Innovationen: In welcher Welt wollen wir eigentlich leben?
Innovation – das klingt nach technischem Fortschritt, nach Verbesserung, nach Zukunft. Doch ist wirklich alles gut, was neu ist? Und was bedeutet der Begriff überhaupt? Darüber wurde am vergangenen Mittwoch in der Wiener Generali Arena im Rahmen des gesellschaftlichen Diskurses „überMorgen“ diskutiert (Details siehe unten).
Dass Unternehmen Innovationen brauchen, um überleben zu können, sei nicht neu, stellte Andreas Bierwirth, Vorsitzender der Geschäftsführung von Magenta Telekom, fest: „Neu ist, dass wir uns in einer epochalen Zeitwende befinden. Unsere Art zu leben wird sich aufgrund der Digitalisierung komplett verändern – egal, ob wir das gut oder schlecht finden. Die Frage stellt sich für mich: Was wollen wir daraus machen? Was ist unser Zukunftsbild?“
Trendforscher Harry Gatterer hatte so seine Zweifel, ob Unternehmen immer innovativ sein müssen. Er rät dazu, entspannt zu bleiben: „Wir schreiben dem Neuen so viel Wert zu.“ Und er nennt ein Beispiel. „Wir haben jetzt den Kühlschrank, den man ans Internet anschließen kann – man weiß aber bis heute nicht, was diese Innovation bringen soll.“
Altes Denken
Dass wir geradezu einen Innovationsfetisch haben, das meinte Hanno Burmester. Er hilft Firmen dabei, sich von alten Strukturen und Denkweisen zu befreien – eine wichtige Voraussetzung für Innovationen. Wenn er gerufen wird, findet er meist folgende Situation vor: „Man hat sich Ziele gesetzt, ist gescheitert und hängt im Treibsand fest. Dann beginnt man immer wieder von vorne und irgendwann ist der Frust da.“
Aus seiner beruflichen Erfahrung, weiß Burmester, warum das so ist: „Man stellt zwar die Infrastruktur zur Verfügung und schult die Mitarbeiter – dennoch fährt das Ding nicht, weil sich die Kultur nicht automatisch mitändert. Innovation ist ein langer Prozess – dazu gehört auch, Dinge wieder zu verlernen und loszulassen.“
Hanno Burmester will aber nicht nur über Produktinnovationen reden. „Mich ärgert, dass niemand darüber redet, in welche Richtung unsere Gesellschaft gehen soll: Mich stören politischen Akteure, die glauben, dass irgendwelche Internet-Buden in Berlin-Kreuzberg oder die Telekom Probleme lösen, aber verabsäumen, ein Zielbild zu artikulieren, das es ermöglicht, die Gesellschaft weiterzubringen. Die Frage lautet doch: Wo wollen wir hin?“
Journalist Wolf Lotter, der eine Streitschrift zum Thema Innovation geschrieben hat, sah das ganz ähnlich. Er kritisiert, dass wir generell zu wenig darüber nachdenken, wer wir sind und wo wir hin wollen. „Wir sollten uns überlegen, in welche Richtung unsere Gesellschaft gehen soll, und für dieses Ziel brauchen wir eine Strategie.“
Sozialer Fortschritt
Er plädierte dafür, weniger über den technischen als über sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt nachzudenken. Seine Zukunftsvision: „Jeder sollte sich darüber klar sein, wo seine Stärken liegen und diese nutzen. So kann er seine Ziele verfolgen, denn wir leben nicht mehr in einer Industriegesellschaft, in der viele das gleiche machen, sondern in einer Wissensgesellschaft.“
Innovation bedeute immer auch Veränderungsbereitschaft – doch meist wolle man nur solche Innovationen, die das Alte bewahren.
Technische und gesellschaftliche Innovation ließen sich nicht trennen, entgegnete Bierwirth: „Durch die neuen Technologien gibt es gesellschaftliche Sprünge, wie wir es beim Buchdruck erlebt haben, der die Bildung ermöglichte, oder bei der Industrialisierung, die die Gesellschaft veränderte und ökonomische Krisen sowie Kriege zur Folge hatte. Die Menschen sind vom Land in die Stadt gezogen, wurden aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und man hat sie mit der Veränderung allein gelassen. Um zu verhindern, dass wir heute nicht wieder die gleichen Fehler machen, sollten wir überlegen, welche gesellschaftlichen Änderungen nötig sind, damit wir die Menschen bei der Digitalisierung mitnehmen. Ich glaube, dass wir nicht begreifen, was auf uns zukommt.“
Keine Verantwortung
Historikerin Gudula Walterskirchen warf ein, „dass wir die gestalterischen Möglichkeiten durchaus haben. Unser Problem ist doch: Wir machen alles technisch Machbare, trennen das aber von der Verantwortung für die Folgen der Innovationen und von der klaren Frage: Wo wollen wir damit hin?“
Dass man in Österreich die Zukunft gestalten will, daran hatte Bierwirth so seine Zweifel: „Wir leben in einem Land, das zukunftsskeptisch ist.“ Die Zukunft werde wo anders gestaltet. Wir sind Beifahrer der Innovation.“
Warum manche gute neue Idee nicht umgesetzt wird, dafür hatte Walterskirchen ein Beispiel. „Schauen wir uns die Praxis an.“ Ein Evergreen sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Seit 30 Jahren höre man, dass Homeoffice die Innovation sei. Die Idee: Die Menschen müssen ihr Zuhause nicht verlassen, sie können sich ihre Zeit einteilen. „Doch es funktioniert nicht: Der Mensch ist steinzeitlich geprägt, die Chefs wollen ihre Herde um sich. Zudem fehlt bis heute eine gute Internetverbindung.“
Faktor Mensch
Dass man den Faktor Mensch nicht außer Acht lassen dürfe, bemerkte auch Harry Gatterer, der den Zeitgeist so beschrieb: „Wir haben eine Sehnsucht nach Beziehungen, die wirkliche Beziehungen sind, und nach Analogem, ohne dass das Digitale aufhört.“ Als Beispiel nannte er die Musikindustrie, die als einer der ersten Branchen durch die Digitalisierung verändert wurden.
„Heute werden immerhin noch fünf Prozent des Umsatzvolumens mit Schallplatten gemacht – am meisten profitieren die Musikinstrumentenhersteller von dieser Sehnsucht nach Analogem. Denn der Mensch will nicht nur streamen, er braucht auch Resonanz. Wenn wir die Zukunft denken wollen, wird es das Auflösen des Entweder / Oder von Digitalem und Analogem geben, weil man das nicht trennen kann.“
Wie wir gerne leben
Gatterer treibt eine andere Frage um: „Wie können wir eine Welt schaffen, in der die Menschen zuversichtlich in die Zukunft schauen? Stattdessen prägen Zukunftsskepsis und Angst vor Wohlstandsverlust unsere Gesellschaft. Das ist der Grund, warum Populismus funktioniert.
Deshalb ist es so wichtig, darüber nachzudenken, was das Neue ist, das wir
Veranstaltungen: Miteinander statt übereinander reden, ist die Idee der Reihe „überMorgen.“ In acht Veranstaltungen sollen Zukunftskonzepte für zwölf Themen diskutiert und entworfen werden. Die Diskurse sind eine Initiative der Industriellenvereinigung mit dem Roten und der Erste Stiftung. Die nächste Diskussion findet am Montag, 28. Oktober, in der voestalpine-Stahlwelt , 4020 Linz statt. Um 16 Uhr beginnen Gespräche in kleinen Runden, ab 19.30 Uhr die Podiumsdiskussion. Thema: Was müssen wir wissen, wem sollen wir glauben. Fakten und Fakenews? Anmeldung nötig.
Internet: übermorgen.at