Leben/Wohnen & Design/Wohnen

"Es geht um Substantielleres"

KURIER: Der Architektursommer geht heuer zum ersten Mal über die Bühne. Welche Gründe waren dafür ausschlaggebend?
Markus Bogensberger:
Ziel ist es, einen größeren Teil der Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, dass gebaute Umwelt ein wichtiger Lebensbereich ist. Viele setzen sich mit dem Thema auseinander und leisten hochqualitative Arbeit. Mit der Veranstaltung wollen wir einen Rahmen für die vielfältigen Bestrebungen schaffen, sie bündeln und aufzeigen, wie präsent das Thema ist.

Ihr Motto lautet "Wo der Alltag wohnt". Warum verdient sich die gebaute Umwelt größere Aufmerksamkeit?
Gebaute Umwelt umfasst sehr viele Lebensbereiche: Sie umgibt uns jeden Tag und betrifft uns jede Sekunde. Und sie hat politische Dimension: So wie wir bauen, inkludieren oder exkludieren wir Bevölkerungsgruppen beziehungsweise bevorzugen oder benachteiligen sie. Das betrifft sowohl den öffentlichen Raum als auch das Wohnangebot.

Sie sind selbst Architekt, seit 10 Jahren im HDA tätig und leiten seit 2013 die Geschäfte. Wie hat sich das Bewusstsein für Architektur in der Öffentlichkeit verändert?
Die Architekturszene war in der Steiermark immer sehr wichtig. Sie wirkte intensiv an kulturellen Institutionen wie dem Forum Stadtpark und dem Steirischen Herbst mit und genießt internationale Reputation. In den vergangenen Jahren ließ die Aufmerksamkeit jedoch etwas nach. Zwar ist das Interesse größer als früher – und das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen – aber die Wertschätzung und Bedeutung ist nicht parallel dazu gestiegen. Der Architektursommer soll dem Thema wieder Stellenwert verleihen – immerhin zählen wir hier 540 Architekturbüros und 3000 Architektur- und Bauingenieurstudierende. Darüber hinaus soll der Architektur-Produktion mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das bezieht sich nicht auf schicke Buden und spektakuläre Fassaden – es geht um substantiellere Dinge wie leistbares Wohnen, öffentlicher Raum, Mobilität und Aufenthaltsqualität.

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Apropos Aufenthaltsqualität: In Graz entstehen auf dem Reininghausareal und dem Waagner-Biro-Gelände zwei neue Stadtteile. Was brauchen Gebiete wie diese, damit künftige Bewohner gerne dort leben?
Die Smart Cities in Graz sind noch in der Entwicklung. Es ist jedoch spannend zu verfolgen, was daraus entsteht – ob sie zu reinen Schlafstätten oder zu lebendigen Stadtteilen werden. Auf jeden Fall muss in solche Gebiete viel investiert werden, damit vitale Orte entstehen. Allen voran müssen Funktionen wie Bildungseinrichtungen, Nahversorgung, Gastronomie, Arbeitsplätze, öffentliche Anbindung und Flächen die zum Verweilen einladen, vorhanden sein.

100 Veranstalter, mehr als 200 Programmpunkte: Wie ist das vielfältige Programm für den Architektursommer entstanden?
Wir haben über Medien, auf Facebook, per Flyer und Email-Aussendungen öffentlich dazu aufgerufen. Der Architektursommer ist nicht kuratiert, wir wollen niemanden ausschließen. Jeder, der etwas beitragen kann und will, ist willkommen. Wir wollten zum Mitmachen anregen – und das ist gut gelungen. Durch den Aufruf entstanden viele Initiativen, Gruppen haben sich aus innerem Antrieb formiert und gemeinsam Projekte erarbeitet.

Welche Höhepunkte empfehlen Sie?
Wegen der großen Vielfalt haben wir das Programm in vier Kategorien unterteilt. In der Sparte "Ausstellung" ist die Pop-Up-Gallery in der Annenstraße, in der Auslagen leer stehender Geschäfte mit Architekturfotografien bespielt werden, einen Besuch wert. In der Kategorie "Installation und Experiment" empfehle ich das Architektur-Kollektiv "Magic Low Archi Riders". Die Gruppe tourt durch die Steiermark und bietet gegen Naturalien ihre Planungsleistung an. In der Rubrik "Tour und Führung" liefert der grenzübergreifende Spaziergang von Bad Radkersburg bis Gornja Radgona spannende Einblicke. Und eine anregende Diskussion ist in der zweiteiligen Vortragsserie "Stadtraumkonzepte für den öffentlichen Raum " zu erwarten.

Welches Bauwerk in Graz liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ein Projekt das ich sehr schätze ist die Terrassenhaussiedlung in Graz-St. Peter. Sie stellt ein gutes Beispiel aus den 1970er-Jahren dar, das zwar nicht als Modell für alles Weitere gelten kann, aber in diesem Zusammenhang sehr gut passt. Graz ist eine sehr lebenswerte Stadt mit gutem Maßstab. Nach außen zeigt sie ein sehr touristisches Gesicht, das der Altstadt. Doch auch wenn die Innenstadt gut funktioniert und von studentischem Leben geprägt ist – an den Rändern wird es problematisch. Wie die Bevölkerung wirklich lebt, vergisst man gerne.

www.hda-graz.at