Meinung/Mein Tag

Eine Zugfahrt mit Kuscheleinheiten und einer großen Portion Nostalgie

Die Woche begann mit verspäteten Zügen. Das hatte unterschiedliche Auswirkungen auf die Fahrgäste, die am Morgen mit mir im Waggon gedrängt standen. Die einen zückten panisch ihr Handy, um ihre Termine darüber zu informieren, dass sie zu spät kämen und schimpften dabei mehr oder weniger moderat vor sich hin. Zwei Schüler waren indes sehr glücklich. Sie hatten offenbar verschlafen und freuten sich, dass sie die Verspätung nun auf die ÖBB schieben konnten.

Im Gang zwischen den Sitzplätzen begann sich ein wütender Mob zu formieren. Die Wut richtete sich auf eine Dame, die ihre Tasche auf den leeren Platz neben sich gestellt hatte – und gekonnt ignorierte, dass es mehrere Anwärter auf diesen Sitzplatz gab. (Wäre sie später auch noch links auf der Rolltreppe gestanden, sie wäre wohl mit Teer und Federn aus der Stadt gejagt worden.)

Ein Mann musste sich bei einer Station rabiat aus dem Zug kämpfen, weil niemand für ihn Platz machen wollte. Am Bahnsteig angekommen, merkte besagter Mann allerdings, dass er eine Station zu früh ausgestiegen war und musste sich wieder hineinwurschteln. Mit hochrotem Kopf und unter beschämtem Gemurmel, dass er sich „wohl verschaut“ habe.

Bei Station vier hatten sich alle mit der beengten Situation abgefunden. Man begann mit den Menschen zu scherzen, deren Ellenbogen und Knie mit dem eigenen Körper schmerzhaft verschmolzen. Irgendwer sagte was von Social Distancing und der Waggon brüllte vor Lachen, als ob das die unerwartetste Pointe der Welt gewesen wäre.

Eine Zugfahrt wie vor der Pandemie. Schön. Ab morgen aber bitte wieder pünktlich. Weil ohne den Nostalgiefaktor braucht das erzwungene Gruppenkuscheln eigentlich keiner.