Die Ungarn, unsere allerliebsten Nachbarn

Die Ungarn, unsere allerliebsten Nachbarn
Die gemeinsame Vergangenheit verbindet trotz aller Schwierigkeiten, Ungarn sind als Arbeitnehmer und Konsumenten gefragt

Der liebste Ungar ist den Burgenländern ein Weltbürger: Der Komponist und Klaviervirtuose Franz Liszt (Liszt Ferenc), 1811 im damals westungarischen Raiding (Dobornya, Doborján) in einem deutschsprachigen Haus geboren, bekannte sich zeitlebens zu seinem Magyarentum, an der erratischen Sprache scheiterte aber auch er kläglich. Als er mit 18 Jahren versuchte, Ungarisch zu lernen, schreibt Paul Lendvai in seinem Kompendium „Die Ungarn“, habe der junge Liszt „nach der fünften Stunde bei dem Wort tántorithatatlanság (Unerschütterlichkeit) entnervt aufgegeben“ .

Das versteht unsereins nur zu gut, kaum einer schafft es mehr als köszönöm szépen (vielen Dank) über die Lippen zu bringen, während scheinbar fast alle Ungarn – oder zumindest die aus den westlichen Komitaten – so gut Deutsch sprechen, dass sie hier leicht Fuß fassen.

Erwünscht, verwünscht

Wobei: Bis 1918 war das heutige Burgenland, wiewohl überwiegend deutschsprachig, ohnehin Teil der ungarischen Reichshälfte der Doppelmonarchie. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der schmale Landstreifen samt den hier lebenden kroatisch- und ungarischsprachigen Minderheiten Österreich zugesprochen, aber erst im Spätherbst 1921 war es tatsächlich so weit. Ungarn hatte zuvor unter Einsatz diplomatischer und politischer Mittel versucht, den Verlust abzuwenden. Im Gegenzug musste das neue österreichische Bundesland auf die logische Hauptstadt Ödenburg verzichten, eine Volksabstimmung brachte eine Mehrheit für den Verbleib Soprons bei Ungarn.

Vielleicht ist es die Vergangenheit, die Ungarn trotz aller Spannungen heute einen Bonus verschafft. „Von allen EU-Bürgern haben Ungarn bei uns immer noch das beste Image, vor allem in Ostösterreich“, ist Gerhard Baumgartner überzeugt. Der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes gehört selbst zur Volksgruppe der Burgenland-Ungarn und hat sich als Historiker und Journalist mit dem Nachbarn befasst.

Umgekehrt stehen offenbar auch Österreich im Allgemeinen und das Burgenland im Besonderen bei Ungarn hoch im Kurs. Haben im Jahr des EU-Beitritts unserer Nachbarn 2004 nur 1634 ungarische Staatsbürger im Burgenland gewohnt, waren es 2017 schon 5303, erst danach folgen Slowaken und Deutsche.

Arbeiten, konsumieren

Noch viel präsenter sind Ungarn am Arbeitsmarkt. Sie stellen fast zwei Drittel der zuletzt rund 24.300 ausländischen unselbstständig Beschäftigten. Zu viele meinte die rot-blaue Landesregierung bei ihrem Amtsantritt im Sommer 2015 und wälzte unter dem Schlachtruf „mehr Beschäftigung für Burgenländer“ Pläne, den Ausländeranteil zu senken. Auch wenn das in manchen Landesbetrieben gelungen sein mag, gesamtwirtschaftlich ist das genaue Gegenteil passiert, der Ausländeranteil ist seither von 22,6 auf 24,2 Prozent gestiegen.

Es sind längst nicht nur Kellner, Handwerker oder Stubenmädchen, im Eisenstädter Krankenhaus etwa kommen bereits rund zehn Prozent der 200 Ärzte aus Ungarn. Gegen eine Abschottung spricht nicht nur EU-Recht, sondern auch der Hausverstand. Ungarische Konsumenten lassen jährlich 120 Millionen Euro im Burgenland und helfen damit, die negative Kaufkraftbilanz des Burgenlandes zu den beiden westlichen Nachbar-Bundesländern NÖ und Steiermark auszugleichen.

Dass wieder zusammenwächst, was einst zusammengehörte, glaubt Historiker Baumgartner dennoch nicht. Und er verhehlt nicht, dass ihn die aktuelle politische Lage in Ungarn „sehr traurig“ stimme. Ministerpräsident Viktor Orbán wird gewiss nicht mehr sein liebster Ungar.

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