Kolumnen

Paaradox: Wow-Effekte

Sie

Alles im Fluss. Der Mann nebenan lebt nun bekanntlich gegenüber, was zur Folge hat, dass wir uns gelegentlich „daten“. Das ist lustig. Unlängst hatte er eine Sehnsuchtsattacke und schickte mir eine charmant formulierte Sprachnachricht, in der er von gemeinsamem Rotweinkonsum „bei ihm daheim“ fabulierte. Soletti hätte er vorrätig, und – extra für mich – Erdnüsse gecheckt. Na gut.

Mozart, Wein und ein Schock

Ich wechselte von der abgenudelten Jogginghose, in der ich daheim hemmungslos herumlungerte, in ein weniger abgenudeltes Modell, zog dazu meinen besten Baumwollsweater an und machte mich auf den 50-Schritte-Weg zu ihm „hinab“ (die steile Gasse runter), läutete und betrat sein Reich. Im CD-Player rotierte Mozart, auf dem Tisch standen zwei gut gefüllte Kelche mit erlesenem Rotwein. Freude. Aber dann: Schock, Schwindelgefühle, Staunen. Der Mann gegenüber hatte tatsächlich zwei Kerzen entzündet, eine in einem schicken Teelicht, die andere in einem sehr schönen Glas, von dem ich kurz vermutete, er hätte es beim Auszug heimlich entwendet. Doch nein! „Das hab ich mir beim Ikea gekauft, ganz allein“, lächelte er. Triumph (vielleicht auch ein Ätsch!?) schimmerte in seinen Augen. Ich war platt. Er, der jahrzehntelang über meine Kerzenmanie gelästert hatte und im Laufe der Jahre wegen seiner Teelichtallergie chronisch unpässlich schien, punktet auf einmal in Sachen Illuminierung. Tausend Fragen flogen durch meine Gedankenwelt, allen voran: Ist das nun sein Weg zur Erleuchtung? Was wird er als nächstes tun? Zwei Stunden im „Herabschauenden Hund“ nackt Mantras singen und währenddessen einen Brokkoliauflauf im Rohr schmoren lassen, dessen Rezept er von einer Internetseite namens „Fröhliche Veganer“ hat? Ich verzichtete trotzdem, nachzufragen und tat vermutlich das einzig Richtige: Ich genoss Michael, Mozart, Wein und Schein und knackte dazu sehr viele Erdnüsse.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Mitunter habe  ich das Gefühl, dass gnä Kuhn an meiner Überlebensfähigkeit zweifelt, seit ich im eigenen Domizil Orientierung suche. Sie weiß zwar, dass ich mir ein respektables Reisfleisch zubereiten, den Weinvorrat auf hohem Niveau sichern und unfallfrei eine Beethoven-CD einlegen kann, aber es sind die vielen Kleinigkeiten, die für sie von Bedeutung sind. Daher fragt sie: Nimmst du eh die Vitamin-D-Tropfen, die ich dir gebracht habe? Gehst du eh auch ohne Gustav an die frische Luft? Hast du eh nicht diesen Staubsauger, für den es jetzt wegen Brandgefahr eine Rückruf-Aktion gibt? Ich sage dann gerne: „Mach’ dir keine Sorgen, Frau Sachverständige.“ Aber das findet sie partout nicht witzig.

Peinlichkeit

Ich vermute ja, dass ihr Kümmern die Folge eines Fehlers von mir ist. Ich habe mich nämlich zu Beginn meines Alleinseins darüber gewundert, warum meine Gläser im Geschirrspüler nicht sauber werden. Bis ich entdeckt habe, dass die sogenannten Power-Tabs ihre wahre Bestimmung darin haben, als Wasserenthärter in Waschmaschinen zu wirken. Ja, ich habe mich beim Großeinkauf anlässlich des Einzugs vergriffen, weil diese Verpackungen irgendwie alle gleich aussehen. Diese peinliche Anekdote habe ich erzählt, mit dem Zusatz: „Aber versprich’ mir, dass du es nicht schreibst.“ Was sie mir – prustend vor Lachen – zugestand. Mit dem Argument: Das glaubt mir doch sowieso kein Mensch! Zur Sicherheit enthülle ich das Malheur trotzdem lieber selbst. Das zur Folge hatte, dass die Liebste seither ein erhöhtes Prüfblick-Aufkommen besitzt, sobald sie meine Wohnung betritt. Und damit diese Mission nicht unbelohnt bleibt, habe ich jetzt auch zwei Kerzen in mein Leben integriert. Wissend, dass sie es für undenkbar hält, ein Zusammensein als gemütlich zu erachten, wenn’s nicht irgendwo flackert. Und so war es auch. Sie erspähte die Kerzen und frohlockte: Da schau her! Und wir tranken sehr entspannt sehr guten Wein. Aus ungetrübten Gläsern.

 
michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9