Rot-blauer Probegalopp ohne Sturz

Rot-Blau stützt sich im Landtag auf 20 der 36 Abgeordneten, nachdem der frühere SPÖ-Landtagspräsident Gerhard Steier bei der Angelobung aus der Partei ausgetreten ist
Die Regierung im Burgenland versteht sich auch als Gegenmodell zur rot-schwarzen Bundesregierung.

Ob Hans Niessl mit seiner Entscheidung für Rot-Blau im Burgenland Vorläufer für die Bundesregierung wird oder ein pannonischer Irrläufer bleibt – als politischer Stratege bleibt er über 2015 hinaus Vorbild: Der seit 2000 amtierende Landeshauptmann hatte bei der Landtagswahl Ende Mai mit 42 Prozent das größte Minus (6,3 Prozent) für die SPÖ seit 1945 und das zweitschlechteste Ergebnis seither zu verantworten und darf sich dennoch als Sieger des Polit-Jahres fühlen. Nicht nur, weil Burgenlands SPÖ als einzige Landesorganisation noch einen Vierer vorne stehen hat.

Fünf rote Regierungsmitglieder gab es nicht einmal zu Zeiten absoluter Mehrheiten von Theodor Kery, der von 1966 bis 1987 noch im Korsett des rot-schwarzen Proporzes regierte. Der ist seit Ende 2014 Geschichte, SPÖ und ÖVP hatten ihn als letzten Akt nach 70 gemeinsamen Regierungsjahren entsorgt.

Selbst Niessl-Skeptiker in der eigenen Partei anerkennen dessen Geschick, eine Wahlschlappe am runden Tisch in einen Triumph zu wenden. Das seit 1964 rot regierte Bundesland gehalten zu haben, dürfte in der Bundes-SPÖ den Grant über den Tabubruch übertrumpft haben. Niessl muss sich auch 2016 nicht vor einem Ausschluss aus der SPÖ fürchten, den sich Teile der Parteijugend gewünscht haben.

Blasse Blaue

Das liegt auch daran, dass die Blauen blass, soll heißen moderat geblieben sind. "Mit der FPÖ gibt’s keine Probleme", konnte Niessl zufrieden anmerken. Die Zurückhaltung der Freiheitlichen ist Kalkül. Erstens will die Partei nach dem Sprung auf 15 Prozent "zeigen, dass sie regieren kann", wie Landesrat Alexander Petschnig ankündigte. Zweitens will sich Rot-Blau im Burgenland als Alternative zum "Stillstand der rot-schwarzen Bundesregierung" empfehlen. Das Burgenland als kleine Welt, in der die größere ihre Probe hält. Dass die FPÖ im Burgenland überhaupt in der Regierung ist, zählt weit mehr als zählbare landespolitische Erfolge. Für Bundesparteichef Heinz-Christian Strache ist das eine Investition, deren politische Rendite er anderswo einzustreifen gedenkt.

Daraus erklärt sich auch die auffallende Ambitionslosigkeit der Freiheitlichen bei der Neuaufteilung der Einflusssphären. Bis auf einen mickrigen Aufsichtsrat bei der Energie Burgenland hat die kleine Regierungspartei keinen nennenswerten Platz an den Futtertrögen der Macht ergattert. Wer Posten im Blick hat, kann getrost auf Pöstchen verzichten. Geradezu unerwünscht sind aber negative Schlagzeilen, weshalb Sicherheitslandesrat Hans Tschürtz just in der blauen Fahnenfrage rund um die Flüchtlingskrise zum Wolf im Schafspelz wurde und lieber im Gleichschritt mit "seinem" Landeshauptmann die Hilfsbereitschaft der Burgenländer lobte.

Rote Alchemie

Das Heulen konnte er getrost der SPÖ überlassen. Erreicht wurde damit, dass statt 450 nur 100 Flüchtlinge nach Bruckneudorf kommen. Dass die Erfüllung der mit dem Bund vereinbarten Grundversorgungsquote weiter nicht erreicht wird? Ein weiteres Beispiel für die rote Alchemie, wie man flugs aus einem Minus ein Plus machen kann.

Auch wenn das gegenseitige Lob der Regierungspartner übertrieben klingt, wahr ist, dass beide das Maximum aus dem Wahlergebnis herausgeholt haben. In der rot-schwarzen Regierung fühlte sich immer zumindest ein Partner übervorteilt, gereizte Stimmung war die Folge.

Womit wir wieder bei der Signalwirkung für den Bund wären: Zur Blaupause für die Bundespolitik könnte nämlich nicht nur der Anfang einer neuen Regierungskonstellation werden, sondern auch das nachhaltige Ende einer alten. Wer immer die "Schuld" daran trägt, dass Rot und Schwarz nach der Landtagswahl nicht mehr zusammengekommen sind (unumstritten ist, dass die SPÖ viel besser, weil straff organisiert in den Showdown der Regierungsverhandlungen ging), innerlich morsch war die große Koalition schon lange vorher. Sehr viele in der SPÖ sind sehr froh, die Schwarzen endlich los zu sein und haben wenig Lust auf ein baldiges Wiedersehen. "Es steht außer Zweifel, dass die Koalition verlängert werden kann", gab Niessl unmissverständlich zu verstehen.

Keine rosigen Aussichten für die Opposition.

Offene Kritik an Rot-Blau ist in Burgenlands Sozialdemokratie rar. Der Neudörfler Bürgermeister Dieter Posch ist auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme. "Ich persönlich bin nicht sehr angetan davon, zumal die FPÖ eine menschenverachtende Politik betreibt", hatte der aus rotem Parteiadel stammende Ortschef der Industriegemeinde nach Bildung der Koalition im Juni kundgetan.

Und jetzt, ein halbes Jahr später? Posch bleibt bei seiner Ablehnung, wenn er auch einräumt, dass man in der täglichen Arbeit keine Veränderung bemerke: "Eine Regierung tut Dinge, die getan werden müssen", sagt der 55-Jährige, dessen SPÖ in Neudörfl mit absoluter Mehrheit regiert. Dass es allein aufgrund der Regierungskonstellation einen Rechtsruck gegeben habe, will er so taxfrei nicht unterschreiben. Aber eine Regierung habe nicht nur zu verwalten, sondern auch zu gestalten, ja gar Visionen zu entwickeln. Und da ortet Posch einen offenbaren Mangel. Die Protagonisten von Rot-Blau trügen dazu bei, dass man von außen den Eindruck gewinnen könne, das Burgenland igle sich ein, statt seine Aufgaben offensiv zu erfüllen. Die Landesregierung müsste bei den Gemeinden viel stärker für die Unterbringung von Flüchtlingen werben, damit das Land endlich die mit dem Bund vereinbarte Quote erfüllt. "Die gelebte Solidarität beim heiklen Thema Flüchtlinge geht mir ab", bedauert Posch.

In seiner Gemeinde werden seit mehr als einem Vierteljahrhundert Dutzende Flüchtlinge untergebracht, im rot-blauen Pakt wurde Neudörfl als Muster gelobt. Mitte August waren Landeshauptmann Hans Niessl und Soziallandesrat Norbert Darabos vor Ort. Darabos versprach, die Quote "in kurzer Zeit" zu erfüllen – gelungen ist das nur für kurze Zeit.

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