90.000 Menschen in Risikogruppen, Staat übernimmt Kosten für Freistellung
Von Johannes Arends
Knapp drei Wochen sind vergangen, seit die Regierung beschlossen hat, besonders gefährdeten Menschen in der Corona-Krise Homeoffice oder eine Dienstfreistellung zu ermöglichen. Was zunächst für viel Lob sorgte, erwies sich bei der Umsetzung jedoch als schwieriger als gedacht. Denn lange war unklar, wer überhaupt unter die sogenannte Risikogruppe fällt und wie diese Menschen ihr Recht nun geltend machen können.
Ein neuer Beschluss soll die Situation für Betroffene für den Monat Mai klären. Am Dienstagnachmittag traten also Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf, Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres und Peter Lehner, Vorsitzender des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger, vor die Medien - um, wie es Anderl formulierte, "Licht ins Dunkel zu bringen".
Wer fällt in eine der Risikogruppen?
Der neue Beschluss weist zunächst drei Risikogruppen aus: Ältere Personen über 65, Ältere Personen mit schweren Vorerkrankungen und Menschen mit schweren Vorerkrankungen im arbeitsfähigen Alter. Laut Anschober gehe man derzeit von etwa 90.000 Betroffenen aus.
Vor allem letztere gelte es zu schützen, daher erhalten jene Arbeitnehmer, deren Krankenakte schwere Vorerkrankungen aufweist, bis spätestens Ende April ein Schreiben, das sie auffordert, ihren Hausarzt aufzusuchen und sich ein Attest ausstellen zu lassen.
Bei Österreichs Ärztinnen und Ärzten sollen dann bereits Checklisten aufliegen, mithilfe derer schnell abgeklärt werden kann, ob die Betroffenen als Risikopatienten eingestuft werden oder nicht. Nur diese hätten dann für den Beschluss Gültigkeit - Sollte dieser bei der kommenden Nationalratssitzung am Mittwoch durchgehen, so trete er am 4. Mai in Kraft.
Ein Attest, das zuvor bereits ausgestellt wurde, müsse also ebenfalls ab 4. Mai erneuert werden. Anschober richtete daher einen Apell an die Bevölkerung: „Bitte gehen Sie nicht vorher zum Arzt, sondern erst dann.“
Wer kein Schreiben von der Sozialversicherung bekommt, aber trotzdem vermutet, aufgrund seiner Krankenakte ein Risikopatient zu sein, kann und soll sich trotzdem vom Hausarzt mithilfe der Checkliste untersuchen lassen. Das gelte vor allem für Personen, die ihre Behandlung nicht über die Sozialversicherung abgewickelt haben und daher nicht in deren Daten aufscheinen.
"Für uns war ganz wichtig, dass es keine finale Liste gibt", meinte AK-Präsidentin Anderl. Gleich schwere Fälle sollen auch einfach durchgehen, wenn man zum Arzt geht. Das sei „eine Frage der Gerechtigkeit“.
Was fällt unter eine schwere Vorerkrankung?
"Es geht hier nicht um Bluthochdruck", so Anschober. Und auch Ärztekammerpräsident Szekeres fügte an: "Berufstätige Menschen mit hohem Blutdruck oder Diabetes stellen keine Risikogruppe dar, vor allem dann nicht, wenn sie gut eingestellt sind."
Wenn man aufgrund einer fortgeschrittenen Grunderkrankung in der Vergangenheit bereits Immunprobleme hatte, dann schon. Im Zweifelsfall solle man jedenfalls den Weg zum Arzt suchen - ab dem 4. Mai.
Wie geht es für berufstätige Risikopatienten weiter?
Für Betroffene, die ein ärztliches Attest ausgestellt bekommen haben, gilt künftig ein Drei-Schritte-Prinzip: Der Arbeitgeber kann zunächst versuchen, durch Maßnahmen am Arbeitsplatz ein Umfeld zu schaffen, das das Risiko einer Ansteckung für den Betroffenen minimiert. Sollte das nicht möglich sein, ist der nächste Schritt die Arbeit von zu Hause. Sollte auch das für den Betroffenen nicht möglich sein, soll er vorerst freigestellt werden - der Staat übernimmt dann die für diesen Zeitraum entstandenen Kosten für den Arbeitgeber.
Das letzte Wort darüber, welcher dieser Schritte individuell zur Anwendung kommt, hat rein rechtlich der Arbeitgeber. Doch WKO-Geschäftsführer Karlheinz Kopf versichterte: "Wir werden unseren Mitgliedern eindringlich nahelegen, eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Zu Kündigungen infolge einer Freistellung dürfe es, auch für die Zeit nach der Rückkehr in den Betrieb, nicht kommen.
Der Beschluss soll auch für Arbeitnehmer der sogenannten kritischen Infrastruktur gelten, auch diese sollen unter Umständen freigestellt werden. All diese Maßnahmen gelten aber jedenfalls bis Ende Mai. „Es wird sicher nicht jeder Wunsch erfüllt werden können", so Ärztekammerpräsident Szekeres. "Aber jeder bemüht sich, dass Menschen mit ernsthaften Vorerkrankungen freigestellt oder nach Hause gebracht werden sollen."
Woher kommen die Daten?
Die Regierung greift für eine erste Einschätzung der Risikogruppen auf die Daten des Dachverbands der Sozialversicherungsträger zurück. Diese Idee hatte schon Anfang April für breite Kritik gesorgt. Dabei werde vor allem die jeweilige Historie der Arztbesuche und verabreichten Medikamente analysiert. "Wir sitzen auf einem Datenschatz, und dieser Datenschatz kann Leben retten", sagte SV-Vorsitzender Peter Lehner. „Wir garantieren aber: Die Daten bleiben bei der Sozialversicherung, die bleiben geschützt.“