"Doch sie kamen nie am Berg an"

Die Erinnerungen an ihren Bruder begleiten Seilern auch im Alltag als Tierärztin.
Eine Angehörige erzählt, wie sie den 11. November 2000 erlebt hat und wie es ihr heute geht.

Das Unglück von Kaprun mit 155 Toten jährt sich zum 15. Mal. Eine Schülergruppe aus Güssing befand sich in der Seilbahn, die durch einen defekten Heizstrahler Feuer fing. Darunter auch der damals 15-jährige Bruder von Katharina Seilern.

KURIER: Wie haben Sie den 11. November 2000 erlebt?

Katharina Seilern: Ich habe mich auf den Weg nach Wien gemacht, um das Wochenende dort zu verbringen. Bevor ich das Haus verließ, kam mir meine Schwester weinend entgegen mit den Worten: ,In Kaprun brennt eine Bahn’. Ich beruhigte sie und meinte, dass es viel zu unwahrscheinlich wäre, dass jemand von unserer Gruppe gerade in dieser einen Seilbahn fahren würde. Dann ging ich zum Bus. Da mich jedoch ein unwohles Gefühl begleitete, bat ich den Busfahrer, die Nachrichten lauter zu drehen und fing an, meinen Bruder und meine Freunde, die mit ihm unterwegs waren, anzurufen. Kein einziges Läuten. Nach vielen Versuchen erreichte ich den Gruppenleiter, der bereits am Berg war und meinte, die Buben müssten alle gleich da sein. Doch sie kamen nie am Berg an.

Haben Sie Unterstützung angeboten bekommen?

Ja. Uns wurde unter anderem auch angeboten, mit Fachleuten in den Tunnel an die Stelle des Unglücks zu gehen. Mir war es wichtig, den Platz zu besuchen, an dem mein Bruder sein Leben verloren hat, und wurde dabei bestens betreut und unterstützt. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, welches erstaunlicherweise sehr positiv war und gut getan hat. Als ich den Tunnel wieder verlassen hatte, hatte ich den Eindruck, einen kleinen Teil meiner Trauerarbeit hinter mir gelassen zu haben.

Wie geht es Ihnen heute?

15 Jahre nach dem Unglück, ist mein Hauptgedanke: Wie kann das schon 15 Jahre her sein?! Ich lebe und arbeite seit drei Jahren in London und das Leben ist schön. Selbstverständlich trägt man die Trauer, aber vor allem die liebevolle Erinnerung an die Verstorbenen mit sich, jedoch ist es wichtig, an den schönen Zeiten festzuhalten und dankbar zu sein, dass man einen Teil des Weges mit seinen geliebten Menschen gehen durfte.

Wann fehlt Ihnen Ihr Bruder besonders?

Die Erinnerung an meinen Bruder ist ein ständiger Begleiter. Mittlerweile in einem schönen Sinne. In einem Restaurant sitzend und seine Lieblingsspeise zu bestellen oder ein Buch in die Hand zu nehmen, welches er mit Enthusiasmus gelesen hat,... all diese Dinge erinnern an ihn, rufen ihn in unsere Gedanken zurück. Das ist das Wunderbare am Leben: Auch wenn etwas schrecklich Tragisches passiert – das Leben geht weiter und wir lernen mit den Verlusten umzugehen und im besten Falle zu etwas Positivem zu wenden.

Was sagen Sie zu dem Freispruch der Angeklagten?

Das Seilbahnunglück ist genau das: ein Unglück. Ein schreckliches und sehr trauriges Geschehnis, aber dennoch ein Unglück. Keiner hat mit Absicht das Leben von so vielen Menschen riskiert. Selbstverständlich tragen viele Angehörige noch Wut mit sich, was ich auch nachvollziehen kann. Der Gedanke jedoch, dass einzelne Personen die Verantwortung am Tod von 155 Menschen tragen sollen, ist mir ein völlig fremder.

>> Zum Artikel "Kaprun: Versöhnung und Verbitterung 15 Jahre danach"

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