Politik/Ausland

Impfdosen: EU-Vizechef räumt Fehler "bei uns und bei den EU-Staaten" ein

In einem Brief an die EU-Spitzen kritisierten Kanzler Sebastian Kurz und seine Amtskollegen Andrej Babis (Tschechien), Janez Jansa (Slowenien), Bojko Borissow (Bulgarien), Krisjanis Karins (Lettland) und Andrej Plenkovic (Kroatien), dass die "Lieferung von Impfstoffen durch Pharmaunternehmen an einzelne EU-Mitgliedstaaten nicht auf gleicher Basis" erfolge. 

Das derzeitige Bestellsystem würde "bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen", so die Regierungschefs in Richtung EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. 

Brüssel reagierte zurückhaltend auf den Vorstoß der sechs Länder. Ein EU-Vertreter bestätigte am Samstag den Eingang des Briefes und erklärte: "Wir beobachten die Lage genau." Er verwies zudem auf den Plan für einen EU-Gipfel am 25. und 26. März.

Auch Ungarn hat die EU wegen schleppender Impfstoff-Beschaffung erneut kritisiert. Im staatlichen Rundfunk betonte der Premier Viktor Orban, dass es immer wieder Enttäuschungen hinsichtlich der Vakzine-Beschaffung durch Brüssel gebe. Die Impfstoffe würden gar nicht, in geringerer Menge oder verspätet eintreffen.

Versäumnisse

EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat Versäumnisse bei der Bestellung der Corona-Impfstoffe eingeräumt. "Sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedstaaten" seien Fehler gemacht worden, sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag".

Aber erst am Ende der Pandemie könne man Bilanz ziehen, um zu sehen, "was wir falsch und was wir richtig gemacht haben". Vorerst gehe es aber erst einmal darum, "dass ganz Europa Impfstoff bekommt".

Ein europäisches Vorgehen sei "auch im Interesse der reicheren Staaten" wie Deutschland erfolgt, ergänzte der Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Blick auf die gemeinschaftliche Impfstoff-Bestellung.

Die EU-Kommission hat von den vier in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffen insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Dosen geordert - eigentlich mehr als genug für die rund 450 Millionen Europäer. Allerdings steht die Kommission seit längerem in der Kritik, unter anderem weil ihr zögerliches Handeln und strategische Fehler bei der Bestellung von Impfstoffen vorgeworfen werden.

Hahn kontert Kurz

Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn hat die Vorwürfe von Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) zurückgewiesen, dass es in der EU einen "Impfbasar" gebe. Gegenüber den Tageszeitungen Salzburger Nachrichten und Oberösterreichische Nachrichten betonte Hahn, der Umstand, dass manche EU-Länder mehr als die ihnen nach der Bevölkerungszahl zustehende Quote an Impfstoffen erhalten hätten, sei "nicht auf einen Willkürakt Brüssels zurückzuführen".

Vielmehr ergebe sich das "aus der Tatsache, dass manche Länder, wie Malta oder Dänemark, ihr Kontingent voll ausgenützt haben, andere Länder, wie Österreich, nicht", bekräftigte Hahn die Position der EU-Kommission. Weiter sagte der in Brüssel tätige ÖVP-Politiker: "Es ist leider auch so, dass Länder, die vorwiegend auf den wesentlich billigeren Impfstoff AstraZeneca gesetzt haben, nun von den Lieferschwierigkeiten des Herstellers betroffen sind."

Zu diesen Ländern gehört auch Österreich, das seine Impfstrategie zu einem guten Teil auf AstraZeneca aufgebaut hatte. Hahn versprach "maximale Anstrengungen" der EU-Kommission, den am stärksten betroffenen Corona-Hotspots in Europa zu helfen. Nachsatz: "So wie wir es auch kürzlich im Falle von Tirol mit den zur Verfügung gestellten 100.000 Impfdosen von Biontech gemacht haben."
 

Niederlande weisen Kritik zurück

Kurz hat am Freitag das EU-Beschaffungsprogramm als "Basar" kritisiert, wo Abmachungen zwischen Mitgliedsstaaten und Pharmaunternehmen getroffen worden sein sollen. So hätten laut Kurz zum Beispiel die Niederlande und Dänemark Zugang zu wesentlich mehr Impfstoff pro Kopf als Länder wie Bulgarien oder Kroatien. 

Die Niederlande und Malta wiesen die Vorwürfe aus Wien zurück. Maltas Gesundheitsminister Chris Fearne sagte, die Impfstoffe für Malta seien über den EU-Mechanismus beschafft worden. Das niederländische Gesundheitsministerium erklärte: "Wir halten uns an die Absprachen." Die Niederlande nutzten den Spielraum aber "maximal" aus und übernähmen ein Kontingent, wenn ein anderes Land darauf verzichte. Die Niederlande haben als letztes EU-Land mit der Impfkampagne begonnen, holen aber inzwischen auf.

Auch Deutschland trat der Kritik entgegen. Grund sei, dass EU-Staaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, so ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin.

Seit längerem ist bekannt, dass nicht alle Staaten die ihnen theoretisch zustehenden Mengen auch tatsächlich abrufen. Staaten können freiwillig auf Dosen verzichten - Bulgarien und Lettland etwa taten dies aus Kostengründen. Die frei gewordenen Kontingente können dann andere EU-Staaten aufkaufen. Dänemark und Malta etwa griffen hier großzügig zu.

Auch Österreich hätte mehr Impfstoff kaufen können. Zu Moderna sagte man aus Zeitgründen "Nein Danke". Und auch bei Biontech/Pfizer sicherte sich Österreich nicht jene Mengen, die es hätte haben können. Zwei Prozent aller in der EU vorhandenen Dosen wären Österreich nach Schlüssel zugestanden. Man sicherte sich allerdings nur 1,5 Prozent des EU-Angebots.

Gesundheitsministerium kontert Kurz-Kritik

Die Debatte um die Impfstoff-Lieferungen artete dann in einen türkis-grünen Koalitionsstreit aus: Das Gesundheitsministerium widersprach der Kritik des Kanzlers. Die Verhandlungen über die Verteilung seien "ausgewogen und transparent" gelaufen, betonte die Generalsekretärin des Ministeriums, Ines Stilling, gegenüber Ö1. Alle Mitgliedstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden.

Am Samstag legte die ÖVP nach: Gesundheitssprecherin Gabriela Schwarz richtete Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der derzeit im Krankenstand ist, via Aussendung aus, er solle seine verantwortlichen Beamten - Generalsekretärin Stilling und den Sonderbeauftragten Clemens Martin Auer - suspendieren.

"Gesundheitsminister Anschober bekräftigte in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder, dass alles unternommen werde, um möglichst viel Impfstoff nach Österreich zu bringen“, erklärt Schwarz und fordert eine Offenlegung aller Verträge über die vereinbarten Liefermengen.

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