Hagia Sophia: Weltweite Kritik aus Politik und Kirche
Russland hat die Umwidmung der Hagia Sophia in Istanbul von einem Museum in eine Moschee kritisiert. Diese Entscheidung sei bedauerlich, sagte Vize-Außenminister Alexander Gruschko am Samstag der Agentur Interfax in Moskau. Es gebe heute nicht mehr viele Symbole mit solch einer jahrhundertealten Geschichte, die auch Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit gehabt hätten.
Nicht zuletzt wegen ihrer historischen, kulturellen und interreligiösen Bedeutung gehöre die Hagia Sophia seit 1985 als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe, sagte er.
Am Freitag hatte das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei den Status der einstigen Kirche als Museum aberkannt. Kurz danach ordnete Präsident Recep Tayyip Erdogan an, das Gebäude für das islamische Gebet zu öffnen. Die Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) wurde im 6. Jahrhundert nach Christus erbaut.
Gruschko erwartet nun von der Türkei, das Gebäude zu schützen, zu erhalten und weiter öffentlich zugänglich zu lassen: "Ich hoffe sehr, dass alle Verpflichtungen (...) vollständig umgesetzt werden."
Schlag gegen die Orthodoxie
Zuvor hatte bereits die russisch-orthodoxe Kirche die Umwandlung in eine Moschee kritisiert. Das sei ein Schlag gegen die Orthodoxie, sagte Metropolit Ilarion vom Moskauer Patriarchat im russischen Staatsfernsehen. "Für alle orthodoxen Christen auf der Welt ist die Hagia Sophia ein wichtiges Symbol, wie der Petersdom in Rom für die Katholiken." Die Umwidmung werde die Beziehung der Türkei zur christlichen Welt beeinflussen, ist der Geistliche überzeugt.
Auch Griechenland hat die Umwandlung des Museums der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee verurteilt und mit Konsequenzen gedroht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe einen "historischen Fehler begangen", erklärte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas am Samstag. Auf diese Beleidigung der christlichen Welt müsse es eine entsprechende Antwort geben.
"Griechenland verurteilt dieses Verhalten Erdogans und wird alles, was es kann, tun, damit es Konsequenzen für die Türkei gibt", so der Athener Regierungssprecher.
Weil die Hagia Sophia eine so große Bedeutung für die Orthodoxie hat, reagierten Griechenland und die russische-orthodoxe Kirche auf die Umwandlung besonders scharf. Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis erklärte am Freitagabend, dass der Beschluss Erdogans Folgen für die Beziehungen der Türkei zur EU haben werde. Griechenlands Präsidentin Katerina Sakellaropoulou sprach von einem "zutiefst provokanten Akt gegen die internationale Gemeinschaft". Die Entscheidung beleidige auf "brutale Weise das historische Gedächtnis, untergräbt den Wert der Toleranz und vergiftet die Beziehungen der Türkei zur gesamten zivilisierten Welt", schrieb sie auf Twitter.
Aber auch aus dem nicht orthodox geprägten Frankreich kommt scharfe Kritik. Paris bedauere die Entscheidung der türkischen Regierung, den Status der Hagia Sophia zu ändern, erklärte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian am Freitag. Die Integrität dieses "religiösen, architektonischen und historischen Juwels und Symbols der Religionsfreiheit, Toleranz und Vielfalt" müsse erhalten bleiben.
"Weiterer Schritt weg von Europa"
Deutliche Worte fand ebenso der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg: "Als Museum stand die Hagia Sophia Millionen Menschen aller Kulturen und Religionen offen. Die heutige Entscheidung, diesen Status aufzuheben, ist ein weiterer Schritt der Türkei weg von Europa, den wir zutiefst bedauern und nicht nachvollziehen können“, erklärte er in einer Aussendung.
Das Urteil der türkischen Gerichtsbarkeit werfe zudem die ernste Fragen nach deren Unabhängigkeit auf, so der Außenminister. "Sich von der Offenheit eines historischen Bauwerkes für alle Religionen in einer derartigen Form zu verabschieden, sehen wir sehr kritisch", betonte Schallenberg.
Die Stellung der Hagia Sophia als ehemals größter Sakralbau der Welt, gehe weit über dessen architektonische Bedeutung hinaus. "Als essenzieller Bestandteil der UNESCO Welterbestätte des historischen Istanbuls hat sie großen Symbolwert und versinnbildlicht die geschichtlichen Entwicklungen der Bosporusregion, der für die Symbiose orientalischer und europäischer Kultur steht", unterstrich der Außenminister.
Ihr Bedauern artikulierte die EU. Das Urteil des türkischen Gerichts, den Status der Hagia Sophia als Museum zu annullieren, und die Entscheidung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Hagia Sofia der Aufsicht der Religionsbehörde (Diyanet) zu unterstellen, sei "bedauerlich", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Als Gründungsmitglied der Allianz der Zivilisationen sei die Türkei dem interreligiösen und interkulturellen Dialog sowie der Förderung von Toleranz und Koexistenz verpflichtet.
"Bestürzung und Trauer"
Mit "Bestürzung und Trauer" hat der Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK/Weltkirchenrat), Ioan Sauca, in einem Brief an den türkischen Präsidenten Recep T. Erdogan reagiert. Wörtlich stellte der rumänisch-orthodoxe Theologe fest: "Sie haben durch die Entscheidung, die Hagia Sophia wieder zur Moschee zu machen, das positive Signal der Offenheit der Türkei zu einem Zeichen von Ausschließung und Spaltung umgewandelt."
Diese Entscheidung sei leider auch ohne vorherige Benachrichtigung oder Diskussion mit der UNESCO im Hinblick auf die Auswirkungen auf den "universalen Wert" der Hagia Sophia erfolgt, wie er durch die Welterbe-Konvention besiegelt sei. Der ÖRK-Generalsekretär forderte den türkischen Präsidenten ausdrücklich zur Revision seiner Entscheidung auf.
Seit langem unternehme der Weltkirchenrat große Anstrengungen, um die aktive Beteiligung seiner Mitgliedskirchen im interreligiösen Dialog zu unterstützen und so Brücken "des gegenseitigen Respekts und der Zusammenarbeit" auf der Basis gemeinsamer Werte der verschiedenen Religionsgemeinschaften zu bauen, betonte Sauca. In schwierigen Zeiten habe sich der Weltkirchenrat mit seinen Mitgliedskirchen auch immer wieder für die Rechte von andersgläubigen Gemeinschaften, "einschließlich von muslimischen Gemeinschaften", ausgesprochen.
Die Entscheidung, eine so bedeutsame Stätte wie die Hagia Sophia von einem Museum wieder in eine Moschee zu verwandeln, werde unvermeidlicherweise "Unsicherheit, Verdacht und Misstrauen" mit sich bringen. Damit werde sie auch die Anstrengungen des Weltkirchenrats unterminieren, Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit an den Tisch von Dialog und Zusammenarbeit zu bringen.
Abschließend stellte der ÖRK-Generalsekretär fest, dass der ÖRK mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in der "leidenschaftlichen Hoffnung und im Gebet" übereinstimme, dass die Hagia Sophia nicht neuerlich ein Brennpunkt von "Konfrontation und Konflikt" werden möge, sondern wieder jene einheitsstiftende Rolle einnehmen könne, der sie seit 1934/35 gedient habe.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, schrieb am Samstag auf Twitter: "Dass man in der Hagia Sophia beten darf, ist richtig, sie ist kein Museum, der Säkularismus Atatürks war gegen jede Religion. Könnte diese großartige Kirche nicht ihre 900 christliche und 500 Jahre islamische Geschichte dadurch spiegeln, dass Muslime und Christen darin beten?", regte er eine gemeinsame Nutzung an.
Die Deutsche Bischofskonferenz äußerte sich besorgt und warb "für eine politische Entscheidung, die die Einheit des Landes und das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Muslimen und Christen stärkt, statt Bitterkeit zu schüren und Fliehkräfte zu begünstigen", sagte Sprecher Matthias Kopp.