Leben/Gesellschaft

Das Coronavirus und die Angst der Pornostars

Lange wurden in Los Angeles weiter Pornos gedreht, doch am 16. März war das Coronavirus auch in Amerikas Sexfilm-Industrie angekommen. Zumindest die Angst davor.

Zwar hatte sich kein Darsteller infiziert, aber "in Übereinstimmung" mit der Vorschrift von Kaliforniens Regierung, alle nicht überlebenswichtigen Geschäfte zu schließen, rief die US-Porno-Interessenvertretung Free Speech Coalition (FSC) alle Sexarbeiter zu einem "freiwilligen Drehstopp" auf.

Viele Stars der Branche haben sich nun in freiwillige Quarantäne begeben, auch wenn sie wegen entfallener Drehs Tausende Dollar verlieren. Die Pornodarstellerin Jaclyn Taylor schrieb auf Twitter: "Meine Angst geht durch die Decke, ich möchte einfach mein normales Leben zurück."

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Ihre 40-jährige Kollegin Ava Addams meinte ebenfalls: "Manche verstehen nicht, dass Gesundheit immer wichtiger als Geld bleiben sollte."

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Am 17. März kam die Sex-Industrie in Kalifornien dann komplett zum Erliegen: Ein altes Problem kehrte zurück, zwei Darsteller hatten keine sicher negativen HIV-Tests vorweisen können. So herrschten in der US-Porno-Industrie für einige Tage parallel ein empfohlener Drehstopp wegen Corona sowie ein verpflichtender Drehstopp wegen HIV. Letzterer wurde am 25. März nach Entwarnung wieder aufgehoben.

Der aus der Ukraine stammende Pornostar Nikki Benz ärgerte sich auf Twitter über fortwährende Anfragen: "Wir haben einen Shutdown, das heißt, wir dürfen nicht mit anderen drehen."

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Wer in diesen Tagen dennoch in Pornos mitwirke, sei verantwortungslos, schrieb Benz später mit Blick auf HIV, aber auch auf Corona.

Weil gefühlt die halbe Welt derzeit in häuslicher Quarantäne steckt, verbringen die Menschen noch mehr Zeit online als sonst. Der Serienanbieter Netflix hat die Streaming-Qualität in Europa gedrosselt. Und auch die Sexclip-Seite Pornhub vermeldet Rekordzahlen: Am 17. März hatte man weltweit 11,6 Prozent mehr Klicks als an gewöhnlichen Tagen, in Italien stiegen die Zugriffe ab dem 11. März sogar um bis zu 57 Prozent.

Im San Fernando Valley im Westen der Metropole Los Angeles, wo so viele Pornos gedreht werden wie nirgends sonst auf der Welt, kann man aber keinen Nachschub schaffen. Schon bevor Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom eine Ausgangssperre verhängte, hatten einige Darstellerinnen beschlossen, keine Filme mehr zu drehen.

Zwischen Geschäft und Gesundheit

Pornostar Giselle Palmer zum Beispiel zog wegen des Coronavirus von Los Angeles zurück nach Texas. Die meisten Pornos in den USA würden nur in einer Handvoll Studios im San Fernando Valley gedreht, erklärte sie der Zeitschrift Rolling Stone. "Du drehst wieder und wieder an denselben Locations, mit unterschiedlichen Menschen und Körperflüssigkeiten auf derselben Couch", sagte Palmer. Wenn Covid-19 den Kreis der Pornodarsteller erreiche, "könnte das in eine Katastrophe führen".

Auch die Pornoregisseurin Bree Mills von der Produktionsfirma Adult Time wirbt für einen Corona-bedingten Shutdown der Sexindustrie. "Wenn man sich die physische Situation eines Drehs ansieht, dann werden da viele Körperflüssigkeiten und Speichel ausgetauscht, also das ist höchst bedenklich", sagte sie im Rolling Stone.

Pornostars machen "Home-Office"

Viele US-Pornodarstellerinnen nehmen nun zuhause Solo-Videos auf und bewerben diese offensiv, um die Zeit nicht unproduktiv verstreichen zu lassen. Die pornografische Form des Home-Office, wenn man so will.

Auf Plattformen wie OnlyFans laden die Stars ihre Sex-Clips aus dem Wohnzimmer hoch. "Es ist derzeit ohnehin nicht sicher, da draußen herumzulaufen", buhlt beispielsweise die Branchengröße Ava Addams auf Twitter um zahlende Kundschaft.

Auch Webcam-Girls, die ihre Dienste per Live-Übertragung anbieten, machen in der Corona-Krise laut diversen Medienberichten mehr Geschäft als sonst. "Wenn du Pornografie verkaufen willst, und das gesamte Land ist zuhause eingepfercht, ist das ein traumhaftes Szenario", schwärmte das amerikanische Webcam-Girl Kate Kennedy in der New York Post.

Regisseurin Mills räumt jedoch ein, dass die Pornobranche wie andere wegen des Coronavirus vor immensen Problemen stehe. Denn der "klassische" Pornofilm mit Mann und Frau mache immer noch einen entscheidenden Teil des Umsatzes aus - und dieser könne derzeit nicht ohne Gefahren gedreht werden.

Sex-Industrie: Sind Vorbild für andere

Die Interessenvertretung FSC spricht sich selbst Mut zu, indem sie darauf verweist, die US-Pornobranche habe schon einmal den Umgang mit einer ansteckenden Krankheit gemeistert. Als 2013 vier Porno-Darsteller positiv auf HIV getestet wurden, habe man sich selbst ein striktes Dreh-Moratorium auferlegt und erfolgreich neue Test-Standards für HIV und andere übertragbare Krankheiten eingeführt. "Durch das Bewusstsein für HIV ist die Pornoindustrie bei der Prävention heute ein Modell für andere", schreibt FSC-Chefin Michelle L. LeBlanc.

Aufgrund der derzeit massiven Knappheit von Covid-19-Tests in den USA ist es aber ziemlich unwahrscheinlich, dass die US-Pornoindustrie ihren Dienstleisterinnen und Dienstleistern diese bald serienmäßig anbieten kann. Und somit wird es wohl noch länger heißen: Tote Hose im San Fernando Valley.