Im Chelsea kann keiner normal bleiben

Im Chelsea kann keiner normal bleiben
Zu Dee Dee Ramones 10. Todestag erscheint "Chelsea Horror Hotel" erstmals auf Deutsch. Grotesk, liebenswert - und: "Mit keinem Vorwort von Sid Vicious".

Jerry vom Front Desk pflegte zu sagen: "Du wirst hier mit den Füßen zuerst rauskommen, so wie es alle tun." Ein echter Sonnenschein, dieser Jerry. Er sprach eben aus Erfahrung.
Mit dem Auszug aus der Gästeliste des Hotels Chelsea, wo Jerry über Jahrzehnte diensthabendes Faktotum spielte, lassen sich Literatur- und Rock-’n’-Roll-Lexika füllen. Und Polizeiregister. Im berüchtigten Chelsea Hotel, musikalisch unter anderem von Leonard Cohen verewigt, checkten einst Marc Twain und Dylan Thomas (er soff sich hier ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte), Thomas Wolfe und Henry Miller ein, später kamen die Beatniks Ginsberg und Kerouac, noch später Andy Warhol und Edie Sedwick.

Heute ist es Pilgerstätte für Touristen auf der Suche nach einer der schaurigsten Weihestätten des Punk. Das sagenumwobene Zimmer 100, in dem 1978 Sid Vicious’ Geliebte Nancy Spungen gefunden wurde. Er hatte sie im Drogenrausch erstochen, ein Jahr später starb er im selben Zimmer an einer Überdosis.

Der Teufel persönlich

Im Chelsea kann keiner normal bleiben

"Keiner kann hier normal bleiben", lautet der lapidare Befund von Dee Dee Ramone, Bassist der Punkband The Ramones, über das Hotel, in dem er viele Jahre lebte. Im Wahn, von den Ereignissen in eben jenem Zimmer 100 verfolgt zu werden (und unter dem Einfluss diverser Substanzen) schrieb er einen schrägen Splatter-Roman, der gleichzeitig eine liebevolle, hochkomische Hommage an das berühmte Künstlerhotel ist.

Erinnerungen an die "guten alten Tage" und eine durchgeknallte Odyssee durch Manhattan. Er erzählt von seinem Aufenthalt in New Yorks legendärer Absteige, wo er mit seiner Frau Barbara eines der rasend schäbigen Zimmer bewohnt. Die Zeit verbringt er mit Spaziergängen durch Manhattan mit seinem Hund Banfield, mit dem er sich blendend unterhält, und der Jagd nach Drogen. Seine Nachbarn kann er nicht leiden und er versucht, sich aus den ständigen Querelen rauszuhalten. Was nicht überzeugend gelingt, denn eines Tages betritt der Teufel höchstselbst die skurrile Hotel-Arena.

Im Chelsea kann keiner normal bleiben

Zu Dee Dee Ramones zehntem Todestag hat der Milena-Verlag das groteske "Chelsea Horror Hotel" nun erstmals auf Deutsch herausgebracht. Kundig übersetzt von Matthias Penzel, der dem schrägen Oeuvre einen detailreichen Anhang über das sagenumwobene Zimmer 100 sowie, gemeinsam mit Vanessa Wieser, einen Abriss über das "Who’s who der Bekannten und Unbekannten, der Toten und Untoten im Chelsea Hotel" hinzugefügt hat.

The New Yorker schrieb über das Buch, es würde wohl Nietzsche gut gefallen, der gepredigt hatte: "Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was einer mit seinem Blute schreibt."

Kommentare