Laufende Waschmaschine, spürbare Gedichte und wahre Erlebnisse
Von Heinz Wagner
„Die Waschmaschine hüpft gleich aus dem Fenster und haut ab“… Sie liefert sich mit ihrer Käuferin, Franziska, ein Wettrennen. Auch sonst passiert in dieser Geschichte noch allerlei Lustiges, Fantasievolles, ja Ver-rücktes im wahrsten Sinn des Wortes. Dabei handelt es sich um einen von vier Texten, die mit den Hauptpreisen des Literaturpreises „Ohrenschmaus“ ausgezeichnet wurden. Vormals hieß der im Untertitel für „Menschen mit Lernbehinderung“, seit ein paar Jahren ist der zuletzt genannte Begriff durchgestrichen und darüber steht „Schreibtalent“. Und über das verfügen die Autorinnen und Autoren (nicht nur) der prämierten Texte zweifellos. Die vier Top-Texte finden sich übrigens hier in eigenen Abschnitten – samt drangehängt den Begründungen der namhaften Juror_innen.
„Die Geschichte ist mir einfach so eingefallen nachdem eine Betreuerin erzählt hat, dass sie ihre Waschmaschine angeschlossen hat und vorher die Sicherungen nicht ausgeschalten hat“, erklärt der Autor dem Kinder-KURIER. „Und ich hab gern Geschichten, die lustig sind, weil ich Humor gerne mag.“ Geschichten schreibt er erst seit ungefähr einem Jahr. Wobei, so gesteht er, „ich erzähl‘s Betreuerinnen und die schreiben dann meine Texte auf.“
Ein Gedicht wie ein Bild
Ist der Text von Gert Baumgartner, dem Erfinder der witzigen Story um die davonlaufende Waschmaschine, eine sehr fantasievolle Arbeit, so überzeugte Sandra Holzreiter mit einem knappen Gedicht „Der Bub“:
Drei Kinder sitzen da.
Ein Bub hat eine schöne Hose und die Kappe ist auch schön.
Die Sonne scheint.
Der Bub lacht ein bisschen.
Er hat Eier in der Hand – aus dem Stall.
Er mag ein Twister-Eis haben.
Er sitzt im Rollstuhl.
Er ist auf Urlaub.
In der Jurysitzung verfasste daraufhin die Jurorin Barbara Rett spontan ebenfalls fast ein Gedicht als Begründung: „Kein Wort zu viel/kein Wort zu wenig./Es ist wie ein Bild…“
Am liebsten schreibe sie, sagt sie dem KiKU, Gedichte, die am Bauernhof spielen, „dort gefällt es mir sehr“.
Vom „Gefängnis“ zur Selbstbestimmung
Eine weitere Hauptpreisträgerin, Cornelia Pfeiffer, verfasste eine umfangreiche, detaillierte Beschreibung (nicht nur) ihres bisherigen Lebens. In „45 Jahre in einer Einrichtung“ schildert sie ihr heutiges ziemlich selbstbestimmtes Leben und vergleicht es mit den zu vielen Jahren, die eher an ein Gefängnis ärgster Art erinnern. Da musste sie essen was auf den Tisch kommt, oder hungern. Ja sogar ihre Post wurde geöffnet und gelesen, Privatsphäre: Null. Und das war noch lange nicht alles – siehe Text im untenstehenden eigenen Abschnitt.
Heute kann sie nicht nur über alle Lebensbereiche selbst bestimmen, sie wurde sogar Interessensvertreterin.
In der Schule und früher hatte sie „eher Fantasiegeschichten geschrieben“, sagt sie dem Kinder-KURIER. „Aber seit einiger Zeit schreibe ich über das, was ich erlebe und erlebt habe. Darüber habe ich früher Tagebuch geführt. Aber die Tagebücher sind alle weg. Weil ich das damals aufgeschrieben habe, ist es aber fest in meinem Kopf.“
Schoko-Gedicht
Schließlich gibt es – wie seit vielen Jahren – einen Sonder-Hauptpreis. Es muss ein kurzer Text sein, denn der wird auf der Schleife abgedruckt mit der eine Doppelpackung eines eigens für „Ohrenschmaus“ kreiierten Zotter-Schokolade eingewickelt ist. Für sehr viel Schmunzeln und herzhaftes Lachen sorgte die Autorin auch bei der Preisverleihung.
Die Schauspieler_innen Chris Pichler und Gregor Seberg tragen die Texte – sowohl der Hauptpreisträger_innen aber auch jene, die es mit ihren Einsendungen auf die Ehrenliste geschafft hatten – vor. Als Seberg Daniela Kedros Sammlung von Wörtern, die ihr beim Schreiben eingefallen sind, vorlas, fielen der auf der Bühne sitzenden Preisträgerin laufend neue Wörter ein, die sie zwischendurch zum Besten gab.
So kommen auch ihre Texte zustande, vermittelt sie mit Unterstützung, dem Reporter. „Immer fallen mir Wörter ein und irgendwer schreibt sie dann auf.“
Mitreißende und berührende Tänze
Die „Ohrenschmaus“-Preisverleihung liefert in der Ovalhalle des Wiener MuseumsQuartiers nicht nur Literatur und Schokolade. Jedes Jahr treten auch inklusive Kunst-Ensembles auf – singend, tanzend, performend. In diesem Jahr tanzten Menschen mit und ohne Behinderung von „T21BÜNE – das Ensemble“ berührend und mitreißend – siehe Fotostrecke und Video.
„Schmeckt nach Literatur“ ...
.... sagte der Initiator dieses Literaturpreises, Dr. Franz-Joseph Huainigg beim traditionellen Anbiss auf der Bühne am Vorabend des internationalen Tages der Menschen mit Behinderung.
Auszüge seiner Rede im Video unten.
Nachrichten in einfacher Sprache
Rund um den internationalen Tag der menschen mit Behinderung (3. Dezember) produziert übrigens der ORF die ganze Woche Nachrichten in einfacher Sprache auf ORF III. Ein Teilnehmer der Inklusiven Lehrredaktion (noch) beim KURIER absolviert derzeit dort sein Praktikum und ist an der Erstellung dieser Nachrichten beteiligt.
Hier unten geht's zu einem Bericht darüber auf kurier.at/einfache-sprache:
Bericht über die „Ohrenschmaus“-Preisverleihung 2019 in einfacher Sprache
Und hier unten geht's zu einem Bericht der Inklusven Lehrredaktion beim KURIER