abschied ein Wermutstropfen. Ich hätte meine Leute gerne versorgt gewusst", sagt Maier.

Trotz aller Bemühungen hat sich nach Monaten der Suche kein Nachfolger gefunden. Das Dorf muss nun auf unbestimmte Zeit ohne Arzt auskommen. Zwar gebe es angeblich eine Bewerberin, sagt Maier. Die Frau sei aber noch nicht vorstellig geworden.

Für jene Dorfbewohner, die auf einen Arzt angewiesen sind, ist Maiers Abgang mit enormen Aufwand verbunden. Zehn Kilometer Bergstraße mit 77 Kurven trennen die Patienten vom nächsten Allgemeinmediziner in Bischofshofen. Für Ältere, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen seien, eine "Halbtagesreise", meint Maier.

Schlecht für Tourismus

Die 1600-Einwohner-Gemeinde überaltert zunehmend, sagt der Mediziner. Für die Jungen gebe es kaum Arbeitsplätze, sie ziehen weg. Der Wandel zur Tourismus-Destination sei noch nicht geschafft. Viele Bewohner hätten noch im Bergwerk gearbeitet, das in den 1970er-Jahren geschlossen wurde. "Für einen Fremdenverkehrsort ist es kein Aushängeschild, wenn es keine medizinische Versorgung gibt", sagt Maier.

Mühlbach sei im Bundesland "der Krisenfall schlechthin", kommentiert Walter Arnberger die aktuelle Lage. Er ist Kurien-Obmann der niedergelassenen Ärzte in der Salzburger Ärztekammer. Aufgrund der abgeschiedenen Lage wären für bettlägrige Patienten womöglich Transporte mit Krankenwägen notwendig, meint Arnberger. "Das bedeutet für die Sozialversicherung zusätzliche Kosten. Am besten ist immer die Versorgung vor Ort."

Probleme gebe es auch in anderen Gemeinden. In Werfen ist schon jahrelang eine Stelle für einen niedergelassenen Kassenarzt unbesetzt – allerdings praktizieren dort zwei weitere Mediziner. Selbst in der Stadt Salzburg sei seit Längerem ein Platz für einen Kassenarzt vakant.

Zur Situation in Mühlbach übt sich Walter Arnberger in Zweckoptimismus. "Es brennt unter den Nägeln. Aber wir sind noch guter Hoffnung, dass wir das hinbekommen."

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