"Wenn andere feiern, steigen wir in Häuser"

"Wenn andere feiern, steigen wir in Häuser"
Verfallene Villen, leerstehende Fabriken, gruslige Ruinen: Zwei Studenten fotografieren hinter den Fassaden Wiens.

An den Jalousien merkt man es immer. Sind sie zerbrochen, durchlöchert, verschoben, steht das Haus aller Wahrscheinlichkeit nach leer. Dann suchen Franz und Ferdinand nach angelehnten Türen, offenen Fenstern oder unverschlossenen Hintereingängen. Die beiden Studenten sind Urban Explorer. Sie steigen in verfallene Ruinen einst herrschaftlicher Villen ein, erklimmen Baugerüste und Kräne, klettern hinab in die Kanalisation oder hinauf durch den Schlot einer stillgelegten Fabrik.

"Uns interessiert die Stadt hinter der Stadt, die unerforschte, oft schmutzige Welt hinter Wiens Kulissen", erklärt Ferdinand die Motivation hinter den ungewöhnlichen Exkursen. Seit 2012 begeben sich die Mittzwanziger hinter Fassaden und in luftige Höhen, zumeist mitten in der Nacht. Ihre Ausrüstung: Kamera, Mini-Stativ, Stirnlampe. Zunächst wählten die Stadterkunder klassische Spots der Urban-Exploring-Szene Wiens wie die Flaktürme oder den Wienfluss-Kanal. Mittlerweile ist jedes Baugerüst und jede Feuerleiter ein potenzieller Eingang. Dabei kommen immer wieder skurrile Fundstücke zu Tage. In einem alten Finanzamt stießen die beiden auf einen Stapel Pornohefte aus den Achtzigern. "Frauen mit extremen Dauerwellen und Männer mit Schnauzer im Glitzergilet", beschreibt Franz schmunzelnd. Die Schmuddelheftchen mit Sammelwert haben die beiden Urban Explorer nach kurzem Abwägen mitgenommen. Aber für gewöhnlich wird nichts eingesteckt. Ganz nach dem Motto, das auch in US-amerikanischen Nationalparks vorherrscht: Nimm nichts mit außer Fotos, lass nichts zurück außer Fußabdrücke.

Die andere Seite Wiens

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Denn Franz und Ferdinand geht es nicht nur um Draufgängertum und den Kick des Verbotenen, sondern vor allem um die Dokumentation ihrer Erlebnisse. "Wir fotografieren bei unseren Erkundungen, um diese Orte den Menschen zugänglich zu machen. Davon lebt Urban Exploring." Dabei entstehen Zeugnisse von längst vergangenen Existenzen, die auf bedrückende, oft beinahe morbide Weise faszinieren. Die beeindruckendsten Bilder stellt Ferdinand anschließend auf den 2012 gegründeten Blog "Die 78er - Institut für Stadterkundung". Auch zwei Ausstellungen ihrer Werke hat das Duo bereits organisiert.

"Unser Hobby ist aber schon auch Wohlstandssyndrom. Wer in Wladiwostok wohnt, wo jedes zweite Haus verfällt, hat andere Probleme, als diese Ruinen zu dokumentieren. In einer hochpolierten Stadt wie Wien ist es einfach etwas Besonderes, einen blinden Fleck zu finden", fassen die zwei jungen Männer nüchtern zusammen.

Rechtliche Grauzone

"Wenn andere feiern, steigen wir in Häuser"
Franz und Ferdinand heißen in Wirklichkeit eigentlich gar nicht Franz und Ferdinand. Ihre echten Namen wollen die Studenten nicht veröffentlichen. Denn juristisch betrachtet, ist Urban Exploring eine Grauzone. Laut Rechtsanwalt Michael Borsky handelt es sich bei den Erkundungen um keinen Hausfriedensbruch – schließlich wohnt ja niemand mehr in den Gebäuden. Da sich die beiden Studenten nicht gewaltsam Zutritt zu den Gebäuden verschaffen, liegt auch keine Sachbeschädigung vor. Allerdings könnten Hauseigentümer womöglich auf Besitzstörung klagen.

Die beiden Erkunder seien aber ohnehin noch nie bei ihren Ausflügen erwischt worden – zumindest nicht von der Polizei. Dafür habe man ein obskures Gemisch aus Obdachlosen, Drogenabhängigen, Securities, Paintballspielern und Sprayern bei den nächtlichen Exkursen getroffen.

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