Wissen/Gesundheit

Anti-Aging für den Kopf: "Ich laufe für mein Gehirn"

Im Winter gehören ihre Wochenenden dem Skifahren, im Sommer dem Radfahren: „Mein Leben besteht aus Arbeit und Bewegung“, sagt Manuela Macedonia. Für die Neurowissenschaftlerin an der Universität Linz gibt es seit einigen Jahren kaum mehr einen Tag ohne körperliche Aktivität und ohne Sport. Sie hat ein Buch über die Bedeutung von Bewegung für das Gehirn geschrieben – „aus Dankbarkeit“.

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KURIER: Was meinen Sie damit wenn Sie sagen, das Buch „Beweg dich!“ aus Dankbarkeit geschrieben zu haben?

Manuela Macedonia: Das geht zurück auf eine Episode in meiner Zeit als Wissenschaftlerin in Leipzig, am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften. Ich forschte dort mit meinen Kollegen an Fragen zum Thema Gedächtnis. Ich hatte viel Stress, saß zwölf Stunden am Schreibtisch, schlief kurz und schlecht und kam mit der Arbeit trotzdem nicht so recht weiter. Eines Tages stieß ich bei einer Literaturrecherche auf einen sehr interessanten Fachartikel. „Das ist genau das, was ich suchte“, dachte ich mir voller Freude. Ich machte Markierungen mit dem Leuchtstift und Notizen an den Seitenrändern. Doch dann dämmerte mir, dass mir der Text doch irgendwie bekannt vorkam. Ich kramte in einem Papierstapel auf meinem Schreibtisch und fand haargenau denselben Artikel, mit haargenau den gleichen Notizen und Markierungen von mir. Das war ein großer Schock für mich.

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Weil Sie sich an diesen Text so gar nicht erinnern konnten?

Ja. Das war furchtbar. Eine Kollegin sagte mir damals, sie wundere das nicht, ich versumpfe im Büro, mache kaum Bewegung und schlafe zu wenig. Und deshalb gehe es mit mir und meinem Gehirn nur mehr bergab. Ich war so entsetzt, dass das gerade mir passierte, die ich auf mein Gedächtnis doch immer so stolz war. Seit damals ist Bewegung ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Und das Buch habe ich aus Dankbarkeit auch der Kollegin gegenüber geschrieben, die mich wachgerüttelt und eine Änderung meines Lebens bewirkt hat. Ich will jetzt mit dem Buch ebenfalls die Menschen aufmerksam machen.

Welchen Einfluss hat Bewegung auf das Gehirn?

Da gibt es mehrere Prozesse. Im Hippocampus – der Gehirnregion, die für das Kurzzeitgedächtnis zuständig ist – findet die sogenannte Neurogenese statt. Das heißt: Dort werden Stammzellen produziert, die sich zu neuen Gehirnzellen entwickeln und in jene Regionen wandern, wo Nervenzellen abgebaut werden oder nicht mehr so leistungsfähig sind. Bewegung stärkt diese Regenerationsfähigkeit des Gehirns.

Neurogenese ist in jedem Lebensabschnitt wichtig, aber ganz besonders im Alter: Der Hippocampus und viele Gebiete der Gehirnrinde schrumpfen dann. Und ein Verlust der Gehirnmasse geht mit einem Verfall unserer allgemeinen geistigen Fähigkeiten einher. Bewegung kann dem entgegenwirken und Gehirnmasse aufbauen. Das sieht man schon bei Kindern: Sportliche Mädchen und Buben haben einen größeren Hippocampus – und bessere Lernerfolge in der Schule.

Gibt es noch weitere Effekte?

Bewegung regt die Ausschüttung des „Nervenwachstumsfaktors“ BDNF (aus dem Englischen, Brain Derived Neurotrophic Factor)im Gehirn an. Dieser stärkt einerseits die Nervenzellen und fördert andererseits die Entstehung stabiler Verbindungen zwischen ihnen. So bilden sich gut funktionierende Netzwerke, die grundlegend für die Gedächtnisleistung sind. Bei Menschen mit Essstörungen, aber auch mit Depressionen oder Alzheimer ist häufig ein Mangel dieses Wachstumsfaktors nachweisbar.

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Welcher Zusammenhang besteht zwischen Bewegung und Glückshormonen?

Bewegung hilft, die Psyche stabil zu halten, weil sie die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin, aber auch von Serotonin fördert – und letzteres hält unsere Psyche in Balance. Menschen mit Depressionen haben einen zu niedrigen Serotonin- und Dopaminspiegel. Gleichzeitig wissen wir aus zahlreichen Studien, dass bei einer Behandlung mit Antidepressiva die Dosis reduziert werden kann, wenn sich die Patienten ausreichend bewegen. Bewegung ist kein Ersatz für Medikamente, aber sie ist eine unterstützende Maßnahme. Und Bewegung senkt gleichzeitig auch den Spiegel des Stresshormons Cortisol im Körper. Auch das ist positiv für die Gedächtnisleistung.

Kann man mit Bewegung auch Alzheimer vorbeugen?

Man kann sein individuelles Erkrankungsrisiko senken. Unser Gehirn hat ein eigenes System für den Abtransport von Abfallprodukten aus dem Gehirnstoffwechsel („glymphatisches System“). Seine Funktionsweise steht offenbar in einem Zusammenhang mit dem Risiko für Alzheimer.

Für eine Studie hat man in die Käfige einer Gruppe von Mäusen mit Alzheimer Laufräder gestellt. In Gehirnscans hat sich gezeigt, dass bei Mäusen, die solche Bewegungsmöglichkeiten hatten, die alzheimertypischen Ablagerungen im Gehirn, die Plaques, deutlich zurückgingen, stärker als bei Mäusen mit Alzheimer, die keine Laufräder hatten. Bei ihnen hatte das glymphatische System deutlich weniger dieser Ablagerungen sich zurückbilden lassen. Bei Menschen, die bereits an Alzheimer erkrankt sind, hat man gesehen, dass regelmäßiges Spazierengehen das Fortschreiten der Krankheit verzögern kann.

Viele denken bei Bewegung aber nur an positive Effekte auf das Gewicht oder für das Herz, aber nicht an das Gehirn.

Es sind ja die Effekte auch kaum bekannt. Ich laufe nicht für meine Figur, sondern für mein Gehirn. Viele sehen Bewegung ja auch als etwas Unangenehmes, für das man sich anstrengen und aufraffen muss. Wenn ich so etwas höre sage ich immer, Bewegung ist unsere Alliierte für bessere geistige Fähigkeiten, im Kampf gegen körperliche und geistige Krankheiten und nicht zuletzt unsere Alliierte auf dem Weg zu einem aktiven, erfolgreichen und glücklichen Leben.

Wie geht es Ihnen, seit Sie sich deutlich mehr bewegen?

Das ist überhaupt kein Vergleich zu früher. Ich schlafe besser, bin ausgeglichener, leistungsfähiger. Von meinem Wohnort in Oberösterreich sind es rund 200 Kilometer in ein größeres Skigebiet. Viele Bekannte sagen, das sei doch viel zu anstrengend, für ein Wochenende so weit zu fahren, und dann noch die Anstrengung des Skifahrens dazu. Aber ich empfinde das ganz anders, nämlich unglaublich entspannend: Nach einer anstrengenden Arbeitswoche entstresst mich ein Wochenende auf Skiern oder auf dem Rad komplett. Danach bin ich voller Lebensfreude. Und es entsteht ein Gefühl tiefer Zufriedenheit.