Wirtschaft/Karriere

Ortskernkoordinator: Sein Job ist es, ausgestorbene Orte zu beleben

Die Post hat vor Jahren zugesperrt. Der Wirt ist ausgewandert und die Auslagen vieler Geschäfte sind staubig und leer: Der Ort wirkt ausgestorben. So ein Bild zeichnet sich in ganz Österreich in den unterschiedlichsten Regionen. Dabei sind gerade florierende Orts- und Stadtkerne entscheidend für die regionale Wirtschaft und die Lebensqualität der Menschen. Stefan Spindler widmet sich genau dieser Thematik.

Er ist Österreichs erster Ortskernkoordinator und kümmert sich im Regionalressort des Landes Steiermark um Fragen zur Entwicklung der Zentren. Im Interview erzählt er, wie man das Sterben der Ortskerne verhindern kann.

KURIER: Herr Spindler, welche Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass in den Zentren vieler österreichischer Orte gähnende Leere herrscht?

Stefan Spindler: Das hat viele Gründe und ist übrigens ein europäisches Phänomen. Je mobiler die Menschen geworden sind, desto ungebundener wurden sie und ihr Handlungsspielraum vergrößerte sich. Die Digitalisierung hat zusätzlich dazu geführt, dass viel öffentliches Leben in den digitalen Raum verlagert wurde. Aber auch die Tatsache, dass Gemeinden jahrelang zugelassen haben, dass vermehrt an den Ortsrändern gebaut wurde, führte zum Sterben der Ortskerne.

Wo Sie es gerade ansprechen: In den Achtzigerjahren hat man begonnen, die typischen Fachmarktzentren (Supermarkt, Drogerie, Schuhgeschäft, Tierfutterhändler etc.) an den Ortsrändern zu bauen. Was hat man sich damals bei der Errichtung gedacht?

Es war wohl ein Fortschrittsgedanke und wirtschaftlich attraktiv. Aber bestehende Strukturen im Ort konnte dadurch vielfach kaum überleben. Der Ortskern wurde auf lange Sicht abgewirtschaftet und die sozialen Orte vernachlässigt.

Was macht denn einen Ort sozial?

Gegebenheiten, in denen Menschen miteinander interagieren können. Ein Ort muss einen das Gefühl geben, in einer Gemeinschaft zu leben, die etwas bewirkt. Es geht um Verbundenheit.

Mit welchen Mitteln will man nun ausgestorbene Stadt- und Ortskerne wiederbeleben?

Es gibt leider nicht die eine Lösung, sondern es braucht ein Bündel an Maßnahmen. Die zentrale Frage ist, wohin man die Gemeinde und den Ortskern weiterentwickeln möchte. Dazu braucht es Menschen, die für ihren Ortskern Verantwortung übernehmen wollen.

Wer soll das tun und wie?

Gemeinden und Städte sollten sich an die Bürger vor Ort und an jene der unmittelbaren Umgebung richten und versuchen, Bewusstsein zu schaffen, dass der Ortskern enorme Qualitäten aufweisen kann. Im nächsten Schritt sollten sich die Bewohner zusammensetzen und diskutieren, wie der Ortskern umgestaltet werden könnte. Indem sie Teil des Ortskerns werden, werden sie auch Mitentwickler und inspirieren andere Menschen. Unsere Rolle als Ortskernkoordination ist die Vermittlung dieser Mechanismen und die Inspiration durch gelungene Beispiele.

Welche Ideen kommen in die Umsetzung?

Man schafft neuen Wohnraum im Ortszentrum. Oder man überlegt sich neue Konzepte für leer stehende Gebäude wie Co-Working Spaces, auch im ländlichen Raum. Oder wenn der Ortskern stark autozentriert ist, kann man den Menschen wieder in den Fokus richten und den öffentlichen Raum zum Lebensraum umgestalten. Es ist immer abhängig vom Potenzial und den Herausforderungen des Ortes und den Wünschen der Bürger, wie sie künftig im Ortskern Alltag erleben wollen.

Warum sollte ein Immobilieneigentümer in einem verlassenen Ort neue Wohnungen bauen und in eine Gegend investieren, die ausgestorben ist?

Steht ein realistisches Konzept für die Entwicklung eines Ortes, weiß man im Idealfall auch, welche Rolle alte oder künftige Gebäude übernehmen sollen. Es braucht also eine Vision für den Ortskern und konkrete Nutzungsideen, mit denen man Investoren abholen möchte. Damit sich diese denken: Okay, spannend, hier passiert etwas, hier möchte ich mich gerne beteiligen und investieren.

Haben Sie ein Erfolgsbeispiel für uns?

In vielen Orten, in denen bewusst seit fünf oder zehn Jahren der Ortskern gestärkt wird, zeigt sich, dass in den Köpfen der Menschen viel passiert ist. Es ist immer schön zu sehen, wenn sich dann Menschen trauen, ihr Unternehmen in den Heimatort zu verlagern, den Mut aufbrachten, eigene Nutzungsideen zu realisieren, oder gemeinsam mit anderen Bürgern Initiativen gestartet wurden – der Ortskern also wieder zum Alltagsort wurde.