Politik/Inland

100 Jahre Caritas: Ein Seismograf für Armut

50.000 freiwillige Helfer. 1.600 Einrichtungen quer durch Österreich. 500 Projekte in mehr als 60 Ländern der Erde.

Die Caritas, eine der größten Freiwilligen-Organisationen Österreichs, ist 100 Jahre alt geworden.

Sie hätten ja gern gefeiert, sagt Präsident Michael Landau am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Wien. Aber 2021 sei definitiv kein Jahr zum Feiern, meint der Wiener Caritas-Direktor Klaus Schwertner.

Schon gar nicht für die Klienten der Caritas. Die Pandemie hat nicht nur gesundheitlich ihre Spuren hinterlassen, sondern auch sozial.

„Unsere 1.600 Einrichtungen sind 1.600 Seismografen für gesellschaftliche Entwicklungen. Und diese Seismografen haben im Vorjahr ein Erdbeben registriert“, sagt Generalsekretärin Anna Parr.

Das Erdbeben lässt sich zum Beispiel in 90.000 Suppen messen, die allein aus zwei Suppenbussen verteilt wurden. Oder in geschätzten 17.000 Personen, die demnächst in die Obdachlosigkeit schlittern könnten, weil die Mieten, die während der Pandemie gestundet wurden, fällig werden.

Obdachlosigkeit droht

Der Ort der Geburtstagsfeier der Caritas passt zur Stimmung: Es ist die Gruft, die wohl berühmteste Obdachlosenunterkunft des Landes, im sechsten Wiener Bezirk. Gegründet von einem Pfarrer und ein paar Schülern, die mit Schmalzbroten und Tee Obdachlose versorgten, ist die Einrichtung bereits dreißig Jahre alt geworden.

Landau nimmt das 100-Jahr-Jubiläum der Caritas zum Anlass, um einen sozialen Wiederaufbau des Landes nach der Krise zu fordern: „Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie vor wenigen Tagen einen wirtschaftlichen Comeback-Plan für Österreich ins Leben gerufen hat. Zu unserem 100. Geburtstag wünschen wir uns aber nichts weniger als ein soziales Comeback – einen Plan für den sozialen Wiederaufbau.“

Sozialer Comeback-Plan

An erster Stelle müsse nun die Armutsbekämpfung stehen. Die Caritas fordert eine Überarbeitung der „Sozialhilfe Neu“ und die Wiedereinführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Auch eine Überprüfung aller Versicherungs- und Sozialleistungen auf ihre „Armutsfestigkeit“, die Ausweitung des Familienbonus auf einkommensschwache Haushalte und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, das für viele nicht armutsfest sei, steht auf der Wunschliste.

Auch wünscht sich die Caritas einen „Pakt gegen Kinderarmut“: Man müsse „alles daran setzen, dass Kinder in Familien aufwachsen, die zumindest das Notwendigste haben“, sagte Anna Parr. Neben Maßnahmen im Bildungssektor wie etwa ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr müsse man auch über Formen einer Kindergrundsicherung nachdenken.

Landau wünscht sich einen „Turbogang bei der Umsetzung der Pflegereform“.