Enteignungsalarm: Ungarn macht auf scharf

Enteignungsalarm: Ungarn macht auf scharf
Der Verkauf von Ackerboden an Nicht-Ungarn ist noch verboten. Viele Burgenländer machen dennoch gerne Geschäfte jenseits der Grenze.

Johann Wurzinger sitzt auf der Terrasse seine Hauses im burgenländischen Tadten und kann sich über die Aufregung rund um die Enteignung österreichischer Landwirte in Ungarn nur wundern. "Ich habe da überhaupt keine Befürchtungen. Ungarn ist ja noch immer ein Rechtsstaat. Wenn man die Ackerflächen legal erworben hat, braucht man keine Angst zu haben", sagt der Obmann der burgenländischen Rübenbauern.

Er und seine Familie besitzen seit Mitte der 1990er-Jahre rund 250 Hektar auf ungarischem Boden. Das war die Zeit, als die einst enteigneten Ungarn vom Staat als Entschädigung Anteilsscheine für Ackerland erhielten. "Diese konnten sie für Grund und Boden einlösen. Doch viele Familien hatten über Jahre keine Landwirtschaft mehr betrieben. Unsere weitschichtigen Verwandten in Ungarn und auch Bekannte haben uns damals gefragt, ob wir Interesse hätten", erinnert sich Wurzinger. Er kaufte die Anteilsscheine und ersteigerte sich ungarische Ackerflächen. "Sollte sich jemand zu Unrecht Grund erschlichen haben, dann soll das auch geahndet werden", sagt der Landwirt zur Diskussion um die sogenannten Taschenverträge (siehe Zusatzbericht unten, Anm.).

Doch nicht nur für die Bauern ist Österreichs östlicher Nachbar attraktiv. Viele Burgenländer haben sich "drüben" geschäftlich und privat niedergelassen.

Einer von ihnen ist Klaus Sommer. Dem Mörbischer wurde die Ungarn-Affinität in die Wiege gelegt. "Meine Großmutter ist in Ungarn aufgewachsen", sagt Sommer, der die Grenze zwischen dem Burgenland und Ungarn schon lange aus seinem Kopf gestrichen hat. In Mörbisch betreibt er das "dió" (zu Deutsch "Nuss", Anm.) , eine Greißlerei mit regionalen Spezialitäten samt Weinkantine, zu Hause ist er in Sopron, nur einen Steinwurf entfernt.

Verständnis

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"Der Hauskauf verlief nicht anders als in Österreich. Ich fürchte mich nicht", sagt Sommer, der auch für die Ungarn Verständnis zeigt. "Ungarn galt als Kornkammer der Monarchie, da geht es viel um Nationalstolz. In Mittel- und Ostungarn gibt es Dörfer, wo alle Flächen ringsum in ausländischer Hand sind. Das die Bevölkerung damit Probleme hat, verstehe ich", sagt Sommer.

Erhardt Eselböck hat die Liebe ins Nachbarland verschlagen. Der gebürtige St. Margarethener und Vater zweier Kinder betreibt in Mattersburg ein Optikergeschäft und lebt in Sopron. Zu den möglichen Enteignungen der Landwirte meint er: "Politische Entwicklungen muss man ernst nehmen. Es hat immer Spekulationen gegeben, dass manche nicht rechtmäßig an ihre Äcker gekommen sind: Dass sich diese fürchten, ist berechtigt. Aber grundsätzlich ist Ungarn ein Rechtsstaat mit EU-Direktiven, da kann auch Orban nicht einfach machen, was er will."

Vor 17 Jahren eröffneten Karl Harrer aus Mattersburg und seine aus Ungarn stammende Gattin Beatrix die erste Konditorei in Sopron, zwei Jahre später eine weitere mit größerer Produktion. 2009 erfüllte sich Harrer mit seiner Schokoladenwerkstatt einen Traum. Die Enteignungsdiskussion kennen die Harrers nur aus den Medien. Sie selbst haben keine Angst und fühlen sich sehr wohl: "Wir haben immer korrekt gehandelt", sagt das Ehepaar.

Alles korrekt ist auch bei Edith Sieber gelaufen, die 1992 das Autohaus Strauss in Szombathely gegründet hat. "Wir zahlen unsere Steuern und schaffen Arbeitsplätze", sagt Sieber. Drei Mal in der Woche ist sie vor Ort. Die Nähe zum Stammbetrieb in St. Michael sei ein Vorteil. Bereut habe sie den Schritt über die Grenze jedenfalls nie.

Enteignung für Leier kein Thema

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"Ich habe etwa 150 Grundstücke und Firmen in Ungarn gekauft, ich habe aber keine Angst", erklärt Unternehmer Michael Leier im KURIER-Gespräch. Der Aufruhr um Enteignungen von österreichischen Landwirten in Ungarn, kann den Unternehmer aus Horitschon nicht aus der Ruhe bringen.

Er sei der größte private Investor in Ungarn und ist seit 1985, also noch vor der Öffnung des Eisernen Vorhangs, in Ungarn mit einem Betonsteinwerk vertreten. Heute besitzt er mehrere Autohäuser, Ziegelwerke und andere Firmen an 16 Standorten. Außerdem hat Leier nach der Giftschlammkatastrophe in Devecser den Opfern geholfen und ist auch Ehrenbürger der ungarischen Stadt Györ. Der Ungarn-Experte sieht kein Problem für Unternehmer, die hier Fuß gefasst haben: "Gesetzlich ist es nicht möglich, einen Unternehmer zu enteignen."

Bei den Landwirten sehe die Sache anders aus. "Hier ist vor allem am Beginn viel passiert", weiß der Firmenchef. Denn der Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen an Nicht-Ungarn sei verboten.

Hintergrund

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Für Ausländer ist der Erwerb von Agrarflächen in Ungarn ein Hürdenlauf. Eigentlich ist ihnen der Kauf bis Ende April 2014 überhaupt untersagt. Denn erst mit dem zehnten Jahrestag des EU-Beitritts von Ungarn läuft ein von Brüssel gewährtes Moratorium endgültig aus.

Es gibt aber Ausnahmen vom Kauf-Verbot. Etwa für jene, die seit drei Jahren in Ungarn leben und im eigenen Namen landwirtschaftlich tätig sind und eine entsprechende Bestätigung haben. Erst mit dieser ist die Grundbucheintragung möglich. Derzeit tobt um diese Bescheide aber ein skurriler Streit. Denn bis Ende 2010 haben die Komitate (Verwaltungsbezirke) diese ausgestellt, ab 2011 war Budapest zuständig. Das scherte einige Komitate aber offensichtlich wenig. Sie haben weiter Bescheide ausgestellt, auf Basis derer Ausländer weiter im guten Glauben Gründe kauften. Die Überraschung bei den Käufern war entsprechend groß, als Budapest Anfang 2012 die Rückabwicklung der Geschäfte forderte. Die Fälle liegen nun bei den Gerichten, auch sechs Landwirte aus Österreich sind betroffen.

Von 1990 bis 1994, also nach der Ostöffnung und der Privatisierung von Flächen, konnte Agrarland ohne Einschränkungen gekauft werden – auch in Nationalparks. Diese Flächen will der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban nun aber in ungarische Hände zurückholen. Der Staat bietet Ausländern Ablösen von 2400 Euro pro Hektar, die Verkaufspreise sollen aber zwischen 6000 und 8000 Euro liegen. Ungarn droht jenen, die nicht verkaufen, mit Enteignung.

Nationalparks

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Bereits 1995 wurde aufgrund eines Verfassungsgerichtshof-Entscheides ein Gesetz gemacht, dass die Regierung verpflichtete, Gründe in Nationalparks zurückzukaufen. In den Jahren danach wurden vor allem im Puszta-Gebiet rund 200.000 Hektar zurückgekauft. Die Aktion wurde 2002, wohl aus Geldmangel, eingestellt. Jetzt will Orban das Vorhaben wieder vorantreiben, diesmal auch im Nationalpark Örseg, wo zwei österreichischen Grundbesitzern die Enteignung droht.

Findige Ausländer haben sich mit Taschenverträgen Flächen gesichert (siehe Bericht oben links) . Ungarische Experten meinen, dass es für bis zu einer Million Hektar Fläche solche Verträge mit Österreichern gibt. Aus Sicht von Ernst Zimmerl, Österreichs Agrarvertreter in Ungarn, ist das "maßlos übertrieben".

Die Verpachtung von Grund und Boden ist in Ungarn einkommenssteuerfrei und damit attraktiv. Dürfen Ausländer kaufen, steigen Nachfrage und Preis. Damit sinken die Renditen für ungarischen Investoren.

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