Nöte eigentlich wichtiger als Note
Von Heinz Wagner
Simone Peschek ist Lehrerin an der Mittelschule Enkplatz 4/1 (nicht unwichtig, weil am selben Platz gibt es zwei Mittelschulen). Sie ist auch Mit-Initiator_in der „Schulgschichtn“. Was vor knapp mehr als einem Jahr als kleines Projekt begann, einen Blog zu führen, zog starke Resonanz nach sich, wird viel gelesen, sogar Spin-Offs als Bücher sind aus einige der Beiträge geworden.
Idee dahinter: Lebensnahe und oft -frohe Stories aus dem Alltag dieses (medial) häufig in Verruf geratenen Schultyps. Nicht beschönigend, realitätsnah, aber eben wie sie ist und nicht dargestellt wird. Es ist dies aber auch jener Schultyp, der im Schnitt von Kindern und Jugendlichen aus weniger begüterten Familien besucht wird. Und die damit auch weniger oft, bis häufig auch gar nicht mit Computern/Laptops oder Tablets ausgestattet sind. Ist zwar im Zuge der jetzigen herausfordernden Zeit hin und wieder thematisiert worden, der Bildungsminister hat nun auch den Ankauf von Computern angekündigt. Ende April, so Fassmann, sollten dann 12.000 Stück an solche Schüler_innen übergeben werden. Dabei war von Tablets für alle schon vor rund einem halben Jahrzehnt die Rede.
Dass diese Computer nur für Bundesschulen zur Verfügung stehen, findet Peschek „schade, dass Schüler und Schülerinnen der Mittel- und Volksschulen hier offensichtlich keine hohe Priorität haben“.
Siehe dazu Story hier unten.
Ausnahme: Kooperation mit Start-Up
Wie auch immer, zurück zum Enkplatz und der engagierten Lehrerin, die gleich einschränkt: „In meiner Klasse sind alle mit Laptops versorgt – aber nur dank eines Kooperationsprojekts mit dem jungen Start-Up-Unternehmen ChabaDoo _ siehe auch Artikel…. Für die testen wir eine Lernplattform. Sonst hätten nur zwei oder drei der Schüler_innen einen Computer zu Hause.“
Mit der Ausstattung, nicht mit dem üblichen Zahlenverhältnis, ist ihre Klasse eine Ausnahme. Daher startete der Übergang ins Home-Schooling durchwegs vor allem mit Kopien von Arbeitsblättern und Übungsaufgaben. Die Kinder bzw. Jugendlichen erledigten diese, fotografierten sie mit dem Smartphone – das haben schon die meisten, so Peschek – ab und mailten das an die Lehrerinnen und Lehrer. Auch wenn so manche Apps oder etwa Vokabel-Lernplattformen oder englische Videos und Höraufgaben, Quize usw. auf dem Handy brauchbar funktionieren, für vieles sind sie nicht wirklich geeignet – etwa einen Text zu schreiben, der über wenige Zeilen hinausgeht.
„Kopiermaschinen“
So wanderten Lehrerinnen und Lehrer wieder in die Schule – natürlich unter den erforderlichen räumlichen Abständen – und druckten neue Arbeitsblätter usw. aus, verständigten ihre Schüler_innen, damit diese dann aus der Schule abholen.
„Wobei auch dort, wo Kinder zum Beispiel in der ersten Klasse Computer haben, fehlt noch die Vorarbeit, die wir in der Schule leisten – wollten/müssten – die Medienkompetenz bei Recherche-Aufgaben, auf welche Seiten kann ich vertrauen, wie erkenn ich seriöse Quellen … der Weg zum selbstständigen Arbeiten ist doch ein längerer.“ Jetzt aber soll(t)en alle von heute auf morgen genau dort sein müssen.
Hunderte WhatsApp-Nachrichten
Und – wie auch in anderen Schultypen – sind sie fast rund um die Uhr für ihre Schülerinnen und Schüler erreichbar. „Das war vor allem in der ersten Woche so, da sind oft Hunderte WhatsApp-Nachrichten aus Gruppen oder einzeln aufgepoppt. Dann hab ich doch Zeiten eingeführt und gesagt, wenn eine Nachricht um 2 oder 4 in der Früh oder auch schon spät am Abend kommt, kann’s sein, dass ich erst am nächsten Vormittag antworte.“
Wann ist endlich wieder Schuleeeeeee!?
Wobei jetzt weniger Nachfragen zu Aufgaben kommen, sondern die Sorge, die Nöte, die Fragen „Wann ist endlich wieder richtig Schule?“ Diese Ungewissheit, das nicht absehen können, wann dieser Zustand – oft in (sehr) beengten Verhältnissen, kaum einem eigenen Arbeitsplatz, vielen Geschwistern – endet, beansprucht die Nerven und die Psyche dieser Kinder besonders. „Das ist mir erst vor wenigen Tagen so stark aufgefallen, als ich wieder mit einigen der Jugendlichen eine Videokonferenz hatte – wir machen mehrere immer in Kleingruppen – wo ich gesehen hab, wie beengt oft die Platzverhältnisse sind.“
Versäumte Sprachpraxis
Dazu kommt, dass sie auch oft Eltern haben, die gar nicht helfen können – die einen sind in Berufen tätig, die nun als Held_innen gelten wie im Supermarkt etwa, die anderen können oft nicht so gut Deutsch, dass sie bei den Aufgaben helfen können. Gerade was Sprache betrifft, leiden die am meisten, die vor allem in der Schule nicht nur durch den Unterricht, sondern auch die Gespräche der Kinder bzw. Jugendlichen untereinander wo Deutsch die gemeinsame Sprache für vielsprachige Kinder ist Praxis darin erwerben.
Trotzdem sind die Aufgaben wichtig – nicht nur, um den Anschluss wieder zu finden, wenn die Schule wieder – wann auch immer – richtig losgeht. Die Arbeiten helfen den Schülerinnen und Schülern auch beim Strukturieren ihres Tages, geben doch einen gewissen Halt. Einige rühren sich auch immer wieder und wünschen bzw. verlangen: „Ich will mehr Aufgaben, mir ist so fad.“
Kontakt halten - nicht nur wegen Schulfragen
Trotzdem hält die Lehrerin – wie viele ihrer Kolleg_innen – es beim Kontakthalten mit den Schüler_innen derzeit für das Wichtigste, da zu sein für diese Sorgen und Nöte und nicht Druck zu erzeugen, sondern Verständnis dafür haben. „Das ist wichtiger, als jede kleine Aufgabe abzugeben.“
Das müsse übrigens dann auch, wenn die Schule in diesem Semester hoffentlich doch wieder losgehe, berücksichtigt werden. Auf diese Umstände und die Nöte Rücksicht zu nehmen wäre eigentliche wichtiger als die Vor- und Vergabe von Noten – kann aber nicht autonom in den Schulen entschieden werden.
Kein Telefon zu Hause
Weil auch immer wieder die Rede davon ist, dass manche Schüler_innen gar nicht erreichbar sind, wie schaut das konkret bei unserer Gesprächspartnerin aus?
Ganz, ganz schwierig. Sie hat in ihrer Klasse zwei Schüler, die davor erst rund ein Monat in Österreich waren. Zum ersten ist es mittlerweile gelungen über dessen Vater, der schon etwas länger im Land ist, Kontakt herzustellen. Aber natürlich fehlt diesem Buben ganz besonders der Schul-Alltag.
Zu einem weiteren gebe es gar keinen Kontakt, „weil die Familie zu Hause gar kein Telefon hat. Und selbst wenn, wir haben keine gemeinsame Sprache, können aber auch keinen Dolmetscher organisieren, weil wir ihn ja nicht erreichen. Für diese beiden Buben ist die jetzige Situation besonders eine verlorene Zeit fürs Erlernen der deutschen Sprache. Für solche und ähnliche Kinder sollte es“, so wünscht sich Peschek „eine Ausnahme geben, möglichst frühes Öffnen der Klassen.“