Ein Sieg auf Krücken: McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt
Von Dirk Hautkapp
Auf den Tag genau zwei Jahre nach dem von Donald Trump angezettelten blutigen Sturm auf das Kapitol in Washington hat die Herzkammer der US-Demokratie am Freitagabend erneut unrühmliche Geschichte geschrieben.
Diesmal mit einem seit über 160 Jahren beispiellosen parlamentarischen Gewürge, das maßgeblich auf Trump-Sympathisanten in der republikanischen Partei zurückgeht.
Nach einem quälenden Wahl-Marathon, der viele Amerikaner seit Wochenbeginn mit Wut und Frustration zurückließ, hatte sich der Republikaner Kevin McCarthy im 14. Wahlgang fest darauf eingestellt, nach vielen Demütigungen doch noch die nötigen Stimmen aus den eigenen Reihen zu bekommen, um Vorsitzender des Repräsentantenhauses zu werden. Und damit nach Präsident Joe Biden und Vize-Präsidentin Kamala Harris die Nr. 3 im Staat.
Daraus wurde - zunächst - wieder nichts.
180-Grad-Kehrtwende
Dann plötzlich aus heiterem Himmel die 180-Grad-Kehrtwende. Nach diversen Versuchen verschiedener Akteure, Gaetz unter Druck zu setzen und „umzudrehen”, nahmen die Republikaner ihre Vertagungsabsicht zurück und strengten einen weiteren Wahlgang an - den 15.
Zuvor machte im emotional hoch aufgeladenen Plenum die Information die Runde, dass Matt Gaetz sich hat umstimmen lassen. Warum? Womit? Fehlanzeige. Es gibt allerdings die Aussage von Parlamentariern, dass Donald Trump seinen großen Fan in letzter Sekunde via Handy-Anruf dazu gedrängt haben soll, McCarthys Erfolg nicht länger im Weg zu stehen.
Im 15. Wahlgang humpelte Kevin McCarthy schließlich beidseitig mit politischen Krücken zum Sieg. Keine Gegenstimmen, sechs Enthaltungen und 216 Ja-Stimmen aus seiner Fraktion brachten ihn über die Ziellinie.
Der fast in letzter Minute gescheiterte Durchbruch zeichnete sich für den 57-Jährigen Kalifornier nach vier Tagen voll von demütigenden Abstimmungsniederlagen bereits im zwölften und 13. Wahlgang ab.
Von 21 „Parteifreunden“, die dem Mann aus Bakersfield zuvor beharrlich die Zustimmung verweigert und für chancenlose Alternativen in den eigenen Reihen gestimmt hatten, drehten plötzlich 15 bei.
Darunter Leute wie Paul Gosar, ein als Extremist und Verschwörungstheoretiker auf dem rechten Flügel bekannter Abgeordneter, der zuvor den Eindruck erweckt hatte, seine Anti-McCarthy-Haltung sei in Stein gemeißelt.
Der Sinneswandel der als „Taliban“ verunglimpften Abtrünnigen, die McCarthy seit Dienstag in teilweise ehrabschneidenden Beiträgen als nicht konservativ und standhaft genug gebrandmarkt hatten, geht auf weitreichende Konzessionen zurück, die vor allem in der Nacht zu Freitag zwischen McCarthy und seinen Widersachern ausverhandelt wurden.
Alle Details sind bisher nicht bekannt. Aber es handelt sich im Kern um verfahrenstechnische Prozeduren, Mitsprache-Rechte und Personalentscheidungen. Sie sollen dem ultra-rechten Flügel der unter „Freedom Caucus“ bekannten Republikaner in wichtigen Ausschüssen, die darüber entscheiden, wann welche Gesetze verabschiedet werden, und bei Abstimmungen im Plenum entschieden mehr Einfluss einräumen. Bis hin zur Blockademacht in existenziellen Fragen.
So dürfen künftig alle republikanischen Abgeordneten individuell Anträge einbringen, wenn es um den Staatshaushalt geht. Spätestens in diesem Sommer, wenn die USA ihre Schuldenobergrenze erreicht haben, die vom Kongress angehoben werden muss, könnte sich dies nach Expertenmeinung fatal bis zum Staatsbankrott auswirken. Und zwar dann, wenn einzelne Nein-Sager auf der Bremse stehen und sich einer Anhebung verweigern.
Außerdem kann künftig über den Fortbestand von McCarthy an der Spitze des Repräsentantenhaus bereits abgestimmt werden wenn nur ein einziger von 222 republikanischen Abgeordneten ein entsprechenden Misstrauensvotum beantragt. McCarthy macht sich dadurch in einem bisher nicht gekannten Maße erpressbar.