EZB-Urteil: Ein Sonderweg in die Sackgasse
Den Finanzmärkten war das Urteil der Verfassungsrichter aus Karlsruhe kaum mehr wert als ein Achselzucken. Der Euro? Sackte kurz gegenüber dem Dollar ab, aber alles im Rahmen eines normalen Wochenverlaufs. Deutsche und italienische Staatsanleihen, die vom EZB-Urteil theoretisch am stärksten betroffen sind? Die Zinsschere ging nur minimal auseinander.
Alles beim Alten also, obwohl deutsche Verfassungsrichter die EZB-Anleihenkäufe in Teilen als verfassungswidrig bewertet und sich gegen ein Urteil des höchsten EU-Gerichts, des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg, gestellt hatten? Das wäre ein Trugschluss.
EZB reagiert lapidar
Die EZB und die EU-Kommission als Hüterin der europäischen Verträge reagierten am Mittwoch kühl: Das EU-Recht habe Vorrang und sei für alle nationalen Gerichte verbindlich, betonte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Und die EZB sei unabhängig in der Ausübung ihrer Geldpolitik.
Darauf hatte bei der Gründung der Währungsunion übrigens Deutschland gedrängt. Doch die größte Volkswirtschaft scheint sich davon zu verabschieden, als treibende Kraft der europäischen Integration zu wirken. Und spielt damit EU-Gegnern und Euro-Feinden in die Hände.
Wirtschaftlicher Wahnsinn
Ökonomisch betrachtet ist das widersinnig: Die Exportgroßmacht Deutschland ist, durch Studien zigfach belegt, der Hauptprofiteur des europäischen Binnenmarktes, der gemeinsamen Währung, ja sogar des viel gescholtenen Zinstiefs: Die EZB-Krisenpolitik hat dem deutschen Staat seit 2007, seit der Finanzkrise, 436 Mrd. Euro an Zinszahlungen erspart. Mehr als jedem anderen Land.
Das wird im Nachbarland jedoch selten erzählt, dafür der Schaden für die Sparer überbetont.
Anti-europäisches Agieren
Zugleich weigert sich Deutschland, dass der Euro durch ein gemeinsames Budget ergänzt wird, stellt sich gegen Solidarität in der Coronakrise und blockiert kurzerhand (vertragswidrig) Exporte von Medizin-Material.
Die EZB wird ihre Anleihenkäufe fortsetzen, deshalb sind die Märkte noch ruhig. Der Schaden ist langfristig, denn natürlich engt das Urteil den Spielraum der Währungshüter ein.
Und wenn regionale Richter, offenbar getrieben von Eitelkeit, europäische Rechtssprechung aushebeln: Was bleibt da noch übrig vom europäischen Gedanken? Wie viel Rückhalt genießt dieser noch im eigenen Land? Und: Was ist Deutschland bereit - über Nettobeiträge zum EU-Budget hinaus - auch ideell beizutragen und zu investieren?
Diese Frage muss sich die Politik, müssen sich die Entscheidungsträger, in Deutschland dringend stellen.