Zwischen Ost und West: Geteiltes, Gespaltenes, Uneiniges Europa

Zwischen Ost und West: Geteiltes, Gespaltenes, Uneiniges Europa
65 Jahre KURIER, in denen unsere politische Redaktion immer ein Thema begleitet hat: der Ost-West-Konflikt.

Es ging nur um Nutella und um Fischstäbchen, doch das genügte, nicht nur um Schlagzeilen zu machen, sondern auch, um Staats- und Regierungschefs auf die Barrikaden zu bringen. Von Warschau bis Prag und Budapest wurde der sogenannte „Nutella-Streit“ vor zwei Jahren zum groß angelegten Politikum, der nicht nur die dortigen Regierungen, sondern bald auch die EU beschäftigte. Konsumentenschützer in mehreren Ländern Ostmitteleuropas hatten herausgefunden, dass es bei unzähligen Produkten klare Qualitätsunterschiede gab. Was im Westen Europas auf den Markt gebracht wurde, war einfach deutlich besser, als das, was die Konsumenten in den ehemals kommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa vorgesetzt bekamen.

„Ein zweitklassiges Land“

Der Anlass schien banal und im Westen wurde die Angelegenheit meist unter ferner liefen abgehandelt. Die Medien in Ungarn oder der Slowakei aber machten Schlagzeilen damit. In Kommentaren brach unverhohlen der lange aufgestaute Unmut heraus. Von „Lebensmittel-Rassismus“ sprachen polnische Medien, „Zweitklassiges Essen für ein zweitrangiges Land?“ fragte eine ungarische Tageszeitung.

Die Regierungen sprangen umgehend auf den fahrenden Zug auf. Schließlich fuhr der ohnehin in eine politische Richtung, die ihnen gerade gelegen kam: Die anhaltende Benachteiligung ihrer Länder in der EU zu betonen. Die Regierungschefs stiegen auf die Barrikaden, beriefen Krisengipfel zu Nutella und Fischstäbchen ein und pilgerten gemeinsam nach Brüssel, um die EU-Spitzen zur Rede zu stellen.

Nur ein aktueller Anlassfall für ein sehr grundsätzliches Problem. Zwischen den Staaten dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs ist in den vergangenen Jahren wieder eine politische und soziale Kluft aufgegangen. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer wird die gefeierte Einigung Europas von einer neuen Uneinigkeit abgelöst.

Putin und sein „nahes Ausland“

Die EU würde die Menschen in Ostmitteleuropa, aber auch auf dem Balkan nur als Bürger zweiter Klasse betrachten, ist die Überzeugung, die in diesen Ländern tief verwurzelt ist und die von den amtierenden Populisten geschickt für ihre politischen Zwecke benützt wird – von Ungarns Viktor Orban bis zu Polens politischem Machthaber im Hintergrund, Jaroslaw Kaczynski.

Und dann gibt es noch jemanden, der sich diese Grundstimmung politisch zunutze macht: der russische Präsident Wladimir Putin.

In den ehemaligen Sowjetrepubliken – Moskau nennt sie heute „nahes Ausland“ – schreckt man heute nicht davor zurück, militärisch zu intervenieren. Das Spektrum reicht von der Invasion in Georgien 2008 bis zur Annexion der Krim 2014 oder der militärischen Intervention in den separatistischen Regionen der Ostukraine. Während man in Georgien reguläre Truppen einsetzte, bedient man sich in der Ukraine subtilerer Mittel. Das russische Militär setzt also Spezialeinheiten ein, die oft nicht in offiziellen Uniformen, sondern gut getarnt ihre Operationen durchführen. Unterm Strich aber demonstriert Moskau seine Bereitschaft, Interessen auch militärisch durchzusetzen.

In den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, die heute Mitglieder der EU sind, beschränkt man sich auf wirtschaftliche Mittel, um Einfluss zu gewinnen. Als einer der größten Erdöl- und Erdgasproduzenten und Förderer wichtiger Rohstoffe hat man ja einiges zu bieten. Die Regierungen in Ostmitteleuropa, die in der EU ohnehin gerne die bösen Buben geben, die sich ihre eigenen politischen Spielregeln schreiben, steigen bereitwillig darauf ein. Die Wut auf den Westen wird so gezielt genau dort wieder angefacht, wo man sie Generationen von Bürgern in den Zeiten des Kommunismus ohnehin eingetrichtert hat. Ein Echo des Kalten Krieges, das im uneinigen Europa von heute bedenklich laut widerhallt.

Konrad Kramar, „Neue Grenzen, offene Rechnungen – Eine Reise durch Europas unbewältigte Geschichte“, Residenz Verlag

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1948: Rosinen statt Bomben

Manche erwarten ihn mit Argwohn und der Zweite Weltkrieg ist kaum zu Ende, schon bricht ein neuer Konflikt aus, der Europa spalten wird: der Kalte Krieg. Einer der ersten und über Jahrzehnte wichtigsten Schauplätze ist Berlin. Die in Trümmern liegende ehemalige Hauptstadt ist in drei westliche und eine sowjetische Besatzungszone getrennt. Stalin lässt 1948 den Westsektor von der Versorgung mit Strom und Lebensmitteln abriegeln. Die westlichen Alliierten reagieren und versorgen die Stadt aus der Luft. Der trockene Berliner Humor tauft die Flugzeuge bald „Rosinenbomber“. Schließlich muss Stalin einlenken.

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1961: Der Schutzwall als Gefängnismauer

Die 1949 gegründete DDR fällt im wirtschaftlichen Wettrennen mit der BRD immer weiter zurück. Während im Westen das Wirtschaftswunder Massenwohlstand bringt, dominiert im kommunistischen Osten Mangelwirtschaft. Verschärft wird die Situation durch die Flucht Zehntausender DDR-Bürger in den Westen. Dem Land gehen  Fach- und Führungskräfte verloren. Nach dem von Sowjettruppen blutig niedergeschlagenen Aufstand 1953 verschärft die Regierung ihren diktatorischen Kurs. Entgegen aller Versprechungen von KP-Chef Walter Ulbricht wird im Sommer 1961 in Berlin mit dem Bau des „antiimperialistischen Schutzwalls“  begonnen, der Berliner Mauer.

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1986: Wettrüsten und Raketenzählen

Unter Ronald Reagan intensivieren die USA in den 1980ern die Aufrüstung in Westeuropa. Mittelstreckenraketen als Antwort auf neue Raketen der Sowjets werden in  Deutschland installiert. Damit gerät die wirtschaftlich, aber auch militärisch kriselnde Sowjetunion unter Druck. Unter dem neuen KP-Chef Michail Gorbatschow werden die Abrüstungsgespräche mit den USA intensiviert. Diese laufen zwar seit Ende der 1960er-Jahre, nun aber erzielt man mit dem INF-Vertrag, der die Vernichtung aller landgestützten Mittelstreckenraketen vorsieht, einen Durchbruch. Die Sowjetunion kann ohnehin im Wettrüsten nicht mehr mithalten.

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1989: Das Ende des Ostblocks

Zuerst die politische Wende in Polen, dann die Öffnung des Eisernen Vorhangs an der ungarischen Grenze. 1989 wird das Jahr, in dem das kommunistische Osteuropa politisch kollabiert. Höhepunkt ist  der Fall der Berliner Mauer am 9. November, der die Wiedervereinigung Deutschlands einleitet. Mit Ausnahme des Umsturzes  in Rumänien, der sich später als Geheimdienst-Putsch entpuppen sollte, läuft die Wende in Osteuropa unblutig ab. Die Staaten nehmen von da an Kurs auf den Beitritt  zu EU und NATO. Doch das Zusammenwachsen Europas sollte viel länger dauern und auf viel mehr Schwierigkeiten stoßen, als man das damals erwartete.

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2014: Moskaus langer Arm

Der politische  Umbruch in der Ukraine 2014 bringt das Land auf West- und EU-Kurs. Moskau reagiert mit politischem Druck. Die Halbinsel Krim wird zum Brennpunkt des Konflikts, da die russische Marine dort einen Flottenstützpunkt hat. Nach Ausschreitungen prorussischer Gruppen auf der Krim, in die auch russische Militärs in Tarnung eingreifen, fällt bei einem Referendum unter demokratisch zweifelhaften Bedingungen die Entscheidung für den Anschluss  an Russland. Er wird  im März 2014 vollzogen. Zwei pro-russische Regionen im Osten der Ukraine erklären ebenfalls ihre Unabhängigkeit: Ein Krieg, der bis heute anhält, beginnt.

2018: Putins Freunde in Europa

Ob billiges Erdgas für Ungarn oder günstige Kredite und großzügige Wirtschaftsabkommen für Serbien: Russlands Präsident Wladimir Putin weiß, wie man wirtschaftliche Beziehungen in politischen Einfluss ummünzen kann. In den ehemals kommunistischen Staaten Ostmitteleuropas, die heute EU-Mitglieder sind, aber auch vielerorts auf dem Balkan ist der russische Präsident gerne gesehener Gast. Auch  über soziale Medien nimmt Russland Einfluss auf die Meinungslage in Staaten, die sich von der EU gering geschätzt fühlen.

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