Leben/Gesellschaft

RunNa: Die Summe der einzelnen Teile

„Die Summe der einzelnen Teile.“ Der Songtitel der Hamburger Band Kante ist es, der mir am Donnerstag, einen Tag nach dem Fun Run, im Kopf herumgegangen ist. „Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile“, sagte schon Aristoteles. Beide sprechen mit aus der Seele. Denn das Ganze, sprich das Ergebnis, ist eben nicht nur ein Summieren der einzelnen Trainings. Von der Summe der einzelnen Teile, sprich Faktoren, die an dem Tag, in der Stunde oder auch schon in den Tagen zuvor mitwirken, hängt dennoch wiederum das Ganze ab. Bevor ich hier nun zu philosophisch und wahrscheinlich verwirrend werde, komme ich zum eigentlichen Thema: der Frauen Fun Run vergangenen Mittwoch im Wiener Prater. 

Insgesamt 1613 Frauen und Mädchen ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, rund sechs Wochen vor dem eigentlichen Hauptbewerb, dem Österreichischen Frauenlauf, ihre Form zu testen. Für Läuferinnen, die am 27. Mai den 5er in Angriff nehmen, gab es drei Kilometer als Speed-Test. Für die zehn Kilometer Läuferinnen und somit auch für mich und meine beiden 10k Challenge Kolleginnen Sarah und Vicky galt es, sechs Kilometer im angestrebten Renntempo zu absolvieren. 

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Die Trainings der vergangenen Wochen liefen recht gut. Dennoch strotzte ich im Vorfeld nicht gerade vor Selbstvertrauen. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, heißt es. Kurze Distanzen sind nicht meine Stärke und so wusste ich genau, dass es alles andere als eine gmahde Wiesn werden würde. Außerdem war ich zuletzt im Dezember 2016 richtig Vollgas bei einer Kurzdistanz auf Zeit gelaufen. Damals lief es nicht gut. Der Beginn meiner gesundheitlichen Probleme. Jetzt geht es mir zwar wieder gut, die Erinnerungen an Wettkämpfe von damals haben sich jedoch eingeprägt und kommen, sobald ich an der Startlinie stehe, wieder hoch. „Der Unwissende hat Mut, der Wissende hat Angst", wusste schon der italienische Schriftsteller Alberto Moravia

Rote Warnleuchte

Doch irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, um sich seiner Angst, oder ich nenne es in dem Fall einmal Schwäche, zu stellen. Deswegen hatte ich mich bei der 10k Challenge beworben. Schneller werden auf den Kurzen und im besten Fall am 27. Mai eine persönliche Bestzeit beim 10er aufstellen. Soweit so gut. Seit mehr als sechs Wochen läuft es jetzt nach Plan und nun, nach etwa der Hälfte der Trainingszeit für den 27. Mai, stand der erste Testlauf an. 

Wie gesagt, ich hatte schon ewig an keinem Wettkampf unter Halbmarathon-Distanz teilgenommen. Dementsprechend nervös war ich. Nicht nur am Wettkampftag, sondern bereits die Tage davor. Dachte ich an den 11. Mai, begann in meinem Gehirn eine rote Warnleuchte zu blinken. Ja, ich hatte Angst. Und wie wir alle wissen: Angst ist kein guter Nährboden. 

Dennoch gelang es mir, die negativen Gedankenspiele von „was ist, wenn...“ so gut es geht zu verdrängen. Das Training die Woche zuvor lief gut bis sehr gut. Ein Steigerungslauf und zwei fordernde Tempoeinheiten: sechs Kilometer in glatten 30 Minuten (geworden sind’s 29:30) und gleich im Anschluss drauf 6x800, bei denen ich zwar wirklich beißen musste, sie aber dennoch so gut es eben ging, durchziehen konnte. Zwei Tage später dann meine Lieblingstrainingsvariante: Wechseltempo. 14 Kilometer abwechselnd 4:50 und 5:50. Ich mag das abwechselnde Fordern und Erholen. Es lief super und ich konnte die schnellen Kilometer um die 4:45 laufen. Somit hatte ich zumindest in den Tagen vor dem Fun Run eine ordentliche Portion Selbstvertrauen getankt und wusste: Wenn du das so gut geschafft hast, sollte es möglich sein, die 6k unter 4:50 im Bestcase an die 4:40 zu laufen. Tja, sollte. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. 

Erstmals im Eliteblock

Obwohl es ein sehr warmer, sonniger Frühlingstag ist, bekomme ich Gänsehaut als ich gegen 17.15 Uhr in Richtung Start- Zielgelände gehe. Bereits in der U-Bahn wimmelte es von Läuferinnen und nach meiner doch recht langen Abstinenz von rund sechs Monaten (zuletzt beim Marathon in Amsterdam) sollte ich hier und heute endlich wieder eine Startnummer tragen. Statt A heute sogar Doppel A. Erstmals im Eliteblock sozusagen. Schneller geht nicht. Hm...

 

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Auf dem Gelände herrscht bereits reges Treiben. Nicht mehr lange und der Startschuss für die drei Kilometer fällt. Ich treffe meine 10k Kolleginnen Vicky und Sarah. Plötzlich höre ich „Be Mine“ von Ofenbach aus den Lautsprechern. Mein Intervallsong. Das kann kein Zufall sein, denke ich. Das wird heute was. Es wird ein guter Lauf werden, versuche ich mich zu pushen. Sarah und Vicky wirken neben mir völlig entspannt, sind gut gelaunt. Ich bin eher ein Nerverl und brauche noch etwas Zeit für mich. Einlaufen. Mit meiner Musik. Wieder Ofenbach. Und Pink singt „Run as fast as I can“. Die Beine sind bleischwer. Doch das heißt nichts. Beim Einlaufen habe ich mich noch nie gut gefühlt. 

Bevor es losgeht, plaudere ich mit ein paar Laufkolleginnen und schließlich werden wir 10k Mädels auch noch für ein Interview auf die Bühne gebeten. Was ich mir für eine Zeit vornehme, werde ich gefragt. Ich zögere für einen Moment. „Naja, so um die 28“, sage ich schließlich. Und dann ist es auch schon soweit. Die Sekunden bis zum Start werden heruntergezählt. Ich spüre mein Herz pochen. Bin nervös. Peng. Los. 

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Auf dem ersten Kilometer die Hauptallee hinunter haben wir gleich mal Gegenwind. Ich habe mich darauf eingestellt und denke, nur nicht überpacen. Nach etwa 300 Metern schaue ich das erste Mal auf die Uhr. Ui. Über ein Überpacen brauche ich mir anscheinend keine Gedanken zu machen. Um die 4:50 zeigt meine Uhr. Eh ok, denke ich. Wird sicher besser werden. Doch es wird nicht besser. Bereits der erste Kilometer zieht sich. Ich wünsche mir, endlich um die Kurve biegen zu können, um vom Rückenwind etwas angeschoben zu werden. Von Beginn an ist es ein Kämpfen die Pace nur irgendwie zu halten. Nach zwei Kilometern denke ich nur noch an das Ziel, das noch vier Kilometer entfernt ist. Ich mag nicht mehr. Mein Atem geht schwer, ich keuche und überlege nach der ersten Runde aufzugeben. Heißt es nicht Fun Run? Wo ist der Fun?

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In meinem Kopf geht es hin und her. Ich schaue auf die Uhr. Die Pace schwankt um die 5:00, ist ein paar hundert Meter sogar weit darüber. Das kann nicht sein. Spinnt das GPS? Ich gebe alles. Zumindest fühlt es sich so an. Was ist los? Nach 14 Minuten und 24 Sekunden habe ich schließlich die erste Runde geschafft. Mein Kampfgeist hält mich dann doch davon ab, aufzuhören und so geht es in die zweite und gleichzeitig letzte Runde. Drei Kilometer noch, komm schon, versuche ich mich in Gedanken zu motivieren. Doch ich pfeife sozusagen aus dem letzten Loch. Es ist ein einziges Kämpfen, Beißen und irgendwie Durchhalten. Zwei Kilometer noch. Ich denke an meinen Freund. Er wartet im Ziel. Hat die letzten Tage und auch die Minuten vor dem Start versucht, mich zu beruhigen. Meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Mich motiviert und auf die guten Trainings verwiesen. Doch es sollte nicht sein. Nach 29 Minuten und 20 Sekunden ist es schließlich vorbei. Ich bin im Ziel. Genau zehn Sekunden schneller als bei meinem Trainingslauf vergangene Woche. 

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„Wie ist es dir gegangen?“ Trainer Mike schaut mich an und sieht wohl, dass ich ziemlich erledigt bin. Körperlich. Aber vor allem auch mental. Ich erzähle. Dass ich es nicht weiß. Dass ich einfach nervös war. Dass ich enttäuscht bin. Denn klar will man für all die Mühen in den vergangenen Wochen auch die Ernte einfahren. Am Tag X die Leistung, die man zuvor erbracht hat, abrufen können. Doch es ging nicht. 

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Die Summe der einzelnen Teile. Nervosität. Druck. Ein langer Arbeitstag. Ungewöhnliche Uhrzeit mit Startzeit 18.35 Uhr. Zwölf Stunden später als mein normaler Laufrhythmus. Ich bin kein Abendmensch. Und nicht zu vergessen: Ich bin auch nur ein normaler Mensch und habe außer Laufen auch andere Sachen im Kopf. Beruflich und privat. Sachen, die man mitschleppt. Vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes und die einen so zur Last werden. Und vielleicht zurückhalten.

Mit all dem Wissen ist die Enttäuschung dennoch spürbar. Denn irgendwann will auch der größte Trainingsweltmeister ein Meister seines Könnens im Wettkampf sein und sein Ziel erreichen. Alles andere wäre gelogen. „Alles wirft mich aus der Bahn“, singen Wanda. Aber sie singen auch „weiter weiter“. Denn so leicht lasse ich mich nicht aus der Bahn werfen. Also weiter. Nach jedem Tief kommt ein Hoch. Und irgendwann auch ein dauerhaftes. Bestimmt. 

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