Israelischer Regisseur Gitai: "Menschen werden ignoranter und damit unmenschlicher"

Israelischer Regisseur Gitai: "Menschen werden ignoranter und damit unmenschlicher"
Der Filmemacher probt derzeit am Burgtheater. Und will sich "weder dem Druck israelischer Nationalisten beugen noch dem der fanatischen Palästinenser" (Von Gabriele Flossmann).

Amos Gitai ist einer der produktivsten Regisseure unserer Zeit und vielleicht auch einer der innovativsten. Und er zählt zu den bekannten Stimmen der israelischen Öffentlichkeit. Er eckt er mit seinen Filmen immer wieder an, indem er die Gewaltgeschichte seines Landes hinterfragt. Die politischen Mythen der Linken wie der Rechten, der Israelis und der Palästinenser. Es war ein Helikopterabsturz über Syrien – Gitai war im Jom-Kippur-Krieg als Sanitäter im Dienst –, dem er die Erkenntnis verdankte, wie rasch man „vom Retter zum Opfer wird“. Die Inspiration für ihn als Filmemacher war die Hoffnung, dass er damit so etwas wie Picasso mit dem Bild „Guernica“ sein könnte: Ein Zeuge von Verbrechen gegen die Menschheit. 

Dieser moralische Anspruch ist insbesondere in Gitais politischen Filmen spürbar. Wie in „Rabin, the Last Day“, der die Ermordung des Ministerpräsidenten am 4. November 1995 durch einen religiösen Fanatiker nachzeichnet. Derzeit probt Amos Gitai am Burgtheater eine Bühnenversion dieses Films, die am 4. Mai Premiere hat und danach noch einmal am 5. Mai gezeigt wird.  Darüber hinaus zeigt das Österreichische Filmmuseum in Wien den Großteil seines filmischen Gesamtwerks vom 2. Mai bis 1. Juni – in einer der umfassendsten Retrospektiven, die je von Amos Gitais Werken veranstaltet wurden. Und in Salzburg zeigt Thaddaeus Ropac noch bis 11. Mai die Schau „War Requiem“ mit Werken des Künstlers.

Für die Burgtheater-Proben von Amos Gitai steht ein Flügel auf der weiten Bühne -  und ein großer Tisch mit zwei Mikrofonen. Wie ein Oratorium inszeniert er seine Hommage an den 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin. Vier Frauen stehen für die 2000 verstorbene Witwe des Ermordeten. Unterbrochen von den musikalischen Interventionen teilen sich die Schauspielerinnen Bibiana Beglau und Dörte Lyssewski die Lektüre von Leah Rabins Erinnerungen. Amos Gitaï weist in diesem Requiem zurück auf den Moment eines historischen Umbruchs in der Geschichte Israels und legt den Finger in eine Wunde, die seitdem nicht mehr verheilt. 

Seit dem 7.Oktober scheinen ihm aber die Möglichkeiten seines künstlerischen Engagements beschränkter denn je, weil die Barbarei der Hamas nicht nur gegen Zivilisten und israelische Frauen gerichtet war, sondern auch anti-palästinensisch: Weil sie die einzig mögliche Perspektive einer Lösung -  den Dialog zwischen den Völkern - zerstörten.

Israelischer Regisseur Gitai: "Menschen werden ignoranter und damit unmenschlicher"

KURIER: Sie haben Ihre Zustimmung zur Retrospektive und zu Ihrer Burgtheater-Inszenierung schon vor den Ereignissen des 7. Oktober gegeben.  Wie wäre Ihre Entscheidung ausgefallen, wenn man Sie erst danach gefragte hätte?

Amos Gitai: Sie wäre genauso ausgefallen, weil sich mein Beitrag und meine Meinung zum israelisch-palästinensischen Diskus nicht geändert hat, seit ich vor 43 Jahren meinen ersten Film drehte. Ich werde mich weder dem Druck israelischer Nationalisten beugen noch dem der fanatischen Palästinenser. Ich möchte nicht in den Fehler verfallen, einer der beiden Seiten vorbehaltlos recht zu geben, wie es derzeit viele Länder tun. Auch in Europa. Wir stehen gerade vor einer Europawahl und müssen mitansehen, wie sich ultra-rechte Bewegungen immer mehr ausbreiten. Diese smarten Europäer mit ihren Mozarts, Shakespeares, Goethes haben sich nach vielen Kriegen letztlich doch darauf einigen können, dass es nicht nötig ist, einander umzubringen. Das wäre eine Botschaft, die sie verinnerlichen und weitergeben sollten. Wir müssen alles tun, um den Dialog aufrecht zu erhalten.

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