Nazi-Keller: ÖVP-Politiker als "bezahlte Statisten"?

Das Quintett, darunter zwei Gemeinderäte, sang im Film in einem Keller voller Nazi-Devotionalien.
Ex-Gemeinderäte haben späte Erklärung für Filmauftritt. Ulrich Seidl beteuert aber Authentizität der Szenen.

Ihr Amt sind sie los, ihre Reputation versuchen sie wiederherzustellen. Jene beiden burgenländischen ÖVP-Gemeinderäte, die in Ulrich Seidls neuem Film "Im Keller" singend in einem mit Nazi-Devotionalien gespickten Keller zu sehen sind, haben eine neue Erklärung für ihren Auftritt. Sie seien "vom Filmemacher bezahlte Statisten" gewesen, schreibt die Wochenzeitung "BVZ". Die Männer waren zurückgetreten, nachdem die Staatsanwaltschaft Eisenstadt am Freitag ein Ermittlungsverfahren wegen Wiederbetätigung eingeleitet hatte.

"Wir wussten wirklich nicht, was auf uns zukommt."

"Nach einem 'Hochzeitsspielen' sollten einige Musikanten als Statisten mitwirken. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht, was auf uns zukommt", zitiert die Zeitung einen der Männer, der erklärte: "Vier Komparsen wurden an diesem Tag ausgewählt, unterzeichneten einen Werkvertrag, wofür sie auch bezahlt wurden. Auch alle anderen Szenen wurden von Herrn Seidl arrangiert und inszeniert, auch die Requisiten und die Einrichtungsgegenstände wurden von ihm ausgewählt."

Sie hätten das Schriftstück, mit dem sie belegen könnten, dass sie "als Statisten" mitgewirkt hätten, erst am Montag auftreiben können, hieß es von den Beteiligten. "Wir grenzen uns entschieden von jeglichem NS-Gedankengut ab, wir haben oder hatten mit solchen Gräueltaten nie etwas am Hut", erklärten sie gegenüber der "BVZ".

Seidl beteuert Authentizität

Der Filmemacher Ulrich Seidl hat die Authentizität der Szenen seines neuen Films "Im Keller" erneut beteuert: Er wies am Montag gegenüber der APA die Darstellung der Mitwirkenden zurück, die Einrichtung sei von ihm ausgewählt worden. "Ich verstehe menschlich, dass sie versuchen, ihre Haut zu retten", sagte der Regisseur - dies hatte er auch schon zuvor in einem APA-Interview gesagt (siehe unten).

"Sie haben aber, genauso wie der Großteil der darüber schreibenden Journalisten, den Film noch gar nicht gesehen." sagte der Regisseur. Dass die Männer nicht gewusst hätten, was auf sie zukomme, ist aus Sicht des Regisseurs unrichtig. Die Mitwirkenden hätten tatsächlich eine Aufwandsentschädigung bekommen, sagte Seidl, "wie das bei Dreharbeiten allerorts normal und üblich ist, auch bei Dokumentarfilmen". Es handle sich aber bei dem Keller um einen von einer der handelnden Figuren eingerichteten Ort, der von ihm, seinen Freunden und anderen Dorfbewohnern "hunderte Male" besucht worden sei. Auch die Polizei habe von dem Raum gewusst.

Für den Regisseur spiegelt der Raum die Einstellung der in seinem Film handelnden Person wieder. Bei dem Protagonisten handle es sich nach Einschätzung des Filmemachers "um keinen Nazi, sondern einen Nostalgiker, der die Hitlerzeit verharmlost". Er sei "der Hitlerei verhaftet". Und so wie in dem burgenländischen Dorf gehe es vielerorts in Österreich zu.

Nachdem zwei burgenländische ÖVP-Gemeinderäte in Ulrich Seidls neuer Doku "Im Keller" in einem Raum voller Nazi-Devotionalien zu sehen sind, herrscht Aufregung. Der Regisseur versteht die Aufregung, weist jedoch im Telefonat mit der APA den Vorwurf zurück, die Szene sei "verzerrt" dargestellt worden. Dies hatte ihm der ÖVP-Bürgermeister der Gemeinde Marz, Gerald Hüller, vorgeworfen.

Herr Seidl, sind Sie überrascht von der Wucht der Berichterstattung rund um den "Nazikeller" und die ÖVP-Politiker, die darin zu sehen sind?
Ulrich Seidl:
Ja. Ich habe das ja auch nicht gewusst. Im Film werden sie weder namentlich genannt, noch gibt es Statements, was sie von Beruf sind oder welche Funktionen sie haben. Nun ist es ein Politikum geworden. Daher verstehe ich auch die Aufregung.

Seit wann wissen Sie, dass es sich um zwei ÖVP-Politiker handelt?
Auch erst seit gestern. Aufgrund des Berichts in den Nachrichten.

Es gab den Vorwurf, dass die Szene "verzerrt" dargestellt wurde...
Da muss ich gleich widersprechen: Das kann nicht verzerrt dargestellt werden. Es wird das gezeigt, was man sieht. Es ist ja auch nicht versteckt gefilmt worden und auch nicht in einer Überrumpelung. Wir haben damals mehrmals bei Herrn Ochs in den Kellerräumlichkeiten gedreht. Da kommt ja nicht nur das Nazi-Zimmer vor, sondern auch andere Räume und auch vor dem Haus haben wir gedreht. Die Szene ist quasi ein Fragment eines Porträts. Ich habe das eins zu eins so aufgenommen, es gibt auch nicht einmal einen Schnitt.

Nazi-Keller: ÖVP-Politiker als "bezahlte Statisten"?
Ulrich Seidl im Interview am 22.08.2014 in Wien

Gab es mit den Musikanten mehrere Drehtage?
Das weiß ich jetzt nicht mehr nach so langer Zeit. Aber natürlich ist es nicht so gewesen, dass die zufällig da waren und ich bin zufällig gekommen bin und das zufällig aufgenommen habe. Natürlich kannte ich allmählich Bekannte und Freunde von Herrn Ochs und Mitglieder dieser Kapelle. Ich habe die sicher vorher einmal kennengelernt, weil ich musste den Dreh ja auch organisieren und planen.

Wo Sie gerade von Planung sprechen: Im Presseheft zu "Im Keller" sagen Sie, dass die Szene mit der Frau und den Puppen erfunden ist, da sie eigentlich gar keine Puppen im Keller hat. Wie sieht es diesbezüglich in den anderen Szenen aus? Sind die näher an der Realität?
Ich sage dazu auch immer, es ist ein sehr gutes Beispiel, wie meine Arbeit funktioniert. Ich schöpfe aus der Wirklichkeit. Das ist für mich die Basis, aber es ist nicht so, dass ich einfach eins zu eins die Dinge aufnehme. Sobald man eine Kamera wo aufstellt, verändert sich die Wirklichkeit. Es gibt Handlungsstränge, die ich weiterführe, um zu zeigen: So könnte es sein. Die Frau, die das spielt, das hat etwas Wahres dran. Ich habe eine dieser Puppen in ihrer Wohnung gesehen und da ist die Idee aufgetaucht. Dass sie das spielt ist Fiktion, aber auf der anderen Seite - und das hat sie mir gestern gesagt - habe ich es ganz gut getroffen. Sie hat tatsächlich einen Kinderwunsch und konnte sich in die Szene reinfühlen. Sonst wäre es ja auch nichts geworden.

Aber bei der Szene mit den ÖVP-Politikern wurde nichts erfunden?
Das ist eins zu eins und nichts erfunden.

Die beiden ÖVP-Gemeinderäte sind mittlerweile zurückgetreten. Es gibt nun auch Ermittlungen. Wären Sie bereit, bei strafrechtlicher Verfolgung die Bänder des Drehs herauszugeben?
Wenn es verlangt wird, wird man das wohl machen. Aber ich bin mir sicher, dass es sich nicht um Wiederbetätigung handelt, soweit ich das einschätzen kann. Und ich habe mich ja beim Drehen damals schon auch rechtlich erkundigt: Es handelt sich um einen Privatraum. Ich verstehe, dass man das jetzt verfolgt und prüft. Da wird dabei nichts herauskommen. Er sagt ja selbst im Film im O-Ton, dass die Polizei schon öfter bei ihm war. Dass er diesen Raum hat, ist ja vorher bekannt gewesen.

Glauben Sie, dass die Szene auch so viel Staub aufgewirbelt hätte, wenn es sich nicht um Politiker gehandelt hätte?
Nein, das glaube ich nicht. Denn was ich jetzt in den Zeitungen lese, geht es gerade um das, dass ÖVP-Politiker in einer feucht-fröhlichen Runde unter einem Hitler-Bild sitzen. Und das geht natürlich nicht. Das verstehe ich schon. Das, was ich gefilmt habe, ist kein strafbarer Tatbestand. Es geht um die Verharmlosung dieser Vergangenheit. Und die finde ich allerorts in Österreich. Diese Szene ist ein Beispiel für vieles. Nicht jeder hat so einen Nazikeller, aber das Gedankengut ist da.

Wären sie politisch aktiv gewesen, hätten Sie die Szene so gedreht und veröffentlicht?
Das ist etwas, das für mich nicht relevant ist. Die Leute wurden ja nicht dazu gezwungen. Das sind ja verantwortungsbewusste erwachsene Menschen, und wenn sie bereit sind, als Mitglieder der örtlichen Musikkapelle sich da hinzusetzen neben den Ochs und zu trinken, dann wissen sie, was sie tun. Und das wird nicht das erste Mal gewesen sein für den Film. Man findet halt nichts dabei.

Bei der gestrigen Premiere waren auch einige Protagonisten des Films mit dabei. Die beiden ÖVP-Politiker und die restlichen Musikanten sowie Herr Ochs aber nicht, oder?
Nein. Die haben aufgrund des Wirbels abgesagt.

Haben Sie Sorge, dass sie sich gegen Sie wenden?
Das ist natürlich so. Der Film ist der Auslöser, dass sie Schwierigkeiten haben. Aber da kann man jetzt auch nichts mehr machen.

Tut es Ihnen leid, dass die beiden nun ihre Funktionen los sind?
Das tut mir nicht leid, dazu habe ich keine Nähe. Sie haben selbst Verantwortung zu tragen. Aber ich habe immer Probleme damit, wenn etwas zu einseitig dargestellt wird, was gewisse Boulevardmedien jetzt auch tun. Herr Ochs ist ein Mensch, den man nicht als Neonazi beschimpfen kann, das ist er nicht. Mein Zugang zu solchen Menschen ist immer ist ein anderer: ihn auch ambivalent darzustellen. Er hat andere Seiten. Er ist durchaus ein sympathischer Mensch. Es ist nicht mein Zugang, Leute zu verurteilen oder durch den Film ans Messer zu liefern. Ich bin kein Aufdecker-Journalist.

Haben die beiden Politiker angekündigt, Schritte gegen Sie zu setzen?
Ich weiß nichts davon. Ich habe mit denen auch gar nicht gesprochen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, welche der Fünf es sind.

Glauben Sie, dass der Film, der ja nächste Woche ins Kino kommt, nun aufgrund der Berichterstattung mehr Zuschauer haben wird?
Das kann ich nicht abschätzen.

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