Kultur

Nachruf auf Kraftwerk-Mitgründer Florian Schneider: Er war ein Roboter

Florian Schneider, der mit seiner Band Kraftwerk die gesamte elektronische Musik, vom frühesten Hip-Hop bis zum Techno-Hype der 1990er und den (geschlossenen) Clubs der Gegenwart geprägt hat, ist tot.

Es ist eine der eigenartigsten Krümmungen in der Musikgeschichte, dass man an dieser Stelle überhaupt erklären muss, wie fundamental wichtig Schneider war. Denn er und sein Bandpartner Ralf Hütter haben die Popmusik derart nachhaltig beeinflusst, wie es sonst nur – ja – die Beatles und vielleicht noch die Rolling Stones getan haben.

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Kraftwerk haben in den 1970ern  vom urbanen DeutschlandDüsseldorf! – aus die Zukunft besungen. Aufgeladen mit ästhetischen Überlegungen,  geschult an Stockhausen und anderen Experimentalisten, stellten sie die damals ordentlich verschwitzte, Drogen- und Sex-verliebte  Rockwelt auf den Kopf: Sie kühlten die vorherrschende Hitze des Rocks  radikal herunter, sterilisierten jede Rauheit heraus. Und traten nicht wie gitarrenschwingende Stars, sondern als kaum zu unterscheidende Roboter-Figuren auf, die in einer Kling-Klangfabrik, hinter eigens kreierten Keyboard-Pulten, eine völlig neuartige Musik erarbeiteten. 

Und dort haben sie, so nebenbei, auch eine Vergangenheit miterfunden, die es aus historischen Gründen nie gegeben hat: Sie nahmen eine Art industrielles Volkslied-Werk auf, das kaum 30 Jahre nach dem Kriegsende von Autobahnen und Menschmaschinen träumen durfte. Zwischen Computerklängen und Roboterstimmen, zwischen Taschenrechner-Sounds und  dem Stampfen des „Trans Europa Express“ errichteten sie eine Brücke zurück in die 1920er, in ein Deutschland, das ohne den Bruch durch die Barbarei weiter an der Zukunft mitarbeiten konnte.

Planet Rock

Und sie haben das mit technogetränkten, hochkünstlichen Klängen untermalt, die derart unerhört waren, dass sie alsbald in New York aufschlugen. Afrika Bambaataa mischte schon 1982 ein paar Kraftwerk-Nummern zusammen, zur Single „Planet Rock“, einer der Initialzündungen der Remix-Kultur, die hernach die Musikwelt erobern sollte.

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Die ersten House- und Techno-DJs, auch der Elektropop der 80er (Depeche Mode!) bedienten sich freihändig bei den Kraftwerk-Sounds. Ebenso der Hip-Hop – und so viele andere Genres, dass sich die Reihe selbst bis hin zu Coldplay erstreckt.

Kraftwerk umspielten auch früh die Verbalästhetik der Comic-Kultur („Boing Boom Tschak“), lange bevor diese zur vorherrschenden Popkulturform wurde.

Es scheint immer noch hochironisch, dass ausgerechnet aus Deutschland – dem Land der Marschmusik – eine der Grundlagen für den weltweiten Siegeszug der elektronischen Tanzmusik gelegt werden sollte.

Und doch ist es so.

Das Epizentrum dieser Band waren Schneider und Hütter, im Line-Up der entscheidenden Kraftwerk-Jahre waren noch Karl Bartos und Wolfgang Flür, wichtige, aber Mit-Musiker. Sie machten Musik geboren aus dem Intellektuellen, die jedoch direkt an jenes Hirnzentrum anschloss, das für das Tanzen zuständig sind.

Und es passierte ihnen sogar der eine oder andere Hit, wie „Model“ oder „Wir sind die Roboter“. Sonst aber verschwand insbesondere Schneider in der Rolle des anonymen Musikers, Hütter war der Außenpolitiker von Kraftwerk, insgesamt  hielten sie die Öffentlichkeit immer auf Armeslänge entfernt und gaben kaum Einblicke in Privates. So sehr, dass nicht einmal ganz genau bekannt ist, wo Schneider 1947 geboren wurde. Diese überzeugte Ablehnung von Starallüren war mit ein Grund, warum Kraftwerk trotz ihres gewaltigen Einflusses nie im öffentlichen Bewusstsein auf einer Ebene mit den vergleichbar wichtigen Bands angekommen sind.

Radfahren

Ein weiterer Grund lag auch darin, dass Hütter und Schneider viele Jahre lang lieber (obsessiv) Rad fuhren (und dies als Teil des Kraftwerk-Konzepts sahen), als Musik zu machen oder sich um ihre Karriere zu kümmern. 

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Es ist aber fast egal: Kraftwerk lebte auch weiter, nachdem Flür und Bartos nicht mehr mitspielten. 2008 pfiff auch Schneider auf Kraftwerk, seitdem tourt Hütter mit anderen Robotern durch die Welt, was gut ins Konzept passt. 

Heute aber tragen die Roboter Trauer.