Eh schon wurscht: Warum viele nun im Goblin-Modus angekommen sind
Von Anya Antonius
Den ganzen Tag im Bett liegen, Wiederholungen von alten "Bachelor"-Folgen schauen und nur aufstehen, um eine Ladung Tiefkühlpommes in den Ofen zu schieben. Öfters aufs Duschen und Haarewaschen verzichten, in der Jogginghose zum Supermarkt schlurfen und nachts stundenlang durchs Handy scrollen. So oder so ähnlich lässt sich die Lebensweise umreißen, die neuerdings mit der Bezeichnung "Goblin-Mode" (deutsch: "Kobold-Modus") umschrieben wird.
Warum gerade Goblins? Sie leben der Sage nach zumeist in Höhlen, meiden das Sonnenlicht und sind nicht unbedingt als Wohltat fürs Auge oder große Menschenfreunde bekannt. Eine Beschreibung, in der sich so einige im dritten Coronajahr, mit einer aus den Fugen geratenen Welt wiedererkennen können.
Gab man sich zu Beginn, in den Tagen des ersten Lockdowns, noch Mühe, die Fassade aufrechtzuerhalten, mit Yoga und Meditationsübungen für innere Balance und Fitness zu sorgen, sich gesund zu ernähren oder Bananenbrot zu backen, ließ bei vielen die Motivation immer weiter nach.
Mehrere Lockdowns, Wellen und Virusvarianten später, mit einem nur wenige hundert Kilometer entfernten Krieg und inmitten täglich neuer Hiobsbotschaften, ist der Impuls, einfach alles schleifen zu lassen, mehr als nachvollziehbar. Der Trost des Lasterlebens - so beschreibt der Guardian in einem Artikel das Goblin-Phänomen.
Twitter-User Dave McNamee, dessen obiger Tweet mit der enthemmten Katze viral ging, sagte zum Guardian: "Es geht um eine komplette Abwesenheit von Ästhetik. Denn warum würde es einen Goblin kümmern, wie er aussieht?" Der Modus sei ein Gemütszustand, sagt er. Die viele daheim verbrachte Zeit der vergangenen Jahre ließ die Hemmungen fallen, erklärt ein anderer selbst deklarierter Goblin der Zeitung. "Man hat sich daran gewöhnt. Man hat auch das Gefühl, dass wir sowieso alle erledigt sind, also warum sich noch bemühen?"
Auf Twitter sorgte der Artikel jedenfalls für Erleichterung und Zustimmung. "Ich fühle mich so gesehen", schreibt einer, "Ich bin so froh, dass es jetzt einen Namen dafür gibt!", eine andere. "Wer hätte gedacht, dass der Zustand, der die Menschheit vereint, nach einer fiktiven Spezies benannt ist? Alles Gute, meine lieben Goblin-Freunde!"
Fake News
Während der Begriff an sich nicht neu ist, erhielt er erst im Februar einen deutlichen Popularitätsschub, als Julia Fox, die mittlerweile Ex-Freundin des Rappers Kanye West, mit der Aussage "Es gefiel Kanye nicht, wenn ich im Goblin-Modus war" für Aufregung sorgte. Die Schlagzeile stellte sich jedoch als falsch heraus. Twitter-Userin "Juniper" bekannte sich dazu, sie kreiert zu haben, um zu beweisen, wie schnell sich Fake-News im Netz verbreiten. Während also die Nachricht an sich fabriziert war, ist das Goblin-Phänomen sehr real, wie "Juniper" sagt: "Es ist das Gegenteil der Selbstoptimierung. Ich denke, es ist die Energie, mit der wir ins Jahr 2022 gehen - jeder ist gerade ein bisschen wild und verrückt."
Ein #feralgirl ist nicht perfekt
Neben dem Hashtag #goblinmode trendet in den sozialen Medien übrigens auch das artverwandte #feralgirl ("verwildertes Mädchen"). Dieses stellt die Antithese zum bisher populären Typus #thatgirl ("dieses Mädchen") dar, das in allem, was es tut, einfach nur perfekt ist. Bevor alle anderen überhaupt das Bett verlassen haben, ist sie schon längst wach, hat Morgensport gemacht, eine gesunde Chia-Bowl mit Früchten intus, ein halbes Buch gelesen und in ihr Achtsamkeitstagebuch geschrieben, wofür sie heute dankbar ist. Bewundernswert ist das allemal, doch für die Allgemeinheit ein eher schwer erreichbarer Standard - versucht man sich daran zu messen, ist das Scheitern quasi vorprogrammiert.
So erklärt sich, dass immer mehr Frauen und Mädchen diesem Drang zur Perfektion, Selbstoptimierung und Produktivität auch online eine Dosis Realität entgegenhalten wollen - auch wenn diese oft nicht so schön anzusehen ist, wie die extrem ästhetische "That Girl"-Welt. "Ich habe absolut kein Interesse daran, 'That Girl' zu sein", sagt eine Tiktok-Userin. "Ich werde nie um fünf Uhr früh aufstehen um einen grünen Saft zu trinken und hyperorganisiert zu sein. Stattdessen falle ich noch um 4 Uhr morgens in Reddit-Löcher, trinke Diet Coke zum Frühstück und esse rohe Pasta als Snack. Ich antworte erst mehrere Wochen nicht und schreibe dann 12 Seiten zurück."