Politik/Inland

Rendi-Wagner fordert Kurz heraus: "Will Kanzlerin werden"

Victor Adler wusste, dass er die Krankheiten seiner Zeit nicht am Krankenbett bekämpfen konnte. Ungleichheit und Armut machen krank. Will man diesen Menschen helfen, muss man ihre Lebensumstände ändern. Selbst wenn ich die beste Ärztin der Welt geworden wäre, könnte ich nie so vielen Menschen helfen wie in der Politik. (...) Ja, die Menschen sind an und für sich gut. Das ist unser Menschenbild“, so beschreibt die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in ihrer ersten Parteitagsrede ihr politisches Credo.

Beim 44. Parteitag der SPÖ in der Welser Messehalle wurde sie mit 97,8 Prozent der Stimmen eindrucksvoll gewählt.

Video: Verkündung des Wahlergebnisses und Jubel

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Erste Frau an der SPÖ-Spitze

Rendi-Wagner, Jahrgang 1971, ist die erste Ärztin an der Spitze der SPÖ seit dem ersten Parteichef Victor Adler anno 1888. Sie ist vor allem die erste Frau an der Spitze der SPÖ und damit einer (ehemaligen) Großpartei in Österreich.

Kopflos zurückgelassen

Kurzzeit-Kanzler Christian Kern hatte nach der Wahlniederlage der SPÖ 2017 und dem Verlust des Kanzleramts eigentlich nie in die Rolle des Oppositionschefs gefunden, und mit einem überhasteten bis wirren Rückzug die Partei wochenlang kopflos zurückgelassen.

Das alles sollte beim Welser Parteitag überwunden werden, ein Neustart von Kerns missglücktem Neustart musste her. Und Rendi-Wagner lieferte – vorerst einmal den 645 Delegierten, was von ihr erwartet wurde.

Schon ihr Einmarsch in die Messehalle unter großem Applaus war anders: Rendi-Wagner marschierte in Begleitung von Kindern in den Saal ein. Die Botschaft ist klar – die SPÖ will eine moderne Politik für Frauen, Kinder und Familien. Jedenfalls wurden so fröhliche Bilder transportiert. Dann herzte und küsste sich die 47-Jährige durch das Parteipräsidium bis zum Podium.

"Saugut, umarmt zu werden"

„Ich bin völlig fertig von eurer Herzlichkeit zur Begrüßung. Es fühlt sich saugut an, von euch umarmt zu werden“, startete sie freudestrahlend ihre rund 40-minütige Rede. Dann gleich ein Video mit dem Thema ihrer Rede – es ging um eine Alleinerzieherin in ihrem täglichen Kampf. „Eine Frau, die uns erinnern soll, warum wir hier sind – nicht wegen uns oder wegen mir, das alles ist kein Selbstzweck. Wir kämpfen für ihre Chancen und die Chancen ihrer Töchter. Wir müssen mit dem Herzen schauen.“

Dann erzählte sie über ihr Leben, als unterprivilegiertes „Kind der 70er-Jahre“, das von den Sozialreformen der SPÖ und des Langzeitkanzlers Bruno Kreisky profitiert habe und studieren konnte.

Was der einzelne nicht stemmen könne, müsse die Gesellschaft stemmen, fuhr sie fort: „Wir wurden in der Industrialisierung geschmiedet und wir sind hart genug, die Digitalisierung zu meistern.“ Die Politik müsse die Arbeitnehmer bei diesem Wandel unterstützen und dafür sorgen, dass jene, die mit der Geschwindigkeit des Wandels nicht mithalten können, nicht zurückgelassen werden.

Mehr noch: „Verteilungsgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, aber auch Leistungsgerechtigkeit sind seit 130 Jahren Bestandteil der DNA der SPÖ.“

Video: Stimmen der Basis

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Feiger Kanzler

„Lieber Sebastian“, leitete Rendi-Wagner dann ihre heftige Kritik an der Politik, speziell an der Migrationspolitik von Bundeskanzler Sebastian Kurz ein: „Was genau hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht?“ Unter frenetischem Applaus antwortete sie: „Du hast gar nichts getan! Du beschreibst, du kommentierst, du kritisierst. Aber Sebastian: Du bist Politiker, und Politiker machen, handeln und tun.“

Kritik an türkis-blauer Koalition

ÖVP und FPÖ gebe nur „plumpe, banale und hetzerische Antworten zur Migration. „Wir helfen, wo es notwendig ist, und wir stehen für Humanität und Ordnung. Wir bekennen uns uneingeschränkt zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur humanitären Verpflichtung gegenüber Geflüchteten. Das kostet gewaltige Summen – aber immer noch weniger als die Bankenrettungen.“

Der Kanzler fordere „immer härtere Gesetze“ und verstecke sich dann hinter Beamten. „Das, würden manche sagen, ist feig. Mut zu Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit – so, und nur so, will ich mit euch gemeinsam Politik machen.“ Diese Regierung sei mutlos, sie fürchte sich vor Experten,sie habe Angst vor dem Diskurs im Parlament und vor dem Urteil der Bevölkerung.

Mieten reduzieren

Neu war ein Vorschlag zum Thema „leistbares Wohnen“: Rendi-Wagner fordert eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Mieten – was zehn Prozent weniger Wohnkosten bedeuten würde, ein „Universalmietrecht“ und die Abschaffung der Maklergebühren für die Mieter.

„Eine erneuerte Sozialdemokratie wird diesem Land guttun“, rief Rendi-Wagner zum Schluss ihren Genossen zu. „Ich werde mit großer Entschlossenheit dafür kämpfen, dass wir wieder stärkste politische Kraft werden.“ Applaus brandete auf, ihr Schlusssatz wurde von stehenden Ovationen unterbrochen. „... und ich werde dafür rennen und kämpfen, dass ich mit eurer Unterstützung die erste Bundeskanzlerin dieser Republik werde.“ Minutenlanger Applaus folgte.

Video: Tosender Applaus für Rendi-Wagner

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„Yes, we Pam“

Nach dem Jubel folgten fast drei Stunden lang Wortmeldungen der Delegierten, ausnahmslos positiv zur neuen Parteichefin. „Gänsehautstimmung ist noch untertrieben“, fand gar der SPÖ-Bundessrat Mario Linder. „Liebe Pam, das war bombastisch. Wir stehen hinter dir, neben dir und vor dir. Pam, yes you can, yes we Pam“, zitierte er den Wahlslogan von Ex-US-Präsident Barak Obama.

Bemerkenswert  war, dass bei der Präsidiumswahl Burgenlands Finanzlandesrat Hans Peter Doskozil mit etwas mehr als 82 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis bekam. Das steht ganz im Gegensatz zum APA-OGM-Politikervertrauensindex, der Doskozil als beliebtesten SPÖ-Politiker ausweist.

Launige Abschiedsrede von Kern

Zum Abschluss dann die Abschiedsrede von Christian Kern. Der scheidende SPÖ-Chef wurde überraschend freundlich und mit viel Applaus von den Delegierten begrüßt. In seiner Rede nahm er Abschied von den „Genossen“, und zog dabei eine – ebenfalls überraschend – positive und mitunter launische Bilanz seiner politischen Arbeit. „Wir haben nicht alles erreicht, was ich erreichen wollte, aber es war auch nicht nix“, befand Kern.

In der Welser Messehalle hatte Kern Anfang 2017 seinen „Plan A“ präsentiert, in seiner Rede erinnerte er sich ein wenig wehmütig an seine große Anspannung damals.

Dann bedankte er sich persönlich bei seinen ehemaligen Mitstreitern, bei Ex-Sozialminister Alois Stöger für seine „Aktion 20.000“ und die Abschaffung des Pflegeregresses, bei Ex-Bildungsministerin Sonja Hammerschmied, weil sie die Schulautonomie gestartet hatte, bei Ex-Kanzleramtsminister Thomas Drozda, Ex-Beamtenstaatssekretärin Muna Duzdar und Max Lercher, den Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführer.

Seiner Nachfolgerin Rendi-Wagner – er hatte sie in die Politik geholt und zur Gesundheitsministerin gemacht – streute er Rosen. Sie stehe auf seiner Liste fürs „Pferde-Stehlen“. Und er sei überzeugt, „dass niemand besser für diese Aufgabe geeignet ist“.

Video: Über den Abschied von Kern und den Blick in die Zukunft

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Video: Analyse der Kür von Rendi-Wagner

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