Kraftwerk in Wien: Geboren aus dem digitalen Dadaismus

Bildtext: German electronic music band Kraftwerk perform their song "The Robots" during the Kraftwerk - Retrospective 1 2 3 4 5 6 7 8 performance at the Museum of Modern Art in New York April 10, 2012. The band will perform from April 10 -17. REUTERS/Jason Szenes (UNITED STATES - Tags: ENTERTAINMENT)
Popgeschichte: Bei Kraftwerk kommt man um Begriffe wie Legenden und Pioniere nicht herum.

Boing Boom Tschak" statt Goethe, Roboterstimmen statt Burgtheaterdeutsch: Ab Donnerstag ist das Burgtheater für acht Konzerte in vier Tagen Bühne für eine Popmusik-Legende. Wir schreiben das nicht leichtfertig: Kraftwerk haben in ähnlichem Ausmaß wie die Beatles beeinflusst, wie Popmusik heute klingt.

Die strengen deutschen Digitaltöner brachten in den 1970ern einen Gegenentwurf in die Popwelt, der bis heute gültig ist – oder vielleicht erst heute sein volles Ausmaß zeigt: Die Düsseldorfer setzten kühle Rechnermusik gegen den vorherrschenden verschwitzen Gitarrenrock. Anonymität und Austauschbarkeit gegen vermarktbare Starhysterie.

Und vollzogen auch eine Gegeninvasion der Popkultur, deren Ausmaße heute noch überraschen: Die Düsseldorfer aus gutem Hause haben in Detroit, New York und anderswo der aufkeimenden, vorwiegend schwarzen Sub- und Gegenkultur die Soundschablonen geliefert. Die ersten House- und Techno-DJs, auch der Elektropop der 80er (Depeche Mode!) bedienten sich freihändig bei den Kraftwerk-Sounds. Ebenso der Hip-Hop – und so viele andere Genres, dass sich die Reihe selbst bis hin zu Coldplay erstreckt.

In Düsseldorf wurde eine digitale Welt erfunden, die es erst heute gibt. Und das von einem Startpunkt aus, der irgendwo zwischen russischer Fortschrittskunst (Malewitsch!), Schubert und Stockhausen liegt.

Addieren

Kraftwerk umrissen diese neue Welt mit Texten, die nah an einer Art digitalem Dadaismus gebaut sind: "Ich bin der Musikant/Mit dem Taschenrechner in der Hand. Ich addiere. Und subtrahiere". Oder: "Boing Boom Tschak". Oder schlicht: "Eins zwei drei vier fünf sechs sieben acht". Doch gerade diese Texte zeigen ihren wahren Wert erst, nachdem sie in der Popinterpretationsfabrik durchgearbeitet wurden: So muss man sich nur vor Augen führen, welche einander überholenden Bedeutungsebenen ein Lied auf die "Autobahn", in Deutschland, nicht einmal 30 Jahre nach Kriegsende, hatte.

Subtrahieren

Von diesem Interpretationsfließband kommt regelmäßig der Vorwurf der Fortschrittsgläubigkeit. Doch nicht erst heute lassen sich die Kraftwerk-Songs auch ganz anders lesen: Das Neonlicht bescheint hier eine Melancholie, die auf das Computer-Zeitalter zurückblickt, bevor es noch begonnen hatte.

Und zugleich liefern die Deutschen einen derzeit wieder überaus willkommenen urbanen Gegenentwurf der Volksmusik – elektronische Volksmusik, wie Mastermind Ralf Hütter sagt.

Hütter ist als einziger von der prägendsten Kraftwerk-Besetzung übrig geblieben, aber das passt ganz gut in die Ästhetik: Die Musikarbeiter in der Klangfabrik sind austauschbar. Und am Ende der Konzerte durch Roboter ersetzbar.

... elektronische Instrumente:

„Elektronische Instrumente sind hochsensibel. Mit einer Fingerkuppe kann man durch Knopfdruck große Dinge auslösen. Und das macht es so spannend. Wir arbeiten – auch live – immer in Interaktion mit der Computertechnik und haben mit der Mensch-Maschine ein lebendiges Kraftwerk in den Händen. Wir spielen die Maschinen und die Maschinen spielen uns.“

... die Interaktion mit der Technik:

„Man kann das mit der Arbeit eines Malers vergleichen. Zuerst sensibilisiert man sich auf einen Loop, greift ein und verändert ihn. Dann werden wir wie ein Maler, der zwischendurch sein Bild betrachtet, auch wieder zu den Zuhörern unserer eigenen Musik, lassen die Computer laufen und spielen. Und dann greift man wieder ein, reagiert auf das, was man hört. So erstellen wir in stundenlangen Sessions im Studio Musik. Und live werden wir immer auch von den Vibes des Landes und der Reaktion des Publikum beeinflusst.“

... die optische Umsetzung der Shows:

„Man kann das als elektronische Malerei bezeichnen. Denn auch das kommt nicht von einer Festkonserve, sondern wird auf der Bühne genauso lebendig produziert wie die Musik. Wir haben in unserem „Kling Klang“-Studio ein Archiv voll mit alten Gemälden und Zeichnungen, die wir in den 70er-Jahren gemacht haben, bis hin zu Schriften und Computergrafiken, die wir bis in die Jetzt-Zeit gemacht haben. Und die werden auf der Bühne in real time abgerufen – natürlich von elektronischen Speichern, aber nicht in Form einer vorprogrammierten Reihenfolge.“

Kommentare