Postenschacher im ORF: Redakteure sind empört über Regierungen
Die Enthüllungen über Personalabsprachen der vergangenen beiden Regierungskoalitionen in Sachen ORF sorgen für Aufregung im Unternehmen. Die ORF-Redakteure sind "empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierunsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht", wie der Redakteursrat am Montag in einer Aussendung mitteilte.
Vor allem im Abkommen zwischen ÖVP und FPÖ von 2017 sei offensichtlich ein wesentliches Ziel" die massive Schwächung des ORF und die Gefährdung seiner Unabhängigkeit durch die Abschaffung der Rundfunkgebühren und eine de facto-Verstaatlichung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" gewesen, schreibt der Redakteursrat. Dieser grundlegende Eingriff sei in einem Sideletter versteckt worden.
Konkrete ORF-Jobs aufgelistet
Dass in diesem Dokument auch die Besetzung von Führungsfunktionen im ORF mit konkreten Namenskürzeln aufgelistetet worden seien, sorgt für Unverständnis: Dies seien "Funktionen, für deren Besetzung aber weder die Parteichefs, noch die Regierung und auch nicht der Stiftungsrat zuständig sind." Gleichzeitig hätte der nach parteipolitischen Kriterien besetzte Stiftungsrat noch mehr Einflussmöglichkeiten auf Personal- und Finanzentscheidungen bekommen sollen.
"Aus unserer Sicht ist es hingegen ein klarer Bruch der Verfassung und des ORF-Gesetzes: Dort ist in §1 die „Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit … sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks“ festgeschrieben", so die Redakteure. "Über parteipolitisch paktierte Besetzung von Führungsfunktionen ist weder in der Verfassung noch im ORF-Gesetz etwas zu finden.
Bestellungsprozesse als "Schmierentheater"
Der Grund für den Zorn findet sich im aufwändigen Bestellungsprozedere des ORF, das unter diesen Voraussetzungen nur zum Schein abgehalten wird: "Sämtliche öffentliche und interne Ausschreibungen für Führungsfunktionen, die Bewerbungen dafür, Hearings und redaktionelle Abstimmungen verkommen zu einem Schmierentheater, wenn von vorneherein in Koalitionsabkommen festgelegt wird, wer in welche Position gehievt werden soll", wettert der Redakteursrat."Wir verurteilen diese Postenschacherei auf das Schärfste und fordern ein sofortiges Ende dieser langjährigen Praxis. Es geht offenbar nicht darum, die besten Köpfe für hochrangige Positionen zu finden, sondern am wichtigsten ist es, dass die Parteizugehörigkeit stimmt."
Auch die türkis-grüne Koalition bekommt ihr Fett ab: So sei im „Sideletter“ eine „Zusammenarbeit im Stiftungsrat“ festgeschrieben worden (formal ist dieser parteiunabhängig) und die Nominierung des nächsten Stiftungsratsvorsitzenden durch die Grünen. Auch den geplanten Auftrag, die Impflotterie über den ORF durchzuführen, stößt auf Kritik: "Damit entsteht der Eindruck eines Staatsfunks, der Aufträge der Regierung abzuarbeiten hätte. Das gefährdet den Ruf und die Unabhängigkeit der Berichterstattung. Eine zentrale Aufgabe des ORF ist die journalistische Kontrollfunktion der Politik und nicht die Abwicklung staatlicher Initiativen."