Sport/Wintersport

Marcel Hirscher im Interview: "Dann fehlt mir das Verständnis"

Wo immer Marcel Hirscher auftaucht, da sind die Kameras und Mikrofone nicht weit. Der siebenfache Gesamtweltcupsieger aus Annaberg steht immer und überall im Mittelpunkt.

KURIER: Herr Hirscher, wären Sie manchmal lieber ein unbekannter, mittelmäßiger Rennläufer?

Marcel Hirscher: Ja zu unbekannt, nein zu mittelmäßig. Aber das Was-wäre-wenn-Spiel ist sowieso keines, das ich gerne spiele. Weil man da immer verliert. Ich weiß das Privileg zu schätzen, dass ich mit meinem Hobby Geld verdienen kann. Und das ist in meinem Fall eben auch mit Rampenlicht und Bekanntheitsgrad verbunden. Und so nehme ich es auch.

Der Erfolg hat immer zwei Seiten, heißt es so schön: Was ist bei einem Skihelden wie Ihnen die Kehrseite der Medaille?

Das oft sehr frühe Aufstehen, das Essen in den Tagesablauf einplanen, die Trainings bei jeder Motivationslage, ein gewisses Verletzungsrisiko. Und natürlich teilweise auch die reduzierte Privatsphäre.

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Wie anstrengend sind all diese Nebengeräusche?

So kurz nach Kitzbühel und Schladming kann ich sagen: Ich liebe Nebengeräusche. Dass einen die Fans dort hinuntertragen – und das waren in Schladming 45.000 einzelne Menschen, die Zeit und Aufwand investiert haben, um dort dabei zu sein – das ist nicht in Worte zu fassen. Wir Athleten kennen es von anderen Orten auch ruhiger. Dort lernst du schnell, dass deine Leistung sogar auf dich anders wirkt, wenn sich außer dir nur wenige dafür begeistern wollen.

Apropos Begeisterung: Wie begeistert sind Sie, dass Sie praktisch immerzu die gleichen Fragen gestellt bekommen? Machen Sie doch einmal ein Ranking der drei lästigsten Fragen:

Erstens: Fragen nach Rekorden oder Bestmarken. Zweitens: Fragen zu Punkteständen und Kalkulationen. Und drittens: Fragen zu Saisonzielen bzw. Zielen zu anstehenden Events.

Was stört Sie daran?

Dass auch die Antworten darauf immer die gleichen sind.

Sie haben einmal gemeint, dass Sie das Gefühl hätten, teilweise „fremdbestimmt“ zu sein. Was meinen Sie damit genau?

Wenn ich zum Beispiel einen Lauf verhaue oder einmal beim Material nicht den richtigen Griff mache, dann ärgere ich mich richtig.

Marcel Hirschers Weltcup-Karriere

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Und was ist das Problem daran?

Ich kann dann im Ziel nicht einfach unbemerkt weg und meinem Ärger Raum geben. Sondern ich muss mir wirklich gut überlegen, wo und wann ich welche Reaktion zeige, weil es noch Wichtigeres gibt als meinen Zorn. Das ist, zugegeben, manchmal vielleicht auch gut, weil es mich ein wenig runterholt.

Viel Grund zum Ärgern hatten Sie ja dann nicht in Ihrer Karriere: Fährt es sich nach all den Erfolgen leichter, oder ist mit jedem Sieg die Erwartungshaltung noch mehr gestiegen?

Ich glaube schon, dass es von außen noch Erwartungen an mich gibt, aber ich geh’ heute anders damit um. Ich muss niemandem mehr beweisen, dass ich schnell Skifahren kann. Nicht einmal mir selbst. Dennoch bin ich mit den eigenen Erwartungen am strengsten mit mir.

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In Ihrem Heroes-Magazin sagen Sie: „Ich bin am allerbesten, wenn’s unmöglich wird.“ Brauchen Sie also den Druck und das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen?

Ich wünsche mir nicht, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, wer tut das schon? Aber Druck sehe ich als Herausforderung, und ich bin mittlerweile gut darin, mich dem zu stellen. So wird’s zur Motivation. Ich finde überhaupt, dass mit dem Wort Ehrgeiz oft auch etwas Negatives mittransportiert wird. Das kriegt den Beigeschmack der Verbissenheit. Das ist aber ein gesellschaftliches Thema. Für mich ist Ehrgeiz ein Motor.

Gibt es eigentlich so etwas wie ein perfektes Rennen? Und wenn ja: Was ist Ihr persönliches Highlight?

Das perfekte Rennen? Ich weiß nicht. Ich bin zum Beispiel in Schladming oder in Kitzbühel auch schon ausgefallen, und es ist dennoch atemberaubend, was da abgeht. Das ist schon sehr nah dran an perfekt. Der Support der Leute dort, das ist weltweit unvergleichlich.

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Man könnte manchmal das Gefühl bekommen, die Österreicher nehmen den Skisport zu wichtig. Wo steht der Skisport international?

Ich würde nie sagen, dass wir den Skisport in Österreich zu wichtig nehmen. Dem Stellenwert, den der Skisport bei uns hat, habe ich meine Karriere zu verdanken. Die Möglichkeiten gibt es nicht überall, nur so viel zum Internationalen. Ob es Wichtigeres gibt als Skisport? Aber sicher. Und das weiß auch jeder Skibegeisterte hierzulande.

Wie nahe geht jemandem wie Ihnen heute noch Kritik?

Ich habe gelernt, mit Kritik umzugehen und auch damit, es längst nicht mehr allen recht machen zu können. Das war auch deshalb wichtig, weil du dich sonst um Weiterentwicklungschancen bringst. Aber ich nehme auch nicht mehr alles so ernst. Wissen Sie, was aber schon immer noch zach ist?

Was denn?

Wenn das 101. Kind kein Autogramm mehr bekommt, weil ich einfach zum Einfahren muss. Dann in dieses enttäuschte Gesicht zu schauen, das ist nicht fein. Aber es geht leider oft nicht anders.

Wie schwer ist das Alltagsleben als öffentliche Person? Können Sie gemütlich einen Einkaufsbummel machen?

Klar kann ich. Was ich aber nicht kann, ist, mich speziell innerhalb der Skination Österreich wie ein gänzlich Unbekannter zu bewegen. Weil ich halt in den Wintermonaten einfach häufig aus dem Fernseher oder von Plakaten schaue und mein Gesicht und der Name Marcel Hirscher sehr präsent sind. Ich habe mein Verhalten sicher daran angepasst. Neu ist das mittlerweile nicht mehr für mich, dass mir bei vielen Gelegenheiten ein Handy vor die Nase gehalten wird, aber gewöhnen werde ich mich daran auch nie wirklich.

Wann wird’s Ihnen zu viel?

Für mich hat das auch ganz klar Grenzen. Wenn ich mir in einem Restaurant nicht mehr ungestört einen Bissen in meinen Mund schieben kann, ohne fotografiert oder angeredet zu werden, dann fehlt mir das Verständnis völlig.

Glauben Sie, dass sich das legt, wenn Sie einmal Ihre Karriere beendet haben?

Das steht für mich außer Frage. Wie alles im Leben wird sich auch das ändern. Und da kommen ja auch welche nach, die den Platz einnehmen – und das ist gut so.

Wann und wie können Sie während der Saison abschalten?

Zu Hause und in meinem vertrauten Umfeld. Das sind so starke Anker in meinem Leben, dass das ganz flott passiert, dass ich abschalte. Und daheim geht es eigentlich kaum ums berufliche Skifahren, weil da andere Dinge wichtiger sind.

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Lassen Sie uns noch über den Tellerrand hinaussehen: Welche anderen Athleten aus der Welt des Sports faszinieren Sie? Und können Sie sich von denen irgendwas abschauen?

Mich faszinieren so einige Athleten. Sei es unter meinen Kollegen oder auch im Motorsport, für den ich eine große Begeisterung hege. Dennoch glaube ich, dass jeder sein eigenes Ding machen muss. Auch im Umgang mit der Öffentlichkeit, den Fans und dem Medieninteresse. Wie soll mir jemand erklären, wie der Marcel leben soll – und umgekehrt?

Der Schnauzbart Ihres Vaters Ferdinand ist legendär. Werden Sie sich irgendwann auch so einen wachsen lassen ?

Den Schnauzer lass’ ich dem Ferdl. Ich bleib’ derweil bei meinem Drei-Wochen-Bart.