EU-Vergleich: Oh du krankes Österreich!
Von Ute Brühl
Es klingt paradox: Die Österreicher werden im EU-Vergleich relativ alt, doch sie fühlen sich schon in relativ jungen Jahren krank bzw. gesundheitlich angeschlagen. Das zeigt ein Blick in die Eurostat-Statistik, die am Montag herausgegeben wurde.
Die Österreicher erleben danach nur rund 57 „gesunde Lebensjahre“ (siehe Grafik unten) und belegen damit den traurigen viertletzten Platz bei den Frauen und den fünftletzten bei den Männern innerhalb der EU – auch das Nicht-EU-Land Schweiz hat an der Erhebung übrigens teilgenommen.
Den Teilnehmern in den Mitgliedsländern wurde folgende Frage gestellt: „Wie sehr sind Sie seit zumindest einem halben Jahr durch ein gesundheitliches Problem bei Tätigkeiten des normalen Alltagslebens eingeschränkt? Würden Sie sagen, Sie sind stark / etwas / nicht eingeschränkt.“ Nur wer die letzte Antwort angekreuzt hat, galt für die Statistiker als gesund.
Wenig verwunderlich
Für Anita Rieder, Leiterin des Zentrums für Public Health der MedUni Wien, ist das alles kein neuer Befund: „Wir kennen solche Vergleiche von früher – auch da waren wir nie im vorderen Feld, sondern die Vordersten im letzten Drittel.“
Doch warum ist das so? Sind die Österreicher einfach nur ein Volk von Raunzern, dass sich über eh alles, also auch über jedes Wehwehchen beklagt?
Friedrich Hoppichler, Vorstand der Adipositas-Gesellschaft kennt die Gründe: „Wir leben zu ungesund. Wir sind zu dick, bewegen uns zu wenig, rauchen zu viel und trinken zu viel Alkohol. Das Glas zu viel ist bei uns leider immer noch ein Kavaliersdelikt, dabei wissen wir, dass schon geringe Dosen schädlich sind.“
Zu fett, zu süß
Weil in Österreich viele zu fett und zu süß essen und gleichzeitig zu lange sitzen, steige etwa die Zahl der Diabetiker. „Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die Arterienverkalkung steigen ebenfalls. Die Folgen können im schlimmsten Fall ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall sein“, mahnt Hoppichler.
Wobei es hier ein starkes Ost-West-Gefälle gibt, wie die Sozialmedizinerin Anita Rieder weiß: „Im Osten sterben besonders viele Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Risikofaktoren wie ungesundes Essen, zu wenig Bewegung und ein schlechtes psychosoziales Umfeld scheinen hier besonders groß zu sein. Auch geringe Bildung, wenig soziale Unterstützung, Einsamkeit oder Migrationshintergrund sind Faktoren.“
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind derzeit die häufigste Todesursache. In Zukunft wird uns aber noch ein anderes Thema beschäftigen, warnt Rieder: „Laut Prognosen sind im Jahr 2050 – also in gut 30 Jahren – 1,5 Millionen Österreicher jenseits der 65 gebrechlich, 350.000 in einem Vorstadium. Das heißt, dass sie nicht alleine aufstehen oder nicht ohne Gehhilfe gehen können. Da braucht es bereits jetzt Konzepte für Präventionsmaßnahmen.“
Wissen heißt nicht tun
Leichter gesagt als getan. Denn viele Menschen wissen ja, was ein gesunder Lebensstil ist, dennoch handeln sie nicht danach. Das hat die Studie The Mind Behaviour Gap der Meinungsforscherin Sophie Karmasin ergeben, die demnächst veröffentlicht wird. „Ein besorgniserregendes Ergebnis war auch, dass viele Österreicher oft zu wenig wissen, etwa über gesunde Ernährung“, sagt Karmasin zum KURIER.
Übrigens, an mangelnder Vorsorge liege es nicht, dass die Österreicher so kränkeln, sondern am fehlenden Management, wie man mit Ergebnissen umgeht: „Wir wissen z. B. aus Blutuntersuchungen, wenn ein Patient Gefahr läuft, an Diabetes zu erkranken. Doch viele Menschen sind überfordert, wenn man ihnen sagt, sie sollen abnehmen und sich mehr bewegen.“ Hier wäre professionelle Begleitung wichtig, damit sie ihren Lebensstil tatsächlich umkrempeln. Auch Fragen der Rehabilitation von Krebspatienten und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt seien wichtig.
Wenn es darum geht, die Österreicher fitter zu machen, kann die Gesundheitspolitik nur einen Beitrag von vielen leisten. „Wir müssen viel früher ansetzen“, schlägt Hoppichler vor: „Wir sollten Schwangere animieren, sich mit dem Thema des gesunden Lebensstils auseinanderzusetzen. Auch Programme in Kindergärten und Schulen zeigen Wirkung, wie wir mit unseren Projekten zeigen konnten.“ Anita Rieder präzisiert: „Wir wissen, dass Bildung der beste Schutz vor frühen Erkrankungen ist.“
Gute Versorgung
Eine gute Nachricht hat Rieder aber für alle Raunzer: „Bei der Früherkennung und Versorgung von Krebspatienten nimmt Österreich Spitzenplätze ein. Das heißt dann, dass wir länger mit unseren Krankheiten leben als früher.“ Das gelte auch für die vielen Erkrankungen, die durch das Rauchen ausgelöst werden (hier wiederum gehört Österreich leider zu den Schlusslichtern). Neben Lungenkrebs ist das etwa die chronische Lungenerkrankung COPD.