Beben in Türkei und Syrien: 15-jährige nach 110 Stunden gerettet
Die Zahl der Toten nach den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist auf über 24.000 gestiegen. Allein in den betroffenen Gebieten in der Türkei wurden 20.665 Tote geborgen, wie die Katastrophenschutzbehörde AFAD Samstag früh mitteilte. In Syrien wurden mehr als 3.500 Todesopfer gemeldet. Viele Menschen werden noch unter den Trümmern vermisst.
Hunderttausende wurden durch die Erdstöße obdachlos. Etwa 24,4 Millionen Menschen sind der Türkei zufolge von den Erdbeben betroffen. In der Türkei wurden laut den Behördenangaben fast 93.000 Menschen aus den Erdbeben-Gebieten herausgebracht. Mehr als 166.000 Einsatzkräfte seien an den Rettungs- und Hilfseinsätzen beteiligt. Seit dem ersten Beben Montag früh seien fast 1.900 Nachbeben registriert worden.
Berührende Einzelschicksale
In der osttürkischen Provinz Kahramanmaras konnte unterdessen ein 15-jähriges Mädchen nach über 110 Stunden lebend geborgen werden. Die Rettungsteams hätten nach der Ortung des Mädchens einen Tunnel durch den Schutt gegraben, teilte Anna Grabner-Strobach vom Samariterbund Einsatzteam in der Türkei am Abend mit.
Die Rettungskräfte zogen in Kahramanmaras 112 Stunden nach dem Beben einen 46 Jahre alten Mann aus der Ruine eines siebenstöckigen Gebäudes, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. In der Provinz Gaziantep wurde demnach eine schwangere Frau nach 115 bangen Stunden zurück ans Tageslicht geholt.
Ebenfalls in Gaziantep bargen Helfer ein neunjähriges Mädchen nach 108 Stunden aus dem Schutt - ihre beiden Eltern und ihre Schwester waren da jedoch schon tot. In der osttürkischen Provinz Kahramanmaras konnte ein 15-jähriges Mädchen nach über 110 Stunden lebend geborgen werden, wie der Samariterbund mitteilte.
Da Menschen im Regelfall kaum länger als drei Tage ohne Wasser überleben können und die Vermisstenzahlen noch immer sehr hoch sind, ist zu befürchten, dass die Opferzahlen noch drastisch steigen werden.
Am frühen Montagmorgen hatte zunächst ein Beben der Stärke 7,7 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert, bevor am Mittag ein weiteres Beben der Stärke 7,6 folgte. Da Menschen nur in seltenen Fällen länger als drei Tage ohne Wasser überleben können und die Vermisstenzahlen noch immer sehr hoch sind, ist zu befürchten, dass die Opferzahlen noch drastisch steigen dürften.
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir sprach sich für rasche Einreise-Erleichterungen aus, damit Betroffene des Erdbebens zu Angehörigen nach Deutschland kommen können. "Viele Menschen in Deutschland haben Verwandte in der Katastrophenregion und sorgen sich verzweifelt um sie", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesregierung hatte eine "pragmatische Lösung" bei der Visa-Vergabe an Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Aussicht gestellt.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte am Freitag an, vom Erdbeben betroffenen Menschen mit Verwandten in der Hauptstadt die Einreise nach Deutschland zu erleichtern. Sie sollen schneller als sonst das nötige Visum erhalten können. Dazu erließ die Berliner Senatsinnenverwaltung eine sogenannte Globalzustimmung, die sonst erforderliche Beteiligung des Berliner Landesamts für Einwanderung entfällt. Auf den Nachweis von Deutschkenntnissen werde verzichtet, hieß es. Die Regelung betreffe nahe Angehörige wie minderjährige Kinder sowie Ehepartner und -partnerinnen. Die Beschleunigung der Visa-Erteilung gilt demnach bis zum 31. Juli 2023.
"Nadelöhr" bei Hilfe
Ärzte ohne Grenzen hob am Freitag dessen Bedeutung hervor. "Bab al-Hawa muss offen bleiben", sagte die logistische Koordinatorin der NGO für Syrien, Karin Puchegger, zur Austria Presse Agentur.
Die 36-jährige Oberösterreicherin sprach von einem "Nadelöhr", das den Hilfsgütertransport in das vom Erdbeben betroffenen Nordsyrien stark verzögere. Zerstörte Straßen, Überflutungen und ein Mangel an Treibstoff erschwerten den Hilfseinsatz für Ärzte ohne Grenzen. Zusätzlich starben bereits zwei ihrer Kollegen durch das Erdbeben. Auch Angehörige der rund 400 Mitarbeiter, die sich großteils in Syrien aufhalten, kamen bereits um. "Unser Personal ist nicht nur im Hilfseinsatz, sondern in vielen Fällen selbst vom Beben betroffen. Das ist natürlich besonders tragisch", so Puchegger.
Besonders dringend gebraucht werde logistisches Material wie Zeltplanen, Isoliermatten, Decken oder Abdeckfolien, hieß es. "Die Menschen haben schließlich ihr Zuhause verloren und schlafen in Autos oder auf der Straße." Zwar könne der Bedarf noch durch eigene Lager in Syrien gedeckt werden, jedoch seien die Bestände an medizinischer Ausrüstung wie OP-Sets, Verbänden oder Wund-Kits weitaus größer, sagte sie.