Filmemacher Amos Gitai: Für Israel "einen Weg der Hoffnung zeichnen“

Laila in Haifa - Premiere - 77th Venice Film Festival
Gitai ist einer der renommiertesten Filmemacher und Künstler Israels – und bildet in seinem Werk die Geschichte und Politik des Landes ab. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage.

Vor fast auf den Tag genau 50 Jahren, an seinem 23. Geburtstag, musste sich der Architekturstudent Amos Gitai aus einem Hubschrauber befreien, der gerade von einer Rakete getroffen worden war.

Der Pilot war tot, Gitai verwundet und traumatisiert. Es war der Jom-Kippur-Krieg, ein Krieg, der bis vor wenigen Tagen eine einzigartige Stellung in der kollektiven Erinnerung in Israel hatte.

Die Situation nach dem Angriff der Hamas, 50 Jahre später, „sieht aus wie 1973. Aber es ist viel schlimmer“, sagt der Filmemacher dem KURIER. „Die Erinnerungen und Analogien überlappen einander auf beeindruckende Weise. Aber diesmal ist die Situation noch ernster.“ Denn 1973 wurde Israel im Sinai und den Golanhöhen attackiert. „Diesmal ist die Hamas in unsere Kibbuze und Städte eingefallen.“

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Israel habe sich 1973 wegen der damaligen politischen Führung unsicher gefühlt, sagte Gitai kürzlich in der New York Times. Aber „heute wurden noch gravierende Fehler von einer unverantwortlichen Regierung gemacht“, sagt er nun. „An der Spitze des Landes heute ist eine Gruppe von Messianisten und Opportunisten, die alles tun, um uns zu entzweien. Das ist ein sehr gefährlicher Cocktail in einer Region, die von Fundamentalisten bevölkert ist“, sagt Gitai. „Was wir heute brauchen, ist Umsicht, nicht Arroganz. Und das Erste, was geschehen muss, ist aufzuhören, Gräben innerhalb von Israel aufzureißen.“ Das geschehe zwar auch anderswo – man sehe ähnliche interne Dynamiken in den USA, in Polen, in Ungarn und anderen europäischen Ländern. „Aber der Unterschied ist, dass wir ganz andere Nachbarn haben.“

Filmemacher Amos Gitai: Für Israel "einen Weg der Hoffnung zeichnen“

„Enorme Tragödie“

Der aktuelle Konflikt sei eine „enorme Tragödie“: Denn die „entsetzlichen Taten“ der Hamas seien „nicht allein anti-israelisch, sondern auch anti-palästinensisch, denn sie zerstören die Möglichkeit eines Dialoges zwischen den zwei Völkern, was die einzig mögliche Perspektive ist.“

Gitai wählt seine Worte mit bedacht. Eine Konversation in Wien vor wenigen Tagen ist am Samstag für ihn bereits von der Komplexität der Ereignisse überholt, im Austausch mit dem KURIER sucht er Formulierungen, die dem Stand der Tragödie gerecht werden. Er sei kein Militäranalyst, betonte er.

Er verweist darauf, dass Zahlen und Statistiken nicht ausreichen, man müsse über Individuen sprechen. Etwa über Vivian Silver. „Sie ist 74 Jahre alt und lebt im Kibbuz Beeri. Ich kenne sie nicht, aber sie ist Friedensaktivistin, die Kinder aus dem Gazastreifen in israelische Spitäler bringt.“ Menschen wie sie riskieren ihr Leben für die Annäherung zwischen den Völkern. „Nun wurde sie entführt, ihr Schicksal ist unbekannt. In meinen Augen kann nichts diese Handlungen rechtfertigen.“

Er betont dennoch, dass ein Friedensabkommen angestrebt werden sollte. „Daran zu denken, jetzt Verhandlungen zu beginnen, ist sehr schwierig. Ich bin mir dessen völlig bewusst. Aber es ist der einzige Weg vorwärts. Wenn wir eine Zukunft haben wollen, müssen wir die Mühsal von Abkommen versuchen. Einseitige Handlungen sind kontraproduktiv.“ Das habe man gesehen, als Ariel Scharon 2005 den Gazastreifen aufgegeben habe. „Nun herrscht die Hamas dort.“

Erst vor wenigen Tagen eröffnete Gitai die Ausstellung „Kippur – War Requiem“ in Tel Aviv. Nun ist das Museum geschlossen. „Es ist eine sehr dunkle Zeit, niemand weiß, wie das enden wird. Aber wir müssen weiter hoffen, denn die Alternative dazu wäre der Nihilismus, Zerstörung und Tod. Wir müssen weiter versuchen, einen Weg der Hoffnung zu zeichnen.“

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