Gartlehner: "Drittimpfungen jetzt wichtiger als Erststiche"
Die Auffrischungsimpfungen sind in der jetzigen vierten Welle wichtiger als Erstimpfungen – das sagte der Epidemiologe Gerald Gartlehner am Dienstag im Ö1 Morgenjournal. "Man muss sich vorstellen, Personen, die noch nicht geimpft sind jetzt, erreichen nach fünf, sechs Wochen die Vollimmunität. Für die aktuelle Welle ist das etwas zu spät. Das Problem haben wir jetzt. Mit dem dritten Stich kann man aber die Immunität wahrscheinlich innerhalb einer Woche bis zehn Tagen sehr hoch nach oben treiben", so Gartlehner.
Vorreiter Israel
Vorzeigebeispiel sei Israel. Dort kam es bereits im August zu einem massiven Anstieg der Infektionszahlen – vergleichbar mit Österreich mit etwa 9.000 bis 10.000 Neuinfektionen pro Tag. "Man hat in Israel gesehen, dass sie die Drittimpfungen vorangetrieben haben und damit die Welle abfangen konnten", so Gartlehner. Trotz rigider Maßnahmen habe aber auch Israel eineinhalb Monate gebraucht, um wieder unter 2.000 Neuinfektionen pro Tag zu kommen.
Viele unbekannte Faktoren
Wie lange dies in Österreich dauern werde, sei für Gartlehner schwer einzuschätzen, da es viele unbekannte Faktoren gebe. So sei etwa nicht bekannt, wie viele Personen bereits immun sind. Die sogenannte Hintergrundimmunität der Bevölkerung könne nicht eingeschätzt werden, da es keine Studien dazu gebe.
"Wir wissen auch nicht genau, wie schnell die Immunität der Geimpften abnimmt. Hinzu kommt der saisonale Effekt. Ich denke, es wird sich wahrscheinlich in den nächsten ein, zwei, drei Wochen stabilisieren", betonte Gartlehner.
Grund dafür sei, dass bereits jetzt sehr viele infiziert seien und daher die Immunität zunehmen werde. Problematisch sei, dass in manchen Bundesändern eine niedrige Impfquote mit hohen Infektionszahlen aufeinandertreffe. Gartlehner: "Diese Mischung ist schon sehr explosiv und da ist es wirklich nicht absehbar, wie es weitergeht."
Andere Meinungen
Nicht alle Expertinnen und Experten teilen Gartlehners Meinung. Der Virologe Christoph Steininger betont etwa, dass eine Booster-Impfung zwar rascher wirke, aber: "Rein immunologisch ist meiner Meinung nach die Erst- und Zweitimpfung die Wichtigere. Schließlich handelt es sich hier um jene Menschen, deren Immunsystem noch nie Kontakt mit diesem Virus hatte. Ungeimpfte sind der Treiber der Pandemie."
Bis wieder von so etwas wie "Normalität" die Rede sein kann, muss laut Steininger eine 80-prozentige Impfrate erreicht werden. "Das sehen wir aus Erfahrungswerten von Portugal oder auch Dänemark. Erst dann bekommen wir aus epidemiologischer Sicht wieder Luft."
Steininger spricht sich im Gespräch mit dem KURIER für eine verstärkte Kommunikation mit Impfunwilligen aus. "Und ich würde eine Impfpflicht für den medizinischen Bereich sowie andere Berufe, die viel mit anderen Menschen in Kontakt sind, begrüßen."