„Jedes Wort ist wahr. Nur war ich nicht mutig genug, das Drehbuch zu zerreißen. Das haben wir übertrieben, um den Film lustiger zu machen.“
Lustig? Ja, lustig. Die beklemmende Situation zwischen iranischen Bürgern und Bürgerinnen und Vertretern staatlicher Institutionen mit sarkastischem Humor zu erzählen, schafft nicht jeder. Alireza Khatami und sein Regie-Partner Ali Asgari schon: In „Irdische Verse“ (ab Donnerstag im Kino) entwerfen sie neun Vignetten aus dem Alltagsleben in Teheran – und verzichten dabei auf den Gegenschuss. Soll heißen: Gefilmt wird eine Gesprächssituation, in der man immer nur eine Person sieht, die zu jemandem hinter der Kamera spricht. Wer das ist, sieht man nicht, sondern hört man nur: Es sind Vertreter und Vertreterinnen einer Behörde, Institution oder staatlichen Einrichtung, die jemand anderen zur Verantwortung ziehen.
Was? Sie wollen Ihren Sohn David nennen? Warum? Das ist ein westlicher Name!
Sie tragen ein T-Shirt mit einer Micky Maus vorne drauf? Sie haben ein Tattoo am Körper? Sie besitzen einen Hund? Westlicher Einfluss!
Sind Sie gläubig? Tragen Sie beim Autofahren Schleier? Warum haben Sie als Frau eine Kurzhaarfrisur?
Die Befragten sind nicht auf den Mund gefallen und halten dagegen: Sie verteidigen ihre individuellen Freiheiten gewitzt und wortreich; und manchmal bringen sie damit auch die Autoritätspersonen in Verlegenheit.
Die Dialoge spiegeln das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Bürger und Staat wider – und produzieren dabei unwillentlich auch immer wieder ein gewisses Maß an Absurdität, findet Khatami: „Wenn wir unseren Film unseren Freunden in der iranischen Community zeigen, wird oft sehr viel gelacht.“
Rede und Gegenrede
Die Regisseure ließen sich für ihre ungewöhnliche filmische Erzählform von einer iranischen Lyrik-Technik inspirieren, die als „Debatte“ übersetzt werden könnte und aus scharfzüngigen Dialogen, aus Rede und Gegenrede, besteht. Außerdem waren sie gezwungen, schnell und billig zu drehen: „Wir wollten Kino unter den einfachsten Bedingungen machen: Dazu benötigten wir nur eine Kamera, ein Stativ und jeweils einen Schauspieler vor und hinter der Kamera. Das war ausreichend, um effektvolle Geschichten zu erzählen. Dazu brauchen wir keine komplizierten Drohnenflüge.“
Einer ihrer zentralen Anliegen im Film sei Bio-Politik gewesen, wie sie der Philosoph Michel Foucault beschrieb, sagt Khatami: „Politik startet immer mit einer Disziplinierung des Körpers. So funktioniert jede Macht, und im Iran kann man eine extreme Form davon beobachten. In unserem Film fängt es damit an, welchen Namen ein Körper haben darf, wie er bedeckt wird, mit wem er befreundet ist oder wie er – wie im Falle der Tattoos – behandelt wird. Der Körper wird seitens der Behörden einer permanenten Inspektion unterzogen.“ Was manchmal auch ganz fatal enden kann. Als sich nach dem Tod einer jungen Kurdin eine noch nie da gewesene Protestbewegung unter dem Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ im Iran ausbreitete, unterbrachen Khatami und Asgar „Irdische Verse“ und dachten darüber nach, „ob es ethisch gerechtfertigt sei, überhaupt noch Filme zu machen“. Schließlich führten sie ihr Projekt in dem Gefühl fort, dass ihr Film „einen Ausblick auf eine Zukunft gibt, in der sich viel verändern wird. Denn die neue Generation ist jung und gebildet und sie wird sich zur Wehr setzen. Die lassen sich diesen ganzen Mist sicher nicht bieten.“
„Irdische Verse“ wurde übrigens nicht der iranischen Zensurbehörde vorgelegt: „Wir haben gedreht, ohne ihnen etwas davon zu sagen“, sagt Alireza Khatami und grinst: „Stattdessen haben wir auf Werner Herzog gehört: ,Stiehl eine Kamera und mach’ einen Film!’ Und so haben wir es gemacht.“
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