Was uns historische Stadtbilder über Wiens Vergangenheit verraten
Von Johanna Kreid
Jahrhundertelang blieb sie unbeachtet: die kleine, weiße Katze im Gaupenfenster eines Hauses, das sich rund um das Jahr 1480 in der Seilergasse in der Wiener Innenstadt befand. Während Katzenbilder die sozialen Medien heutzutage nahezu verstopfen, ist die Entdeckung einer Katze auf einer alten Stadtansicht aber durchaus besonders: Sie ist quasi ein Bote aus ferner Zeit, der uns ein wenig über den Alltag damals verrät.
Ferdinand Opll, Historiker und ehemaliger Leiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs, hat für sein neuestes Buch „Die Stadt sehen“ Hunderte alte Stadtdarstellungen Wiens aus der Zeit von 1400 bis circa 1620 studiert. Gleich vorweg: Diese Stadtpläne haben nichts mit unseren heutigen Landkarten oder gar mit Google Maps zu tun. Der erste Stadtplan, der dem Zurechtfinden dienen sollte, erschien erst 1706 und zeigt Rom.
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Die älteren Stadtdarstellungen sind also keine Orientierungshilfe im räumlichen, wohl aber im biblischen Sinne: „So wurde die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten am Wiener Schottenaltar mit Wien im Hintergrund dargestellt“, erklärt Opll. Man wollte den Menschen so die Heilsgeschichte näher bringen. „Als Bezugspunkt nahm der Künstler eine vertraute Stadt, damit sich die Menschen damit besser identifizieren können.“
Die alten Stadtdarstellungen fanden sich also auf Altären, aber etwa auch auf Ton, Leinwand, Pergament, Papier, auf Mosaiken – ja gar auf Hochzeitstruhen in Form von Holzeinlegearbeiten.
Der älteste Plan stammt aus 1421
Es ging auch nicht um fotorealistische oder maßstabsgetreue Abbildungen: Die älteste Plan-artige Darstellung Wiens ist der Albertinische Plan aus 1421 oder 1422. Innerhalb eines Mauerrings zeigt er mehrere kirchliche, aber nur zwei weltliche Gebäude: die spätere Hofburg („dy purck“) und die Universität („dy hoch schul“). Freilich ist davon auszugehen, dass es auch damals bereits mehr als zwei weltliche Gebäude gab – prominent abgebildet werden musste aber, was wichtig war.
Tafelbilder des Schottenaltars
Ein Beispiel für recht detailgetreue Wien-Darstellungen sind die Tafelbilder des Wiener Schottenaltars: Auf einem entdeckte Opll die eingangs erwähnte Katze, und zwar dank neuer technischer Möglichkeiten: Was früher selbst mit Lupe unbemerkt blieb, wurde beim Zoomen einer digitalen, hochauflösenden Version des Tafelbildes sichtbar.
„Ich habe mir gedacht: Was ist denn das hier auf dem Dach?“, sagt Opll und lacht. „Das“ entpuppte sich als Katze. „Die Mäuseplage in den Städten war damals wohl enorm“, so Opll. „Ich könnte mir vorstellen, dass es damals daher in fast jedem Haushalt eine Katze gab.“
Detektivische Arbeit
Die Untersuchung alter Darstellungen gleicht also oft detektivischer Arbeit, zumal Künstler, wie Auftraggeber der Werke oft nicht bekannt sind. So auch beim Schottenaltar: Mangels eines Namens wird der (oder: werden die) Künstler schlicht als „Schottenmeister“ bezeichnet.
Anhand von Details kann man aber Rückschlüsse auf das Alter des Werks ziehen: So sieht man im Hintergrund des Tafelbildes eine hölzerne Brücke (siehe Titelbild des Artikels oben). „Die hat Kaiser Friedrich III. in Auftrag gegeben, um über diesen Gang ungestört in die Domkirche zu gelangen“, erklärt Opll. Daher könne man das Werk auf circa 1483 datieren.
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„Bollwerk“ der Christen
Einen regelrechten Boom an Stadtdarstellungen Wiens löste übrigens die erste osmanische Belagerung 1529 aus: „Das Renommee der Stadt als Bollwerk der Christenheit spielte da eine große Rolle“, erklärt Opll. Entsprechend wurden die Osmanen auch wenig schmeichelhaft abgebildet: etwa beim Verrichten ihrer Notdurft oder beim Aufspießen von Kindern. Infolge der Belagerung wurden außerdem die Stadtmauern stetig ausgebaut – auch dies wollte man auf zahlreichen Plänen dokumentieren.
Rätsel um spiegelverkehrte Bilder
Trotz all der detektivischen Detailarbeit: Manche Fragen konnten immer noch nicht geklärt werden. „Zum Beispiel gibt es Darstellungen von Wien, die spiegelverkehrt sind“, erzählt Opll. Warum das so sei, wisse er nicht. „Ich kann mir das nicht anders erklären, als dass die Künstler einen Spiegel als Hilfsmittel verwendet haben.“
Die alten Darstellungen haben also noch ein paar Geheimnisse, die gelüftet werden wollen. „Genau hinzusehen lohnt sich jedenfalls“, sagt Opll.
Das zeigte sich übrigens auch, als der KURIER vor dem Abdrucken des Altarbildes im Museum im Schottenstift eine Erlaubnis dafür einholte. Der zuständige Pater antwortete, dass er die Katze auf dem Bild noch gar nicht bemerkt habe – und sich über das nette Detail freue.
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Ferdinand Opll: „Die Stadt sehen“, Böhlau Verlag. 530 Seiten, 65 Euro