Wie eine Expedition: Winterwandern im Watt
"Wie jetzt? Wenn die Deutschen zu uns Skifahren kommen, fährst du an die Nordsee? Allein?“ Hochgezogene Augenbrauen, schallendes Gelächter oder komplettes Unverständnis waren die Reaktionen auf das Vorhaben Annas das Wintererlebnis Watt zu spüren. Beneidet hat sie dafür kaum jemand. So startet sie etwas verunsichert ihre Reise in den Norden.
Die Begeisterung kommt aber schnell zurück, als die 35-Jährige das erste Mal den Strand von Sankt Peter-Ording, oder SPO, wie es die Einheimischen abkürzen, sieht. Wo im Sommer zehntausende Menschen am zwölf Kilometer langen Strand baden, trifft man im Winter nur einzelne Ruhesuchende und ein paar Kitebuggyfahrer. Das Meeresrauschen hat auch bei kalten Temperaturen eine beruhigende Wirkung und inspirierende Anziehung. Beeindruckend kommen die bis zu sieben Meter hohen Pfahlbauten daher, die für den Winter dicht gemacht worden sind. Sie sind die Wahrzeichen von SPO – insgesamt gibt es 15. Darin sind Badeaufsicht, Restaurants, Umkleiden und Sanitäranlagen untergebracht.
Aktiv sein und zu sich kommen, dafür ist der Küstenort perfekt: Anna geht kilometerlang am Deich spazieren, lässt den Gedanken freien Lauf, genießt die Ruhe und Natur. Winterfrische nennt man das. Die Gemeinde hat drei Klimazonen: die Wasserkante, die Dünen und Salzwiesen sowie den Kiefernwald. Der Luft wird heilende Wirkung nachgesagt. Und so geht Anna durch die Stadtteile „Bad“ mit seinem 70er-Jahre- Charme und „Dorf“ mit entzückenden reetgedeckten Häusern und atmet am Deich tief durch.
Mit Johannes Schneider, der ein freiwilliges ökologisches Jahr in der Schutzstation Wattenmeer macht, geht Anna am Abend über die Seebrücke hinaus zum Meer. Die Leidenschaft und Liebe, die der junge Mann zum Wattenmeer und zur Natur hegt, ist nicht nur spürbar, als er in einer Halbmondnacht das Gedicht „Meeresstrand“ von Theodor Storm vorträgt. Auf der Brücke machen sie Halt, schließen die Augen und lauschen dem Wind und dem Laut eines Vogels. Obwohl der geschäftige Platz vor der Brücke nicht so weit entfernt ist, können sie vom Verkehr und dem Treiben hier nichts mehr wahrnehmen. Draußen auf der Sandbank blicken sie in den Himmel, die Sterne sind in einer klaren Nacht besonders gut zu erkennen.
Kälte und Matsch
Wie wichtig der Schutz des Ökosystems ist, wird auch Johann Franzen am nächsten Tag nicht müde zu erwähnen. Anna trifft ihn bei der Wattwanderung am Westerdeichstrich nahe Büsum. Er ist Führer im Nationalpark Wattenmeer, der größten Wattfläche der Welt, der größte Nationalpark Europas und Weltnaturerbe.
Es ist verdammt kalt und windig. Skepsis macht sich breit. War es wirklich eine gute Idee bei solchen Temperaturen so ein Abenteuer zu wagen? Mit wadenhohen Gummistiefeln, vielen Lagen wetterfester Kleidung, Hauben, Handschuhen und Schal bewaffnet wandert Anna mit anderen als Michelinmännchen verkleideten Wattenthusiasten zwischen drei Prielen (tiefe Wasserläufe im Watt, die zweimal am Tag die Fließrichtung ändern) hinaus Richtung Meer. Ein Unterfangen, das man keinesfalls ohne Führer unternehmen soll, kann es durch die Gezeiten für Unerfahrene zu jeder Jahreszeit lebensgefährlich werden. Bei Flut kommt das Wasser schneller, als man zurücklaufen kann. Der Tidenhub beträgt 2,5 bis 3 Meter. Bei Nebel verliert man die Orientierung. Sicht zum Festland ist nicht immer gegeben. Darum führt Franzen ein strenges Regiment, achtet darauf, dass die Gruppe beisammen bleibt und meldet die Tour über Seefunk an. Er vergisst bei allen Sicherheitsvorkehrungen aber nicht, die Gruppe mit interessanten Infos über das spezielle Biotop zu versorgen.
Geräuschvolles waten
Vom Schlick- geht es über Misch- bis zum Sandwatt. Unter den Gummistiefeln quietscht, schmatzt und knackt es – Sand, Wasser und Muscheln sorgen für den passenden Soundtrack.
Als die Sonne rauskommt ist Anna von den Spiegelungen am Boden begeistert. Johann Franzen sieht aus wie Jesus, der übers Wasser läuft – gut eingepackt, mit Mistgabel. Damit gräbt er später auf der Suche nach einem Wattwurm im Sand. Bis zu 40 Zentimeter lang können die Boden-Bewohner werden, das ausgegrabene Exemplar ist wesentlich kleiner, wird aber nicht weniger genau begutachtet. Anna fühlt sich, als wäre sie auf einer wichtigen Expedition. Die Skepsis ist längst der Faszination gewichen.
Info
Anreise Von Hamburg mit der Bahn via Husum nach St. Peter-Ording (ca. 3 Std.). Nach Büsum am einfachsten mit dem Auto (35 Min.). Von Büsum via Heide nach Hamburg (ca. 2 Std.) mit dem Zug. www.bahn.de
Winterwattwandern Termine 2019: 9. Jänner, 24. Februar, 10. März, 37 € inkl. Grünkohlessen. Tel: +494834-9844766, www.zum-wattführer.de
Essen In Schleswig-Holstein isst man traditionell im Winter Grünkohl mit Kasseler und grober Bratwurst mit Bratkartoffeln. Sehr deftig!
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Deichkind, SPO: Am Strand, moderne Küche, strandgut-resort.de
– Gosch, SPO: www.gosch.de
– Kolles Alter Muschelsaal, Büsum: Wirt und Wirtshaus sind ein Unikat, Essen hervorragend. Ehemalige Fischerkneipe, Wände mit Muscheln und Galionsfigur aus 1907 dekoriert. www.kolles-alter-muschelsaal.de
Übernachten 3*-Strandhotel, SPO: sehr einfach, gute Lage, strandhotelstpeterording.de
– 4*-Zur Alten Post, Büsum: zentral, renovierte Zimmer. zur-alten-post-buesum.de
Bildband Europas Nordseeküste Pasdzior/ Haefcke, Koehler, 51,40€
Auskunft Nordsee Tourismus Tel. +49/4841897575, www.nordseetourismus.de,
– Tourismuszentrale St. Peter-Ording www.st-peter-ording.de
– DZT germany.travel