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Corona-Krise: Experte sieht Gefahr für Triage in ein bis zwei Wochen

Der Innsbrucker Infektiologe Günter Weiss sieht im Falle gleichbleibend hoher Neuinfektionen die "konkrete Gefahr" einer Triage in "ein bis zwei Wochen". "Es ist fünf vor zwölf", sagte Weiss im APA-Interview und plädierte für eine stärkere Fokussierung bzw. Ressourcenverlagerung hin zum Schutz vulnerabler Gruppen. Er sei aber "absolut kein Fan" eines Total-Lockdowns, dieser könne nur die "Ultima Ratio" sein. Einen "Lichtblick" sah Weiss im bekannt gewordenen neuen Impfstoff.

Statt eines solchen "absoluten Worst Case-Szenarios eines Total-Lockdowns" gebe es noch andere Wege, die hohen Fallzahlen in den Griff zu bekommen und eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten hintanzuhalten - wie etwa ebenjenen größtmöglichen Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen, also älterer Leute bzw. solcher mit Vorerkrankungen. Dabei gehe es sowohl um den Bereich der Alten- und Pflegeheime, als auch um die ambulante Betreuung älterer Menschen. Dies bedeute aber nicht eine Abschottung der Menschen in den Alten- und Pflegeheimen, betonte der Experte und mahnte etwa die Dringlichkeit einheitlicher Hygienekonzepte ein. Auch noch verstärktere Screenings seien geboten, meinte der Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin.

In puncto Kontaktnachverfolgung müsse man ebenfalls quasi den Schalter umlegen. "Es braucht eine Priorisierung auf die positiven Fälle und dazu noch einmal eine Priorisierung auf die Positiven in der kritischen Infrastruktur", appellierte Weiss. Dies betreffe wiederum vor allem auch Pflegeeinrichtungen, von denen aus es im Falle einer Streuung der Infektion zu vermehrten Hospitalisierungen komme: "Kontaktverfolgung macht nur Sinn, wenn es schnell funktioniert. Und schnell bedeutet, innerhalb von 24 Stunden." Man verzeichne so viele neue Covid-Fälle, dass es wohl geboten sei, sich auf jene Bereiche zu konzentrieren, "bei denen es darauf ankommt", also auf die vulnerablen Gruppen. "Es wird nicht anders gehen", so Weiss, der darauf hinwies, dass das jetzige System der Kontaktnachverfolgung ohnehin schon teilweise nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Von einer zunehmend im Raum stehenden Schließung der Schulen sowie der Geschäfte hielt Weiss, der auch dem Beraterstab der Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium angehört, nichts. Es habe sich herausgestellt, das sich in beiden Bereichen "keine großen Cluster" gebildet hätten. Zudem verfüge man dort über "gute Hygienekonzepte": "Das kann man ruhig offen lassen". Im Bereich der Schulen sah Weiss einen Ansatzpunkt in der anderen Gestaltung des Verkehrs von und zur Schule bzw. einer "Staffelung", um etwa volle Schulbusse zu verhindern. Eine zusätzliche "Entzerrung" könnte zudem ein nicht einheitlicher Zeitpunkt des Schulbeginns in der Früh sein.

"Die Situation ist besorgniserregend. Es brennt der Hut", fasste Weiss die Corona-Lage und jene in den Krankenhäusern zusammen. Vor allem auf den Normalstationen stehe einem mittlerweile "das Wasser bis zum Hals". Auf den Intensivstationen sei die Lage zwar noch etwas besser, aber auch weit entfernt von entspannt. "Auf dem Niveau kann es bis März nicht weitergehen", warnte der Infektiologe und spielte speziell auch auf die Arbeitsauslastung der Mitarbeiter an. Auch er sah den limitierenden Faktor im Personal, und nicht in der Kapazität an Betten und Beatmungsgeräten.

Zu beurteilen, ob die von der Bundesregierung verordneten, verschärften Maßnahmen gewirkt haben, dafür sei es noch zu früh. Dies werde man hoffentlich zwei Wochen nach dessen Inkrafttreten sehen, also Anfang kommender Woche: "Ich hoffe, dass die Zahlen ein bisschen zurückgehen. Ich gehe davon aus, dass es aber nicht denselben Effekt haben wird wie im Frühjahr". Damals habe noch eine gewisse "Schockstarre" in der Bevölkerung vorgeherrscht, mittlerweile gebe es aber eine "große Gruppe", für die die Einschränkungen nicht mehr nachvollziehbar seien und die sich nicht daran halten würden. Diese Menschen seien auch durch die herkömmlichen Medien und die Politik nicht mehr erreichbar. Hinzu komme, dass der "rationale Umgang" mit dem Virus in letzter Zeit "sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite" zu wünschen übrig gelassen habe. Man könne nur weiter appellieren, Sozialkontakte zu reduzieren und darauf hinzuweisen, dass man die Pandemie "nur gemeinschaftlich bekämpfen" könne.

Einen "Lichtblick" sah Weiss indes im vielversprechenden Corona-Impfstoff der Pharmafirmen Biontech und Pfizer. Er sei zuversichtlich, dass "in kurzer Zeit eine erkleckliche Zahl" an Impfstoff-Kapazitäten produziert werden können. Sollte alles optimal laufen, könne der Impfstoff durchaus schon Anfang kommenden Jahres zum Einsatz kommen, glaubte Weiss: "Das wäre der Einstieg in die so ersehnte Normalität". Zunächst sei es aber essenziell, Klarheit darüber zu haben, dass der Impfstoff vor allem bei den Älteren und chronisch Kranken auch wirke.

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