Kolumnen

Barbara Kaufmann: Die Aufmerksamkeitsfalle

Aufmerksamkeit, so steht es momentan in allen schlauen Texten über das digitale Zeitalter, ist die einzig gültige Währung der Gegenwart. Und es scheint fast als wäre kein Preis zu hoch für einen Moment im Rampenlicht. Weder Selbstentblößung, auch nicht Demütigung oder Erniedrigung, wenn nur etwas Bekanntheit dabei abfällt. Dabei dauert dieser Augenblick vermeintlicher Berühmtheit längst nicht mehr die vollen 15 Minuten, die uns Andy Warhol einst versprochen hat. 15 Minuten, das ist eine Ewigkeit in der digitalen Welt, das sind hunderte Tweets und WhatsApp Nachrichten,15 Minuten sind unerreichbar.

Also vervielfältigt man sich auf mehreren Plattformen, hat da einen Twitteraccount, dort ein Facebookprofil und natürlich noch ein Instagramkonto oder besser zwei, ein offizielles und eines für den Freundeskreis.

Man verdoppelt und verdreifacht das Ich, um mehr davon zu haben. Aber auch um besser aufgestellt zu sein. Denn je mehr Plattformen man mit sich bespielt, umso größer wird die Chance, wahrgenommen zu werden, aufzufallen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch manchmal scheint es, als ob mit jedem Fragment aus dem Alltag, das man offenbart, mit jeder neuen Identität, die man verwaltet, mit jedem Gedanken, den man verkürzt veröffentlicht, die Grenzen zwischen öffentlicher Person und dem Privatleben mehr und mehr verschwimmen.

Und eines Morgens fragt man sich: wer bin ich eigentlich und wer sind all diese Versionen von mir, die ich selbst erfunden habe? Und wenn ich sie jetzt lösche, was bleibt dann noch von mir und bin ich dann noch wirklich da?

Nichts verändert

Im Grunde hat sich durch die Digitalisierung nichts Wesentliches in uns verändert. Noch immer ist man den Großteil des Lebens damit beschäftigt, wenigstens ein bisschen besser mit sich selbst auszukommen, sich in dem Chaos zurechtzufinden, das Tag und Nacht in und um einen tobt, Entscheidungen zu treffen, Fehler zu machen, weiterzumachen. Nur dass das heute nicht mehr im Stillen passiert, sondern vor den Augen anderer, die Ansichten bewerten, Missgeschicke kommentieren, jeden Irrtum aufzeigen. Oftmals so laut und unbarmherzig, dass der Irrtum keine Option mehr zu sein scheint.

Eigentlich nimmt die Aufmerksamkeit anderer manchmal mehr als sie geben kann. Das Geheimnis zum Beispiel. Den Reiz etwas für sich zu behalten, etwas zu tun, von dem niemand weiß, es mit einem anderen Menschen zu teilen, aber eben nur mit ihm. Unlängst hab ich jemanden getroffen, den ich bisher nur virtuell kannte. Wobei man immer glaubt, sich zu kennen, weil man täglich voneinander liest, aber doch nichts vom anderen weiß. Während des Treffens sind mir plötzlich alle Defizite des digitalen Miteinanders wieder einmal schmerzhaft bewusst geworden. Dass man den Blick des anderen nicht sehen kann, um ihn zu deuten. Die Gesten, die er macht und vor allem, dass man seine Stimme nicht hört. Eine angenehme Stimme, das weiß man als leidenschaftliche Radiohörerin, kann wie ein Freund sein, selbst wenn das, was sie transportiert, nicht freundlich ist. Das Beste an dem Gespräch war, dachte ich mir danach, dass niemand dabei mitlesen konnte. Vielleicht brauche ich auch ein Pause von meinem digitalen Ich.

barbara.kaufmann@kurier.at