Das Tagebuch einer Radikalisierung

Terrorverdächtiger Lorenz K.
Wie aus einem Kleinkriminellen ein mutmaßlicher Terrorist wurde und was die Lehre daraus sein kann.

"Der Islam ist eine gewaltverneinende Religion." Wer das gesagt hat? Der damals 16-jährige Lorenz K., der vor neun Tagen als inzwischen 17-jähriger mutmaßlicher IS-Terrorist festgenommen wurde. Was ist dazwischen passiert? Wie hat sich der in Österreich geborene Sohn albanischer Eltern radikalisiert? Der KURIER sprach mit dem Verteidiger, einem Schuldirektor, Bewährungshelfern und versucht, einen Lebensweg nachzuzeichnen.

Mit 15 Jahren – damals besuchte Lorenz K. als "kluger, aber leider fauler Schüler" (Einschätzung des Direktors) die neue Mittelschule in Neunkirchen, NÖ – geriet der Bursche auf kriminelle Abwege. Gemeinsam mit anderen verprügelte und beraubte er Passanten. Drei Mal landete er, unterbrochen von Enthaftungen und neuen Delikten wie Diebstählen, in U-Haft. Er wurde verurteilt und saß durch die Zeit in U-Haft insgesamt länger hinter Gittern, als die Strafe ausmachte, nämlich 13 Monate.

Suizid des Freundes

Im Gefängnis erhängte sich ein paar Zellen weiter sein gleichaltriger Freund und Komplize, das stürzte Lorenz K. in die erste schwere psychosoziale Krise. Er konvertierte vom christlich-orthodoxen Glauben des Elternhauses zum Islam. Seiner Betreuerin vom Bewährungshilfe-Verein Neustart erklärte er, dass einem der Islam sage, was Recht und Unrecht ist. Und er betonte, dass der Islam Gewalt ablehnt. Der 16-Jährige konnte Stellen aus dem Koran zitieren und belegen, dass das, was der IS tut, nämlich das Töten von Mitbrüdern, falsch ist. Das Thema beschäftigte ihn immer dann, wenn in seinem Leben etwas nicht gut lief. Zum Beispiel, als er seinen Lehrplatz verlor. Im Oktober 2015, nach der Entlassung aus dem Gefängnis, begann er in einer Glaserei zu arbeiten. Er fühlte sich von türkischen Kollegen provoziert. Und statt hinzuhauen, wie er es früher gewohnt war, verließ er lieber den Betrieb.

Inzwischen hatte Lorenz K. nämlich über Weisung des Gerichts ein Antigewalttraining absolviert. Diese doppelte Betreuung sei wichtig, sagt Andreas Zembaty von Neustart: Es soll neben der Beziehung zum Bewährungshelfer noch eine "Außenansicht" geben.

In der Situation flammte das Thema Islamismus wieder auf. Und wieder distanzierte sich der nun 17-Jährige vom Terror: "Der Westen hat den Kampf gegen den Islam begonnen", sagte er: "Aber mit Gewalt zu antworten ist nicht im Sinne des Islam."

Lorenz K. war damals zugänglich. "Er ist nie abgetaucht, wir mussten ihm nie nachlaufen", sagt Zembaty: "Er hat provoziert, und solange sie uns provozieren, haben wir als Sozialarbeiter noch eine Chance. Erst wenn sie uns meiden, wenn sie sich zurückziehen, setzen wir uns das Blaulicht auf." Das sei bei Lorenz K. aber nicht der Fall gewesen, es habe keine Alarmsignale gegeben.

Mithilfe des Job-Coachings vom AMS und aus eigenem Antrieb fand der Bursche rasch einen neuen Lehrplatz als Maurer. Er wohnte gemeinsam mit seinem älteren Bruder in einer kleinen Wohnung in Wien-Favoriten. Damit waren zwei von drei "einfachen positiven Lebensinhalten, die von der sektiererischen Interpretation der Religion wegführen", erreicht, sagt Zembaty: "Sie suchen ja alle eine bürgerliche Existenz, und damit ist der Bedarf an dem anderen weg."

Heiratspläne

Was fehlte, war eine Freundin. Die fand Lorenz K. in Deutschland. Das Mädchen ist bekennende Muslima, Lorenz K. besuchte sie Ende 2016 häufig. Die beiden wollten heiraten, aber ihre Eltern waren dagegen.

Das könnte der Knackpunkt sein, an dem Lorenz K. in den Dschihadismus abgerutscht ist (siehe unten). In Deutschland soll er in der Wohnung eines 21-jährigen Salafisten mit Sprengstoff hantiert und Kontakt zu einem 12-Jährigen geknüpft haben, der einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt geplant haben soll. Die Betreuer in Wien wussten davon nichts. "Den jungen Leuten den Islamismus bloß auszureden bringt gar nichts", sagt Zembaty. Eine Lehre aus dem Fall könne sein, "viel früher andere Leute, Deradikalisierungsexperten, einzuschalten."

Anwalt Wolfgang Blaschitz sieht in seinem Mandanten keinen potenziellen Attentäter, sondern ein "halbwüchsiges Bürschchen", das zu viel "Schwachsinn" in diversen Foren von sich gegeben hat.

Der Staatsschutz und die Justiz sehen das freilich anders. Lorenz K. alias "Sabur Ibn Gharib" soll seit April 2016 Terrorpläne geschmiedet haben. In einschlägigen Foren, die vorwiegend von Salafisten genutzt wurden, soll der 17-Jährige Anleitungen für eine "Selfmade-Bombe" verschickt haben.

Besonders Augenmerk hat der Verfassungsschutz auf einen Vorfall am 12. Juni 2016 gelegt.

An diesem Tag erschoss der IS-Sympathisant Omar Mateen in Florida 49 Menschen bei einem Attentat auf den Nachtclub "Pulse" in Orlando. Kurz darauf postete Lorenz K. auf seinem Twitter-Account : "In Orlando stürmte ein Mann einen Club, der mehrheitlich von Homosexuellen besucht wird//Omar Mateen//Möge Allah ihn belohnen, Amin!" (Amin ist einer der Beinamen des islamischen Propheten Mohammed, Anm.d.Redaktion)

Das Posting endet mit dem Symbol einer gezündeten Bombe.

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