Politik/Ausland

Russische Armee bombardiert Kramatorsk

Tag 41 im Krieg zwischen Aggressor Russland und der Ukraine.

Die russische Armee hat in der Nacht auf Dienstag die ostukrainische Großstadt Kramatorsk bombardiert. Bei den Raketenangriffen wurde laut Nachrichtenagentur AFP eine Schule im Zentrum zerstört. Seit der Ankündigung Moskaus, seine Militäraktionen auf den Donbass zu konzentrieren, wird im Osten der Ukraine eine russische Großoffensive befürchtet. Der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, warnte indes die Bewohner der Vororte davor, in ihre Häuser zurückzukehren.

Die attackierte Schule in Kramatorsk liegt neben einem Gebäude der Polizei. Neben dem teilweise eingestürzten Schulgebäude war nach dem Angriff ein Krater mit einem Durchmesser von etwa zehn Metern zu sehen. Zahlreiche Fensterscheiben wurden zerstört. Da sich zum Zeitpunkt des Angriffes niemand in der Schule aufhielt, gab es nach Angaben von Anwohnern offenbar keine Opfer.

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Die ukrainischen Behörden gehen davon aus, dass sich die russischen Streitkräfte aus Gebieten im Norden der Ukraine, insbesondere um Kiew, zurückgezogen haben, um ihre Angriffe im Osten und Süden des Landes zu intensivieren. Kampfhandlungen in diesen Regionen hätten im Laufe der Woche aufgrund des russischen Rückzugs deutlich abgenommen. Die aus dem Norden abgezogenen Truppen müssten mutmaßlich völlig neu ausgestattet und aufgestellt werden, bevor Moskau sie im Osten der Ukraine wieder einsetzen könne, hieß es weiter.

Das ukrainische Verteidigungsministerium rechnet mit weiteren russischen Angriffen auf die belagerte Millionenstadt Charkiw im Osten der Ukraine.

Täuschungsmanöver

So meinte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kiew, Olexander Motusjanyk, nach Angaben der Ukrajinska Prawda in der Nacht auf Dienstag: Russische Truppen bereiten sich darauf vor, Charkiw zu erobern. Auch in anderen Gebieten im Osten der Ukraine erhielten russische Truppen demnach Verstärkung.

Die russischen Streitkräfte hatten vergangene Woche angekündigt, ihre Aktivitäten rund um die Hauptstadt massiv zu reduzieren. Die ukrainischen Streitkräfte warnen hingegen, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handeln könnte. Nach dem russischen Abzug aus einigen Vorstädten von Kiew fanden die ukrainischen Truppen zahlreiche Leichen vor, insbesondere in Butscha. Westliche Regierungschefs werfen den Russen deshalb Kriegsverbrechen vor. Moskau weist die Anschuldigungen zurück.

Selenskij spricht vor UNO-Sicherheitsrat

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einer Rede vor dem UNO-Sicherheitsrat gefordert, Russland für die Gräueltaten in dem Kiewer Vorort Butscha zur Rechenschaft zu ziehen. „Rechenschaft muss unvermeidbar sein“, sagte Selenskyj am Dienstag bei seiner per Videoschaltung übertragenen Rede vor dem wichtigsten UNO-Gremium

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600 Soldaten in Gefangenschaft

Unterdessen befinden sich etwa 600 russische Soldaten derzeit in Kriegsgefangenschaft der Ukraine. Das sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Dienstag früh nach Angaben der Ukrajinska Prawda im Einheitsprogramm des ukrainischen Fernsehens. Man suche nach Wegen, über das Rote Kreuz Ukrainer in russischer Kriegsgefangenschaft zu erreichen, und wolle Russland dazu bringen, sie freizulassen. In den Gebieten der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk seien einige Menschen bereits seit 2014 in russischer Kriegsgefangenschaft.

Die Ukraine kündigte unterdessen für Dienstag die Einrichtung von insgesamt sieben Fluchtkorridoren für die Evakuierung von Zivilisten an. Die belagerte Hafenstadt Mariupol könnten Bewohner aber ausschließlich in Privatautos verlassen, sagte Vize-Regierungschefin Wereschtschuk der Agentur Ukrinform zufolge. Sie warf den russischen Truppen vor, entgegen ihrer Zusagen den Zugang nach Mariupol für Hilfkonvois weiter zu blockieren. Kiew und Moskau beschuldigen sich seit Wochen gegenseitig, die Flucht von Zivilisten zu sabotieren.

Wereschtschuk zufolge wurden Mitarbeiter des Roten Kreuzes, die zwischenzeitlich in der westlich von Mariupol gelegenen Ortschaft Manhusch festgehalten worden sein sollen, mittlerweile wieder freigelassen. Das Rote Kreuz solle am Dienstag einen neuen Versuch starten, Menschen in Bussen in die Stadt Saporischschja zu bringen.

NATO an Ostflanke mit neuen Truppen

Die NATO kommt mit ihren Bemühungen um eine Verstärkung der Ostflanke voran. Wie eine Sprecherin des Militärbündnisses der Deutschen Presse-Agentur bestätigte, haben die vier neuen multinationalen Gefechtsverbände in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Slowakei die erste Stufe der Einsatzbereitschaft erreicht. Ihr Aufbau war erst vor einigen Wochen angekündigt worden.

Zur genauen Zusammenstellung und Größe der sogenannten Battlegroups äußerte sich die NATO zunächst nicht. Nach einer Aufstellung vom 21. März waren allerdings schon damals 2.100 Soldaten aus Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, Tschechien und den USA in der Slowakei präsent. In Ungarn waren es 800 Soldaten aus Kroatien, in Bulgarien 900 aus den USA und in Rumänien 3.300 aus Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien und den USA.

Die neuen Gefechtsverbände sollen angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine die Abschreckung und die Verteidigungsfähigkeiten weiter erhöhen. Bisher hatte die NATO nur in den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen dauerhaft multinationale Verbände stationiert. Normalerweise sind diese Battlegroups etwa 1.000 bis 1.200 Soldaten stark, sie wurden allerdings zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs deutlich verstärkt. Deutschland führt derzeit einen rund 1.600 Soldaten starken Gefechtsverband in Litauen. In die Slowakei wurden im März zudem Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe mit dem Flugabwehrraketensystem Patriot verlegt.

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Wann die neuen Gefechtsverbände in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien nach der sogenannten Anfangsbefähigung (Initial Operational Capability) auch die sogenannte Vollbefähigung (Full Operational Capability) zertifiziert bekommen, blieb zunächst unklar. Ebenfalls ist noch offen, wie die langfristige NATO-Präsenz an der Ostflanke aussehen soll.

Als Option gilt, erstmals Brigaden im östlichen Bündnisgebiet zu stationieren. Sie könnten jeweils rund 5.000 Soldaten stark sein und zum Beispiel durch Elemente der Luft- und Seestreitkräfte oder Spezialkräfte ergänzt werden.

Ein solcher Schritt dürfte allerdings die Spannungen mit Russland weiter verstärken. Moskau würde vermutlich argumentieren, dass die langfristige Stationierung solcher Brigaden nicht mit der NATO-Russland-Grundakte vereinbar sei. Darin hat sich die NATO verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung "substanzieller Kampftruppen" im östlichen Bündnisgebiet zu verzichten.

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