Inszenierter Mord-Versuch: Burgenländer saß 5 Monate unschuldig in Haft

Von Gernot Heigl
Eingesperrt wegen des Mordversuchs an seiner Freundin, obwohl er nichts damit zu tun hatte: Ein realer Albtraum für einen alleinerziehenden Vater, der ab Juli 2020 fünf Monate schuldlos im Gefängnis saß und während dieser Zeit Erstkommunion und Geburtstag seiner damals acht- und heute 13-jährigen Tochter (Bild oben) versäumte. Das Volksschulmädchen wiederum verlor über Nacht seinen Papa und verstand die Welt nicht mehr.
Niemand kann sich vorstellen, wie furchtbar diese Zeit für mich war.
unschuldig in Haft
Beim Geschworenenprozess drohten dem Mann 20 Jahre Haft. In einem emotionalen Interview erzählen der freigesprochene Burgenländer und seine Tochter von dieser Zeit, sprechen über Angst, Verzweiflung, den Glauben an Gerechtigkeit, tägliche Gebete und Dankbarkeit.
„Ich bin ein waschechter Rechnitzer. Den Bart trage ich auf Wunsch meiner Tochter, weil sie wollte, dass ich wie Halvar aus der Fernsehserie ,Wickie und die starken Männer‘ aussehe“, lächelt der mittlerweile 37-jährige Bernd S. „Tatsächlich sind wir beide Hobby-Wikinger und nehmen in unserer Freizeit aktiv an Mittelalterfesten teil.“
Leben auf sechs Quadratmetern
„Auch wenn man es mir nicht ansieht, ich bin römisch-katholisch und sehr gläubig. Das hat mir durch die schwerste Phase meines Lebens geholfen, die ich völlig schuldlos in einer sechs Quadratmeter großen Zelle verbringen musste.“ Nachdenklich fährt der Burgenländer fort: „Niemand kann sich vorstellen, wie furchtbar diese Zeit war. Vor allem die Ungewissheit, wann ich wieder zu meiner Tochter kann. Ich bin ja nicht nur ihr Vater und alleine für sie verantwortlich, sie ist mein Ein und Alles.“
Mein Papa hat nichts gemacht. Das wusste ich. Aber dass das so lange dauert ...
Tochter des Inhaftierten
Beim Prozess am Landesgericht Eisenstadt im November 2020 drohten dem Rechnitzer zwischen zehn und 20 Jahre Gefängnis. Die Anklage: Mordversuch. „Ich habe zwar gewusst, dass ich nichts gemacht habe und unschuldig eingesperrt bin. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft waren anderer Meinung und auf einem Irrweg. Deshalb habe ich täglich dafür gebetet, dass es meinem Kind gut geht und die Behörden ihren Irrtum erkennen.“
Mir standen mehr als 1.000 Fotos zur Verfügung, teils sogar mit Blut vom Tatort.
Anwalt
„Im Gerichtssaal habe ich am ganzen Körper gezittert, hatte weiche Knie. Obwohl ich immer an Gerechtigkeit geglaubt habe, weiß man ja nie, wie so ein Verfahren ausgeht“, resümiert der Rechnitzer. „Als ich nach knapp zehnstündiger Verhandlung das Urteil gehört habe, fiel mir ein Stein, nein, ein Fels von meinen Schultern. Freispruch. Einstimmig. Alle acht Geschworenen haben den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft keinen Glauben geschenkt.“
Akribischer Anwalt
Sicher auch deshalb, meint Bernd S., „weil mein Anwalt durch seine akribische Arbeit die Geschworenen von meiner Unschuld überzeugen konnte. Ohne ihn wäre das vermutlich anders ausgegangen. Für seinen Einsatz bin ich ihm ewig dankbar.“
Verteidiger Gerhard Ederer erinnert sich noch gut an den Fall: „Mir standen mehr als 1.000 Fotos zur Verfügung, teils sogar mit sehr viel Blut vom Tatort. Die habe ich an einem Sonntag selektiert und die wichtigsten auf rund 20 Seiten zusammengebunden.“

Gerhard Ederer: „Mir standen mehr als 1.000 Fotos zur Verfügung, teils sogar mit Blut vom Tatort.“
15 Stück dieser „Broschüren“ übergab der Verteidiger an Richter, Staatsanwaltschaft und Geschworene. In Kombination mit seinen Erklärungen und den Gutachten der Sachverständigen wurde aufgezeigt, dass sich das vermeintliche Opfer die Verletzungen selbst zugefügt hatte. „Ich durfte noch am selben Tag nach Hause und nach verdammt langen 141 Tagen meine Tochter wieder in die Arme nehmen. Wir haben uns dann minutenlang nicht losgelassen.“
„Traurig und verzweifelt“
Und wie erging es der Tochter des unschuldig Inhaftierten? „Mein Opa hat sich um mich gekümmert, während Papa im Gefängnis war. Ich habe täglich mit ihm telefoniert und jeden Abend für ihn gebetet. Besuchen konnte ich ihn wegen Corona nur selten und wenn, dann war immer eine Scheibe zwischen uns. In dieser Zeit war ich total verzweifelt und sehr, sehr traurig“, schildert Lena. „Es war wirklich eine schlimme Zeit. Man hat mir ja meinen Papa über Nacht weggenommen. Deshalb musste ich meinen neunten Geburtstag ohne ihn feiern. Er war auch nicht bei meiner Erstkommunion dabei.“

Das inzwischen 13-jährige Mädchen weiter: „Mein Papa hat nichts gemacht. Das wusste ich. Deshalb habe ich fest an seine Freilassung geglaubt. Aber dass das so lange dauern wird … das hat mich total überfordert. Ich habe ihn so sehr vermisst. Er ist ja meine einzige Bezugsperson, da ich zu meiner Mama keinen Kontakt habe. Ich bin sehr dankbar, dass das alles so ausgegangen ist.“
So kam es zur Anklage
Verhaftet wurde Bernd S. am 5. Juli 2020, weil sich seine damalige Freundin, „eine Satanistin“, mit einem Skalpell selbst in den Hals gestochen und ihn dann fälschlicherweise als Täter beschuldigt hatte. Zur Polizei sagte die Frau, dass der Burgenländer sie ermorden wollte. Motiv dieser fatalen Lüge: Unzufriedenheit mit der Beziehung, von der sich das mutmaßliche Opfer nicht nur Sex, sondern mehr erwartet hatte. Das inszenierte Verbrechen glich einem Massaker, zumal die Frau ihr Blut in der ganzen Wohnung verteilt hatte.
Dass es davon, aber auch von wirrem Geschrei und okkultem Gefluche Videoaufnahmen – aufgenommen vom mutmaßlichen Täter – gab, beruhte auf einem reinen Zufall.
„Sie hatte schon zuvor zweimal solche Blutrituale abgehalten und sich tief in Arme und Beine geritzt. Da sie sich danach an nichts erinnern konnte, wollte ich die dritte Selbstverstümmelung aufnehmen und ihr später vorführen“, erinnert sich der Rechnitzer.

Vater und Tochter erinnern sich gemeinsam mit Anwalt Gerhard Ederer an die Zeit der fünfmonatigen U-Haft des heute 37-Jährigen zurück.
„Ich hatte ja keine Ahnung, dass meine Handy-Aufnahmen wichtige Beweise in einem Prozess gegen mich sein werden. Die Video-Sequenzen zeigten zwar nicht die Halsstiche selbst, aber sehr wohl das Szenario rund um das Tatgeschehen, da es im Vorfeld auch in diesem Fall zu blutigen Selbstverletzungen gekommen ist.“
Vom Tatort zur Polizei
Der geschockte Burgenländer alarmierte die Rettung und leistete seiner Freundin Erste Hilfe, obwohl sie ihn davor mit dem Skalpell bedroht hatte. Dann ging er in sein rund 40 Meter entferntes Haus, küsste seine Tochter auf die Stirn und sagte zu ihr: „Der Opa passt auf dich auf, ich muss schnell was erledigen und bin bald zurück.“
Er fuhr zur örtlichen Polizeidienststelle, um seine Zeugenaussage zu machen. So seine Annahme. Doch anstatt als Zeuge befragt zu werden, teilten ihm Kriminalisten mit, dass er wegen versuchten Mordes festgenommen ist und in Untersuchungshaft kommt. Der Beginn eines fünfmonatigen Albtraums für die Familie.
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