So tricksen Supermärkte: Wenn sich der Kunde wie im Tempel fühlt
Von Anita Kattinger
Auf der Dach-Farm sprießen zarte Blätter, gewässert und gedüngt werden die Basilikumpflanzen mit Wasser und Ausscheidungen der Buntbarsche aus der benachbarten Fischzucht. 90 Prozent weniger Wasser durch doppelte Wassernutzung; zwölf Tonnen weniger Plastik, weil das Basilikum nicht verpackt werden muss: Der erst heuer eröffnete Rewe in Wiesbaden ist Europas erster Supermarkt mit ressourcenschonender Lebensmittelproduktion auf dem Dach.
In Wien eröffneten vor Kurzem der umgebaute, traditionsreiche Meinl am Graben und ein Interspar im neoklassizistischen Ensemble am Schottentor, wo der Kunde in einem historischen Kassensaal Obst und Gemüse einkaufen kann.
Die Gesellschaft ist durch die Pandemie verunsichert, zudem verbringen wir durch das Maskentragen heute weniger Zeit mit dem Einkauf als früher. "Wir registrieren eine Weiterentwicklung der Supermärkte in Deutschland und Österreich: Wir müssen die Menschen mit emotionaler Sinnlichkeit und ästhetischer Überhöhung dort abholen, wo sie sind“, erklärt der Entertainment-Experte Christian Mikunda.
Auch in der Evolution nimmt die Ästhetik einen hohen Stellenwert ein. "Wir sind nicht nur Denk-Menschen – wir sind auch Gefühlsmenschen. Bei dem Wunsch nach Ästhetik geht es nicht nur um Marketing: Der Evolution ist es egal, wie viel im Supermarkt verkauft wird." Das Gefühl der Erhabenheit lasse sich mit royalem Ambiente durch Deckenmalerei, Kronleuchter oder Säulen erzeugen.
"So setzt Spar bereits seit Jahren auf ein rotes Tempeltor, zollt dem Kunden Ehrerbietung und zeigt ihm einen Schuss Wertschätzung, wenn er den Supermarkt betritt."
Die Kunst des Schlichtens ist wieder wichtig
Auch Diskonter verpassen sich Upgrades: "Hofer setzt in Kombination mit einer Tempelfassade auf ein schwebendes Dach, ein Flugdach." Dieses Bild erinnert an frei stehende Kultstätten.
Der Glamour-Faktor in Bezug auf Lebensmittel erzeugt laut Mikunda Wertschätzung gegenüber diesen: So sehe man bei allen Neueröffnungen, dass die Kunst des Schlichtens und das Spiel mit Farbe wieder wichtig ist.
"Durch Corona kochen wir wieder mehr zu Hause: Hochwertiges Convenience-Food wird wichtiger. Die Märkte brauchen ein Buddy-System, um mehr Lebenshilfe zu geben." Das kann, müsse aber nicht mit persönlicher Beratung passieren: So setzen die deutschen Globus-Märkte auf ein simples Kartoffel-Einmaleins über den verschiedenen Sorten.
Buch-Tipp: Christian Mikunda, Hypnoästhetik, Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektur, Econ Verlag Kosten: 49,90 Euro