Rabinowich geht essen: Krusteln im Verborgenen
Von Julya Rabinowich
Der Anlass der kulinarischen Entdeckung war eher ein unguter. Mir platzte eine Vene im Auge und das führte mich zuerst zur Augenärztin und danach ins Spital. Alles sah ein bisschen verschwommen aus, die Diskussion am nächsten Tag sowie die Innsbrucker Wochenendgespräche mussten zu meinem Herzschmerz abgesagt werden, der Geburtstag stand an – kurzum, es war in vielerlei Hinsicht eine einzige Pein. Die Freundin, die mich abholte, empfand offenbar das Mitleid, das einer solchen Sache angemessen ist, und fuhr los. Ich dachte eigentlich, nach Hause, wo ich vorhatte, angemessen tragisch in meinem Verschwommenen herumzuliegen. Sie bog aber ganz woanders ab, Richtung 16. Bezirk, und hielt in einer eher unscheinbaren Gasse. Hier verbarg sich ein wahres Juwel mit Innengarten und üppiger Vegetation und vor allem – die Wandvegetation konnte man ja nicht so gut verspeisen – einer unfassbar überzeugenden Speisekarte. Ein Blick (ja, zugegebenerweise kein vollwertiger, sondern nur so ein halberter) reichte, um einen klaren Favoriten zu entdecken: das knusprige Ei mit Speckkrusteln auf Vogerl- und Kartoffelsalat. Die Kombination war ein Traum. Nein, genau genommen: Es war eine Erleuchtung. Die unfassbare Knusprigkeit der Hülle dieses gebackenen weichen Eies fand den perfekten Gegenspieler in den intensiven Röstnoten der Krusteln und obendrein eine Krönung mit dem leicht süßsäuerlichen, pikanten Salat. Kurzum: Diese Vorspeise war keine Vorspeise. Sie war eine Symphonie.
Doch alles Vorspeisige hat ein Nachspiel, das sich Hauptgang nennt. Zu Zeiten des Spargels ist auch hier die Wahl eine leichte, wenn auch nicht ganz diätetische: buttrigste, petersiligste Kartoffeln und wunderbarer, zarter Solo-Spargel an recht großzügig geschnittenem Beinschinken, überflutet mit sämiger, satter Sauce Hollandaise, die die beiden erst so richtig miteinander vermählt und glücklich macht bis ans Ende ihrer Tage. Das Ende war dann recht nah, aber trotzdem. Schon um die letzte Spargelspitze herum, die gnadenlos in meinem Mund verschwand, fühlte ich mich absurderweise ein wenig erleichtert. Also seelisch, meine ich. Sonst eher nicht. Spätestens nach dem Desserttsunami, der sich über uns aufbaute: die erste Welle aus hausgemachtem, gezogenem Apfelstrudel mit Zimt und großen Apfelstücken. Und danach bricht das ganz große Grand Finale mit Tusch und Fanfaren über die Mitesser herein: eine flaumige Creme brûlée, von klirrend kristalliner Karamellschicht überzogen und von natürlich zartgrünem Pistazieneis mit gehackten Stückchen und säuerlichem, kühlem Beerenröster begleitet. Mich zieht es bereits wieder zurück in den Gastgarten des Genusses. Ich will den Spargel mit beiden Augen wiedersehen. Und das Ei. Und die Creme brûlée eigentlich auch.
Gastwirtschaft Wolfsberger
Lienfeldergasse 35, 1160 Wien, Telefon: 01/486 14 55, gastwirtschaftwolfsberger.at
Geöffnet Dienstag bis Samstag, 10 bis 22 Uhr
Warme Küche 11.30 bis 21 Uhr, (Di. bis Do. von 15 bis 17 Uhr eingeschränkt)