Vorbild für Rapid: Als der FC Tirol im Europacup Fiorentina bezwang
Von Christoph Geiler
Zoran Barisic hat als Fußballer viele schöne Momente in Tirol erlebt. Immerhin wurde er rund um die Jahrtausendwende mit dem FC Tirol drei Mal in Folge Meister. Ein sportliches Highlight aus dieser Zeit durfte der heutige Rapid-Trainer nur als Zuschauer miterleben: Den Triumph des FC Tirol im Europacup gegen Fiorentina.
Am Donnerstag will Trainer Barisic mit Rapid im Conference-League Play-off auf den Spuren seines Ex-Vereins wandeln. Derweil erinnern sich seine ehemaligen Tiroler Mannschaftskollegen an die Europacupschlacht.
Ein Paar Takte Musik genügen und schon ist es um Wolfgang Mair geschehen. Dann vergisst er für einen kurzen Moment das Hier und Jetzt und seine Gedanken schweifen in die Vergangenheit. Kaum vernimmt er irgendwo den Song "Are you ready" der US-Rockband Creed, begibt sich der Osttiroler auf eine emotionale Zeitreise und landet unweigerlich am 28.September 2000 in Florenz.
"Ich hab' diesen Song auf dem Weg ins Stadion im Bus gehört", erzählt der ehemalige Stürmer des FC Tirol. "Heute muss ich jedes Mal an dieses Spiel zurückdenken, wenn ich "Are you ready" höre". Denn es war nicht irgendein Fußball-Spiel, das da vor zwei Jahrzehnten im Stadio Artemio Franchi in Florenz über die Bühne ging.
Der FC Tirol warf sensationell AC Fiorentina aus dem Europacup. Einem 3:1 im Tivolistadion ließ der damalige österreichische Meister ein 2:2 in Florenz folgen. "Ich werde heute noch ständig auf dieses Match angesprochen", erinnert sich Wolfgang Mair, der in Florenz per Kopf das 1:0 erzielt hatte.
FIORENTINA - FC TIROL 2:2 (1:1) Hinspiel (1:3)
0:1 Wolfgang Mair (8.), 1:1 Predrag Mijatovic (25.), 2:1 Leandro Amaral (61.), 2:2 Radoslaw Gilewicz (87.)
Fiorentina: Francesco Toldo; Daniele Adani, Paolo Vanoli, Alessandro Pierini, Moreno Torricelli; Angelo Di Livio, Rui Costa, Fabio Rossitto (81. Tomas Repka), Christian Amoroso (46. Leandro Amaral); Predrag Mijatovic, Enrico Chiesa
Trainer: Fatih Terim
FC Tirol: Stanislaw Tschertschessow; Jürgen Panis, Michael Baur, Aleksander Knavs, Stephan Marasek; Roland Kirchler, Markus Anfang (89. Stefan Köck), Alfred Hörtnagl, Markus Scharrer (64. Jerzy Brzeczek), Wolfgang Mair, Radoslaw Gilewicz
Trainer: Kurt Jara
Gelb-Rot: Gilewicz (88.)
Gelb: Vanoli, Torricelli, Di Livio, Rossitto, Mijatovic, Amaral; Kirchler, Marasek, Scharrer, Brzeczek.
Stadio Artemio Franchi, 32.000
Mit welchem Tiroler Spieler man heute auch spricht, das Match gegen Fiorentina war für "uns alle ein emotionales Highlight", bestätigen Stephan Marasek und Roland Kirchler unisono. Der erste Meistertitel seit zehn Jahren hatte in Tirol eine riesige Fußball-Euphorie ausgelöst, wenige Wochen zuvor war das neue Tivolistadion eröffnet worden, nach dem 3:1 im Heimspiel begleiteten 4000 Fans die Mannschaft in die Toskana.
Wie gedopt
"Fiorentina war damals eine internationale Topmannschaft", erinnert sich Roland Kirchler. Im Tor stand mit Francesco Toldo die italienische Nummer eins, Moreno Torricelli und Angelo Di Livio hatten mit Juventus Turin die Champions League gewonnen, Pedrag Mijatovic mit Real Madrid, im Mittelfeld zog der portugiesische Superstar Rui Costa die Fäden.
Die 1:3-Blamage im Hinspiel in Innsbruck hatte die Fiorentina-Stars entzürnt. "Die haben geglaubt, in Tirol können die Leute nur gut Skifahren", sagt Alfred Hörtnagl. Entsprechend energiegeladen war das Team aus Florenz dann auch beim Rückspiel am 28. September.
Bereits im Spielertunnel gab es die ersten Wortgefechte und Rempeleien. "Bei den Spielern von Fiorentina hast du nicht mehr viel Weißes in den Augen gesehen. Die waren richtig aufgezuckert und haben uns Angst gemacht", erzählt Roland Kirchler. Angelo Di Livio ragte aus der Reihe der übermotivierten Gegner sogar noch heraus. "Der ist herumgerannt, als wäre er gedopt."
Ellbogen im Bauch
Nach dem frühen 1:0 durch den sehenswerten Kopfballtreffer von Wolfgang Mair gingen mit den Spielern mehr und mehr die Nerven durch. "Das war ein brutales Spiel, teilweise sogar richtig gehässig", erzählt Alfred Hörtnagl. Und das mag was heißen. Hörtnagl war als Spieler selbst kein Kind von Traurigkeit und für sein hartes Einsteigen berühmt. Aber in diesem Match musste selbst Hörtnagl einiges einstecken. "Es ist viel hinter dem Rücken des Schiedsrichters passiert. Ellbogen im Bauch, auf die Zehen steigen."
Der türkische Schiedsrichter zeigte zehn Mal gelb und schloss Tirol-Stürmer Radoslaw Gilewicz nach dessem Treffer zum 2:2-Endstand kurz vor Schluss aus. Hätte es damals schon den Videobeweis gegeben, es wären wohl einige Akteure auf beiden Seiten vorzeitig vom Platz geflogen.
Richtig turbulent sollte es aber erst nach dem Schlusspfiff werden, als die Sensation perfekt war, im Auswärtssektor die 4000 Tiroler Fans feierten und die aufgebrachten Fiorentina-Anhänger aus Protest über die Demütigung weiße Taschentücher schwenkten und ihre Mannschaft ausbuhten.
Mittelfinger, Ohrfeigen und Schimpfworte
"Was dann passiert ist, das kann man nicht alles in die Zeitung schreiben", sagt Stephan Marasek. Der Ex-Rapidler hatte es sich nach dem Match nicht nehmen lassen, vor die Fiorentina-Kurve zu treten und sich von den gegnerischen Fans auf seine Art zu verabschieden. "Ich spreche zwar kein Italienisch, aber ich kann auf italienisch schimpfen", schmunzelt Marasek. "Wenn da kein Zaun gewesen wäre, dann wären die alle hinter mir her gelaufen."
Marasek kam als einer der Letzten in die Katakomben, wo es schon drunter und drüber ging. FC Tirol-Stürmer Radoslaw Gilewicz kassierte eine schallende Ohrfeige von Fiorentina-Torhüter Toldo, was ein wildes Handgemenge zur Folge hatte. Dass Markus Scharrer mit erhobenem Mittelfinger vor der Fiorentina-Kabine posierte, wirkte auch nicht unbedingt deeskalierend.
"Danach wollten sie unsere Kabine stürmen", erzählt Alfred Hörtnagl. Die Tiroler wehrten sich mit Leibeskräften, selbst der sonst so besonnene Co-Trainer Heinz Binder mischte mit. "Der hat einem eine Metallkiste aufs Schienbein gerammt", sagt Roland Kirchler. "Wahnsinn, wie's da zugegangen ist."
Eineinhalb Stunden mussten die Tiroler Spieler in der Kabine bleiben. Erst dann wurden sie heimlich aus dem Stadion gelotst, "durch Hinterausgänge und die Tiefgarage." Vor dem Stadion bot sich der Mannschaft ein Bild der Verwüstung.
Die Fiorentina-Ultras hatten ihren Unmut über die Niederlage und die damalige Vereinsführung nicht nur lautstark kundgemacht, sondern auch Fahrzeuge in Brand gesetzt. Das Reizgas, mit dem die italienische Polizei auf die Randale antwortete, trieb den österreichischen Journalisten, die im Stadion noch ihre Jubelartikel fertig schrieben, die Tränen in die Augen.
Es war eine kurze Nacht für die Spieler des FC Tirol. Erfolgstrainer Kurt Jara hatte die Sperrstunde aufgehoben, im Teamhotel in Florenz stieß die Mannschaft mit einigen Fans an. Für Roland Kirchler gab es gleich doppelten Grund zum Feiern. Er wurde tags darauf 30. "Das war ein unglaublicher Abend."
In der nächsten Europacup-Runde kam dann für den FC Tirol das Aus. Nach einem 1:0 im Heimspiel gegen VfB Stuttgart (mit Trainer Ralf Rangnick) kassierten die Innsbrucker auswärts eine 1:3-Niederlage.
Ein Jahr später bekam es der FC Tirol im Europacup erneut mit Fiorentina zu tun. Auf der Trainerbank saß mittlerweile Joachim Löw, der 2014 die Deutschen zum WM-Titel führen sollte. Im zweiten Duell mit dem Traditionsteam aus Florenz stand Zoran Barisic auf dem Platz, nach einem 2:2 im Heimspiel kam auswärts mit dem 0:2 das Aus.